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Kommissär Hunkelers Erfinder

Hansjörg Schneider blickt in seiner Autobiografie «Kind der Aare» auf seine Kindheit und die Jahrzehnte seines Schreibens zurück.

Das Werk des Schriftstellers Hansjörg Schneider auf seine Kriminalromane zu reduzieren, wäre so wenig erhellend wie einen Scheinwerfer nur in eine kleine Ecke der Theaterbühne zu richten. Als Theaterschriftsteller nämlich, als Dramatiker hat sich er in erster Linie gesehen. Der Erfinder, als Film mit Bruno Ganz in der Hauptrolle berühmt geworden, fusst auf einem Theaterstück von Hansjörg Schneider. Das Sennentuntschi verursachte Skandale im Theater, Fernsehsendungen wurden abgesetzt. Dabei, schreibt der Autor in Kind der Aare, habe er nichts anderes beabsichtigt, als eine alte Sage in einem Theaterstück aufleben zu lassen.

An der Aare, im Aargau und schliesslich in Basel am Rhein, in den die Aare ihre Wasser entlassen hat, da sieht Schneider seine Wurzeln: Ich bin ein Kind der Aare, so beginnt seine Autobiografie. Darauf folgt eine begeisternde Eloge auf den Fluss und die gesamte Landschaft des Aargaus. Hier zeigt sich Heimatverbundenheit im traditionellen Sinne: Schneider beschreibt die verschiedenen Landschaften – die auf früheren Herrschaften gründen -, die kulturellen Denkmäler, die Menschen, die den Aargau geprägt haben, lange bevor der Kanton als politische Einheit entstanden war. Durch das ganze Buch zieht sich wie ein Leitfaden der Blick auf bemerkenswerte, aber oft vergessene Dichter und Schriftsteller sowie auf Verlage, die für die Veröffentlichung eben dieser Literatur besorgt waren.

Viele Stunden verbrachte Hansjörg Schneider im Theater bei den Proben seiner Stücke.  Foto: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag

Hansjörg Schneider sieht sein Leben geprägt von der Aargauer Geschichte, von den Menschen, denen er begegnete, weniger durch das genetische Erbe seiner Familie. Er schreibt ausführlich über sie, aber gerade zu seinem Vater hatte er zeitlebens ein schwieriges Verhältnis. Das wurde wohl noch verschärft durch den frühen Tod der Mutter, die an Multipler Sklerose erkrankt war und starb, als er noch Gymnasiast war. Ein traumatisches Ereignis für ihn, verstärkt durch die Sprachlosigkeit, mit der die Familie darauf reagierte – die Trauer war für lange Zeit wortlos. Dabei war ihm Sprache, Literatur und Dichtung, Kunst, seit Kindheit ein wichtiges Ausdrucksmittel. Er hatte sich darin von seiner Mutter bestärkt und gefördert gefühlt. Umso schwerer wog ihr Verlust für ihn.

Schneider erzählt anekdotisch aus seiner Kindheit. Vor genau achtzig Jahren geboren, kann er sich an die angespannten Zeiten des Zweiten Weltkriegs erinnern, ebenso, was er aus früheren Generationen von seiner Familie weiss. So war es im ländlichen Würenlingen, wo sein Vater aufgewachsen war, selten, dass jemand Tomaten ins Dorf brachte; und wenn der Schuhmacher auf Stör ins Dorf kam und gepaarte Schuhe, d.h. einen für links und einen für rechts, anfertigte, fanden die Dorfleute das höchst ungewöhnlich. Gerade weil er sich mit seinem Vater, von Beruf Lehrer, nicht gut verstand, dachte Schneider viel über Erziehung nach und beschreibt seine Schulzeit ausführlich.

Beeindruckend sind seine Kenntnisse der Schweizer Literatur, gerade auch der Mundartliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts. Viele davon sind heute vergessen, eine Sophie Hämmerli Marti kennen wohl nur noch diejenigen, die wie Schneider damals die Schule im ländlichen Raum besucht haben; und zufrieden schreibt er, dass ein Carl Albert Loosli spät noch die Wertschätzung erhalten habe, die ihm zustehe. In dieser Nische der Schweizerdeutschen Literatur, aber gern auch mit Ausstrahlung in den deutschen Sprachraum, sieht Schneider seinen Platz. Er zitiert Dürrenmatt, Kunst solle dort gemacht werden, wo niemand sie vermutet. Das tut Schneider in seiner letzten «Theater-Periode»: Er arbeitet mit verschiedenen Regisseuren aus dem Bereich des Laientheaters zusammen und erlebt im «Landschaftstheater» seine Erfolge, ungeschmälert von Kritikern.

Schreiben ist ihm nämlich ein Lebenselixier. An verschiedenen Stellen erwähnt er, dass er, wenn er einen Moment Musse hat, sein Heft aus der Tasche nimmt und schreibt. So gelingt es ihm auch in diesem Buch, den Rückblick auf sein Leben anschaulich, genau und leicht lesbar aufzufächern, so dass die Lektüre bis zum Schluss erfreulich bleibt. – Abgesehen von den Abschnitten, in denen sich unser Autor missverstanden oder respektlos behandelt fühlt, wo man seinem Werk nicht gerecht wird oder eine Theateraufführung misslungen ist. Das kommentiert Schneider mit sehr spitzer Feder. Auch die seiner Meinung nach ungerechte Behandlung in der Schule hat er nicht vergessen.

Über einen wichtigen Teil seines Lebens, seine eigene Familie, schreibt er nur nebenbei. Das mag daran liegen, dass er in einem seiner besten Werke Nachtbuch für Astrid, erschienen 2000, seine Liebe und den Schmerz über den Tod seiner Frau sehr berührend dargestellt hat. Diese Autobiografie könnten wir als Ergänzung dazu ansehen.

Fast nichts erzählt Schneider über seine Hunkeler-Romane, als sei es leichter, über Misslungenes zu sprechen als über durchschlagende Erfolge. Wie er selbst sagt, steckt in Kommissär Hunkeler vieles vom Autor selbst drin, die beiden bewegen sich nicht nur an den gleichen Orten, sie haben auch einige gemeinsame Charakterzüge und Gewohnheiten. – Also warten wir ab, ob Hansjörg Schneider seinen Hunkeler noch einmal agieren lässt.

 

Hansjörg Schneider:  Kind der Aare. Autobiographie mit einem Nachwort von Beatrice von Matt. Diogenes Verlag 2018. 352 Seiten.  ISBN 978-3-257-07016-3.

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