StartseiteMagazinKulturPraktische Fertigkeiten unter der Lupe

Praktische Fertigkeiten unter der Lupe

Am Völkerkundemuseum Zürich erforschen Ethnologen und Studierende unter Leitung von Mareile Flitsch die Alltagsfertigkeiten der Menschen.

Alljährlich findet im buddhistischen Nordosten Thailands ein grosses Tempelfest statt. Es ist dem selbstlosen Prinzen Vessantara gewidmet, der in seinem vorletzten Leben grosszügig alles, einschliesslich seiner Familie verschenkte, um nach seinem Tod als Buddha wiedergeboren zu werden – so berichtet die Legende.

Fotografie von der Festvorbereitung für das grosse Tempelfest. Fotodokument im Völkerkundemuseum

Noch bis Mitte April zeigt eine kleine Ausstellung im Völkerkundemuseum der Universität Zürich Poster und Rollbilder mit Darstellungen der Legende sowie Filmaufnahmen von den vielfältigen Vorbereitungen auf das Tempelfest. Besucher, die von der lärmigen Pelikanstrasse in den alten botanischen Garten, den Park zur Katz abzweigen, finden sich in einer anderen Welt wieder. Bei freiem Eintritt sind pro Jahr drei Ausstellungen zu besichtigen, zu denen an der Universität Lehrveranstaltungen stattfinden. Der Öffentlichkeit werden überdies Literatur, Führungen und Vorträge angeboten.

Bildrolle der Vessantara-Legende

Grundlagenforschung – selten in Museen

Für Aussenstehende weniger ins Auge fallend ist die Grundlagenforschung des Mitarbeiterteams, unter anderem an den etwa 40 000 Sammlungsobjekten des Museums unter Einbezug zahlreicher Studenten und Doktoranden der Ethnologie. «Grundlagenforschung findet in der Regel an der Uni, aber nur selten an Museen statt», erklärt die Ethnologin und Direktorin, Professor Mareile Flitsch. «Gerade deshalb ist es uns auch ein Anliegen, die Öffentlichkeit darüber zu informieren.» In diesem Sinne setzt das Museum auch Akzente für den Schulunterricht. Im Bücherregal des Empfangsraums sieht man neben zahlreichen Veröffentlichungen Bücher für die Schule. Und gelegentlich leihen sich die Lehrer Museumskisten für den Unterricht aus.

Kurator Thomas Kaiser erklärt das Vessantara-Epos

Skills im Mittelpunkt

Zehn Jahre ist es her seit Mareile Flitsch – von der Technischen Universität Berlin kommend – einen Lehrstuhl am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft (ISEK) sowie die Leitung des Völkerkundemuseums übernahm. Was charakterisiert ihre Handschrift, die seither die Forschungsperspektiven prägt? Das Fachwort heisst Technikethnologie. Im Fokus stehen die handwerklichen und sozialen Fähigkeiten der Menschen, als deren Resultat ein Objekt entstanden ist. Der Blick richtet sich auf die Alltagsfertigkeiten, das praktische Wissen, auf das, was heute gern mit dem englischen Wort Skills zusammengefasst wird.

Bücher für junge und jüngste Forschende im Empfangsraum des Museums

Dabei geht es um das Thema sozial-technische Intelligenz», erklärt Mareile Flitsch. «So stehen zum Beispiel bei einer der nächsten Ausstellungen des Afrikakurators Alexis Malefakis Trommelskills im Fokus, sprich die Könnerschaft im Umgang mit der Trommel in Bezug auf Rhythmik und musikalische wie auch gesellschaftliche Resonanz.»

Als Beispiel für die Erforschung der Alltagsfertigkeiten schildert die Professorin ein soeben erforschtes Flechtband aus West-Nepal, das nur scheinbar mittels Brettchen-Weberei angefertigt wurde. In Wirklichkeit hatten die Flechter eine raffinierte Methode der Fingerverlängerung erfunden. Dem Museum waren bereits zwei Techniken der Musterherstellung bekannt. Diese allerdings – ausgeführt mit Hilfe einer unscheinbaren Holzstütze – war ihnen völlig neu.

Bewahrer handwerklicher Kunst

Als Folge von Modernisierung und Globalisierung gehen handwerkliche Fertigkeiten verloren und geraten in Vergessenheit. Aber dann kommen plötzlich – wie in Zürich – die Angehörigen einer indigenen Gruppe von der Westküste Kanadas zu Besuch, um Beispiele dreidimensionalen Flechtens zu studieren und die Könnerschaft ihrer Vorfahren zu erforschen. Sie waren am rechten Ort. Denn ein grösseres Ziel am Museum ist, die Systematik der Geflechte der Schweizerin Noémi Speiser zu nutzen, um in der Sammlung alle heute bekannten Arten des Flechtens möglichst umfassend zu bewahren. Nur so können auch die Möglichkeiten bewahrt werden, die alten Fertigkeiten wieder zu erlernen. So gesehen ist es nicht unbescheiden, wenn das Zürcher Völkerkundemuseum sich in einer Publikation einen wichtigen Beitrag am Erhalt des Weltkulturerbes zuschreibt.

Milchwirtschaft in Uganda und in der Schweiz – hier ein Blick in die Ausstellung in Kampala. © Völkerkundemuseum. Foto: Marc Alexander Meyer

Uganda zeigt Schweizer Milchwirtschaft

Ein Highlight dürfte die Ausstellung Sichtweisen über eine Museumspartnerschaft mit Uganda werden, die am 13. April 2018 eröffnet wird. Zwei ugandische Museen sind involviert. Ihr Interesse gilt der Milchwirtschaft in der Schweiz. Im Zuge ihrer Recherche haben afrikanische Kulturhistoriker und Ethnologen die hiesige Milchproduktion erforscht. Erstmalig seit dem 70-jährigen Bestehen desNationalmuseums in Kampala werden dort europäische Objekte ausgestellt. Wobei ein gemischt-nationales Team an den Ausstellungskonzepten beteiligt ist. In Uganda wurden bereits zwei Ausstellungen eröffnet. Zurzeit entsteht noch eine Wanderausstellung.

Mareile Flitsch ist im Völkerkundemuseum  Museumsleiterin und Forscherin sowie Lehrerin an der Uni Zürich

Die gleichzeitige Ausstellung in Zürich widmet sich der Museumskooperation selbst und den verschiedenen Sichtweisen, die während der Kooperation aufeinandertrafen. «Übrigens, die afrikanischen Kollegen waren sehr erstaunt, dass den Kühen in der Schweiz die Hörner weggenommen werden», berichtet Mareile Flitsch. Mit Uganda wurde auch bereits ein weiteres Projekt realisiert: «Disability and Technology». Darin geht es um Technik, die behinderten Menschen das Leben erleichtern soll. Ugandische sowie Zürcher Studierende und Doktorierende forschten während des gesamten Projekts gemeinsam. Gerade werden die ersten Dissertationen fertig.

Zusammenarbeit auf Augenhöhe

Besonders erfreulich bei dieser Art Zusammenarbeit sei, dass sich heute West und Süd beziehungsweise West und Ost auf Augenhöhe begegnen und dass auch Mittel für gemeinsame Forschungsprojekte zur Verfügung stehen, stellt die Professorin fest.

Das mit der Augenhöhe gilt auch in umgekehrter Richtung: Im Zusammenhang mit einer geplanten Ausstellung über die Reprivatisierung des Handwerks in China unter dem Arbeitstitel Fünfzig Schattierungen in grün, schwarz, blau sei letztes Jahr ein chinesischer Familienclan der Seladonmeister aus der Porzellan-Metropole Long Quan zu Besuch gekommen. «Die Chinesen wollten prüfen, ob das Museum in Zürich einer Ausstellung chinesischer Meisterstücke sowie der Vorstellung eines wiederbelebten alten Handwerks mit nunmehr umweltfreundlichen Brennöfen würdig sei», schmunzelt Mareile Flitsch, die als Sinologin fliessend Mandarin spricht.

Alle Fotos © Christine Kaiser (Ausnahme bezeichnet)
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