StartseiteMagazinKulturWelt der Steine und Pflanzen, Welt der Stille und Klänge

Welt der Steine und Pflanzen, Welt der Stille und Klänge

Das Aargauer Kunsthaus präsentiert in einer Einzelausstellung das Schaffen der Luxemburger Künstlerin Su-Mei Tse.

Auf Podesten unterschiedlicher Höhe, aber für das Ausstellungspublikum in angenehmer Schauhöhe liegen Kartoffeln mit ausgewachsenen Keimlingen – aus Keramik. Die Installation nennt die Künstlerin Su-Mei Tse Das Ich in jeder Kartoffel, ein versponnen humorvoller Hinweis auf die Einzigartigkeit des Individuums und die Kraft des Lebens, die in jedem steckt.

Das Ich in jeder Kartoffel, 2006-2011. Detailansicht. Foto: E. Caflisch

Su-Mei Tse (*1973), Luxemburg-Chinesin, hat 2003 den Goldenen Löwen an der 50. Biennale in Venedig gewonnen, was sie international bekannt machte. Die Ausstellung Nested, entstanden in Zusammenarbeit des Aargauer Kunsthauses mit dem Luxemburger Museum für moderne Kunst Mudam, reist später adaptiert weiter nach Schanghai und Hongkong.

Su-Mei Tse stellt in ihren Objekt-, Video-, und Fotoarbeiten Fragen nach dem menschlichen Dasein, nach Geborgenheit und Kreativität. Sie horcht auf ihre Intuition, entwickelt ihre Ideen in der Natur und aus der Literatur und Philosophie, schafft eigentümlich schöne und poetische Werke, welche den Bezug zum Alltag reflektieren. Als Musikerin – vor ihrem Werdegang zur bildenden Künstlerin hat sie sich dem Cello gewidmet – geht sie in ihren Videos subtil und überlegt mit Stille, Geräusch und Musik um.

Die Künstlerin in der Ausstellung vor den Tintenkleks-Zeichnungen. Foto: E. Caflisch

Motive findet sie in der Pflanzenwelt, wobei sie frische Früchte oder Zweige mit Fotografien oder anderen Objekten installativ kombiniert. Beispielsweise im Raum mit ihren Fotos von antiken Statuen in Rom, darunter ein steinerner Arm mit Granatapfel, der sich im frisch aufgeschnittenen Granatapfel auf dem Sockel gegenüber spiegelt.

Gewisse Rahmenbedingungen 3 – Villa Faresina, 2015-2017. Videostill. © Su-Mei Tse

Für Su-Mei Tse sind Sockel und Podeste für ihre Objekte, oft Fundstücke wie speziell geformte und gezeichnete Steine oder vom Meer ausgewaschene Kalkformationen, ein integraler Bestandteil. Mit der Stone-Collection-Installation bezieht sie sich auf die Gelehrtensteine in der chinesischen Tradition. Den stillen Raum, der zur meditativen Betrachtung verführt, ergänzt sie abendländisch mit dem Neon-Wort NOW. Einen der Findlinge hat sie auf Sand gebettet und an einem Ende vergoldet: Das weise sichtbar auf die „Imperfektion“ hin, sagt sie, vergoldet und damit verdeutlicht hat sie eine Bruchstelle, statt das Stück diskret wieder anzufügen. Eine Botschaft ist also, dass die Sammlung nicht in Stein gemeisselt ist.

Nested #6, 2017. Courtesy Edouard Malingue Gallery, Hong Kong. Foto: Rémi Villagggi/Mudam Luxembourg

Die Serie Nested, welche titelgebend war, besteht aus weissen, von Wasser ausgehöhlten Kalksteinen, in deren Höhlen und Nischen sie farbige Kugeln aus verschiedenen Mineralien gebettet hat. Auch hier kommt weiter, wer seine Gedanken schweifen lässt, assoziativ auf das Geschaute reagiert. Esoterik darin zu suchen wäre freilich nicht sinnvoll. Su-Mei Tses Kunst ist leise, manchmal hintersinnig und immer sehr poetisch, aber durchaus aus dem gelebten Alltag erarbeitet.

Beispielsweise das Video Pays de Neige (2015), das sie bei ihrem Jahresaufenthalt in der Villa Medici in Rom realisierte: Die Künstlerin streift – einen Rechen hinter sich her ziehend – über die Kiesplätze und -Wege des weitläufigen Parks. Mit dem Ritual an dem geschichtsträchtigen Ort löscht sie die Spuren ihrer Vorgänger und erzeugt eine freie Fläche als Raum für ihre Kreativität. Meditativ und zugleich zielstrebig geht sie, Respekt für den Zen-Geist und für die europäische Kulturgeschichte.

Pays de neige, 2015. Videostill. Courtesy Peter Blum Gallery, New York und Galerie Tschudi, Zuoz

Stille und Leere sind in Su-Mei Tses Arbeiten immer wieder Thema, beispielsweise beiWhite Noise(2009): Ein Plattenspieler mit Vinylplatte, deren Oberfläche mit weissen Kügelchen belegt ist, dreht sich als Symbol für das weisse Rauschen, ein akustisches Phänomen, bei dem sich alle hörbaren Frequenzen so vermischen, dass sie sich gegenseitig neutralisieren – den Klang der Stille ergeben. Die Musikerin verwendet auch bestehende Partituren in ihren Videos: In Mistelpartition (2006) streift die Kamera an einem blätterlosen Birkenwald mit Mistelnestern vorbei. Daraus bilden sich da und dort weisse Kreise, die Partitur zu Schostakovitchs Cellokonzert Nr. 1, welches erklingt.

Many Spoken Words (Detail), 2009. In Zusammenarbeit mit Jean-Lou Majerus. Sammlung Mudam, Luxemburg. Foto: Jean-Lou Majerus

Su-Mei-Tse will in ihren Arbeiten keine Geschichten erzählen, sondern „poetische Bilder“ schaffen. Und spürbar bleibt die Auseinandersetzung mit ihrer eurasischen Existenz. Auch das Wort vor allem als Schreiben spielt eine Rolle. Mehrmals taucht Tinte als Flüssigkeit, Pulver oder Kleks auf Papier auf, hier Notenpapier mit zufällig und schmerzlich falsch gesetzten Noten. Das Tintenpulver auf dem kleinen Schreibtisch, das leicht verloren gehen könnte, erinnert an die Verluste, die bei der Kulturarbeit der Übersetzung D‘une langue à l‘autreentstehen. Und das grosse Objekt eines römischen Brunnens der Tinte vergiesst, kommentiert mit dem Neon-Wort Undoverweist darauf, dass jeder Wortfluss rückgängig gemacht werden könnte bis zum Ursprung. Zugleich ist er eine Hommage an die Weltliteratur.

Su-Mei Tse arbeitet konzeptuell, ihr Werk ist das Produkt ihrer Suche nach der Existenz, der Erinnerung, der Musik und der Sprache. Im Zentrum der Einzelausstellung in Aarau stehen neue Arbeiten, die nach ihren Aufenthalten in Rom und in Japan entstanden sind. Zur Vernissage des Katalogs Nested am 10. Juni, 17 Uhr wird sich die Künstlerin mit den Co-Kuratoren Katrin Weilenmann, Aargauer Kunsthaus, und Christophe Gallois, Mudam Luxemburg in Aarau unterhalten.

5. Mai bis 12. August

Gleichzeitig eröffnet das Aargauer Kunstmuseum die Ausstellung «Bilder für alle. Druckgrafik und Multiples von Thomas Huber 1980-2018», sowie «On the Road. 10 Jahre CARAVAN – Austellungsreihe für junge Kunst».
Alle Informationen zu den Ausstellungen und Veranstaltungen finden Sie hier.

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