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„America first!“

Puccinis japanische Tragödie „Madama Butterfly“ erlebt in Zürich eine Neuinszenierung – und verstört nach wie vor. Weshalb eigentlich?

Ach, dieser Puccini mit seinen eminent tragischen Frauenfiguren! Wie kommt ein Lebemann des Machismo und der italienischen Belle Epoque eigentlich dazu, in seinen Opern verzehrend lodernde Frauengestalten von der „femme fragile“ bis zur Primadonna, von der schwindsüchtigen Mimi bis zur blutjungen Geisha in herzzerreissende Liebestode zu schicken? Spielt darin das Kalkül, dass sich Sopranistinnen halt am schönsten in den Tod singen, eine Rolle? Oder spielt der Komponist quasi autobiographisch mit dem übersteigerten Gefühl männlicher Überlegenheit und Vitalität? Die Anglistin Elisabeth Bronfen, die zu den Themen Tod, Weiblichkeit und Ästhetik 1992 das Buch „Nur über ihre Leiche“ verfasst hat, geht im Programmheft spannenden Fragen nach.

Nur am Rande streift sie den amerikanischen Imperialismus, der in der 1904 in Mailand uraufgeführten „Madama Butterfly“ ein entlarvendes Zeugnis über die Selbstherrlichkeit der US-Hegemonie, diesmal in Japan, abgibt. „Dieses Spielzeug ist meine Frau“ singt der amerikanische Marineleutnant Benjamin Franklin Pinkerton in zynisch herablassender Pose. Und dass er die ehemalige Geisha nach einem kurzen Liebesabenteuer samt Kind sitzen lässt, zuhause eine Amerikanerin heiratet und dreist genug ist, ihr Jahre später, samt Gattin, Lebewohl zu sagen und auch noch Anspruch auf das Kind erhebt, ist Grund genug für ihre Verzweiflung und ihren Suizid.

Cio-Cio-San (Svetlana Aksenova) und B. F. Pinkerton (Saimir Pirgu) mit Chor der Oper Zürich

Nun, die patriarchale Frauenverachtung ist keine Erfindung der Amerikaner, auch wenn sie uns in jüngster Zeit bis in höchste Regierungskreise – skandalös genug – vor Augen geführt wird. Schon Goethes Faust missbraucht das naiv-gläubige Gretchen zu seinen Zwecken, und die deutschsprachige Literatur kennt seit ihren Anfängen nichts als geduldig bis zur Selbstverleugnung auf Prinzen und Helden wartende Prinzessinnen, die unterwürfig und schicksalsergeben darauf aus sind, ungefragt in das männliche Beuteschema eingereiht zu werden. Die Frauen begehren den Eroberer und beklagen daraufhin die Konsequenzen. Diese ewige Täter-Opfer-Kausalität wird auch in der Opernliteratur seit Bestehen zelebriert und drückt (auch bei Puccini) zwar auf die Tränendrüsen, doch nichts ändert sich: „Mann ist Mann“ (Brecht-Titel) und Frau bleibt Frau, solange die Machtverhältnisse überwiegend in Männerhand bleiben.

Die Wahrheit erschüttert: Sharpless (Brian Mulligan), Cio-Cio-San (Svetlana Aksenova) und Suzuki (Judith Schmid) / Fotos © T+T / Toni Suter

Der amerikanische Regisseur Ted Huffman hatte als Zwölfjähriger ein Schlüsselerlebnis, als er neben Luciano Pavarotti den Hirten in Puccinis „Tosca“ singen durfte. Seither hat er sich im zeitgenössischen Musiktheater einen Namen gemacht und inszeniert nun erstmals in Zürich: eine mutige Arbeit, die jeden Firlefanz beiseite lässt und alles entschlackt, was wir aus der Ausstattungsoper bis zum Überdruss kennen. Der Bühnenraum (Michael Levine) ist kaltweiss und leer – wie das Weisse Haus, wo jeder Präsident beim Einzug seine Möbel zu einem neuen Ambiente zusammenstellt. So auch hier: Pinkerton bringt seinen ganzen Amerikanismus nach Japan, was jede Annäherung an eine exotisch fremde Kultur von vornherein ausschliesst. Er nimmt sich die Geisha Cio-Cio-San gleichsam als Trophäe, spielt den (selbst)verliebten Geck und lässt sie gleich wieder fallen, als er merken muss, dass er in seiner Stellung nie und nimmer eine Japanerin in die USA überführen dürfte. Huffman zeigt das sehr konsequent und entblösst das Seelenleben der Protagonisten bis zum bitteren Ende. Das Warten der Butterfly auf die erhoffte Rückkehr des Geliebten dauert eine Ewigkeit: Eindringlicher und hoffnungsloser kann man das gar nicht zeigen. Die Kostüme von Annemarie Woods sind (zusammen mit Franck Evins Lichtregie) atmosphärisch von erlesener Grazie.

Daniel Rustioni dirigiert auswendig und spornt die Philharmonia Zürich zu einem Klangrausch an, der allerdings oft euphorisch üppig und Puccini-versessen daherbraust und die subtileren Valeurs empfindlich einebnet. Selbst wenn sich das Liebespaar (Svetlana Aksenova und Saimir Pirgu) gegen die Orchesterkaskaden brillant und ziemlich unwiderstehlich in Szene zu singen weiss, ist das noch kein Alibi für immerwährenden Forte-Hochdruck. Brian Mulligan lässt sich in der Rolle des US-Konsuls Sharpless mit seinem kernigen, baritonal gefärbten Bass weniger dazu verführen und war für mich die Entdeckung des Abends (ich war in der zweiten Vorstellung). In keineswegs unwichtigen Nebenrollen sind Judith Schmid (als Suzuki), Martin Zysset (Goro), Huw Montague Rendall (Fürst Yamadori)  und Ildo Song (Onkel Bonze) ausnehmend verlässlich und setzen damit wichtige Akzente in dieser prägenden Neuinszenierung.

 

Weitere Vorstellungen:  Dezember 17, 20, 23, 26, 29, Januar 1, 5, 7, 10

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