StartseiteMagazinKulturEhedilemma in Zeitlupe

Ehedilemma in Zeitlupe

Ganz dicht am Original: Felicitas Brucker inszeniert am Schauspielhaus Zürich Johann Wolfgang von Goethes Roman «Wahlverwandtschaften».

Eduard und Charlotte – ein schönes Paar, in zweiter Ehe glücklich miteinander verbunden. Sie sind reich und Besitzer eines Anwesens auf dem Land. Sie kümmert sich um den Garten, er um den Ausbau des Guts. Man könnte es Zufriedenheit nennen, denn Geld ist da, Zeit ist da, Zuneigung ist da. Doch Eduard lädt seinen arbeitslosen Freund, den Architekten Otto, ein und Charlotte ihre blutjunge, mittelose Nichte Ottilie. Nur so? Nicht ganz. Es kommt, wie es kommen muss. Die Paare verlieben sich übers Kreuz, ja die Hausherren planen dieses Abenteuer sogar vorsätzlich. Aus erotischem Interesse? Aus Langeweile? Aus einem Naturgesetz heraus?

Ein psychologisches Kammerspiel

Aus dieser Begegnung kommt keiner seelisch unversehrt wieder heraus. Und noch schlimmer. Das Experiment gerät zu einer Explosion in Zeitlupe. Die unheilvolle Konstellation führt ins Unglück, die vier werden schliesslich zerrieben. Mit seinem 1809 erschienenen Roman «Die Wahlverwandtschaften» kritisiert Goethe die veraltete Gesellschaftsordnung, stiess bei seinen Zeitgenossen jedoch auf wenig Verständnis. Zwar erscheint die Ehebruchs-Thematik im heutigen Zeitalter der Scheidung weniger provokant. Doch das ändert nichts daran, dass die Wahlfreiheit in der Liebe und das Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Moral und intuitivem Verlangen zeitlos gültig sind.

Mehrfach gespiegelt (v.l.): Hans Kremer als Otto, Elisa Plüss als Ottilie, Julia Kreusch als Charlotte und Matthias Neukirch als Eduard.

Wie ein modernes Stück über Gefühle, die der natürlichen Ordnung einen dicken Stich durch die Rechnung machen, kommt die Geschichte in der Fassung daher, die Felicitas Brucker für die Pfauenbühne dramatisiert und in Szene gesetzt hat. Geboten wird ein psychologisches Kammerspiel, das sich durch Düsternis auszeichnet, gepaart mit einem Schuss Ironie und Witz. Die Geschichte spielt bekanntlich in einem Garten, also in der Natur. Doch die Protagonisten agieren in einem achteckigen, neonbeleuchteten schwarzen Raum, ausgestattet mit transparenten Vorhängen und Spiegeln – eine provokante und zugleich verwirrliche Andeutung des Landschaftsparks von Eduard und Charlotte (Bühnenbild: Viva Schudt).

Goethes Sprache ist immer präsent

Felicitas Brucker hält sich streng an die Diktion Goethes, gespielt wird meist mehr mit dem Kopf als mit dem Herzen. Goethes Sprache ist immer präsent und durchaus pathetisch. Die Spieler, farbenfroh gekleidet in heutigem Look, agieren anfänglich eher steif und verhalten, singen schön im Chor, nähern sich übers Kreuz erzählend einander an, theoretisieren, lamentieren und philosophieren über existenzielle Erfahrungen jenseits gesellschaftlicher Konventionen. Später, als es tragisch wird, bricht die Anarchie der Gefühle durch. Charlotte hatte ein Kind bekommen und ausgerechnet ihrer Nichte Ottilie fällt es versehentlich ins Wasser und ertrinkt. Mit dem Schock wechselt die Stimmung. Eduard ringt und bettelt verzweifelt um die Liebe Ottilies, verstummt nach Ottilies Tod und stirbt, derweil Charlotte und Otto versuchen, «vernünftig», wenn auch ratlos, mit der Situation umzugehen. «Versprich mir zu leben», sagt sie. «Ich verspreche es!», sagt er zum Schluss.

Wahlverwandte Anziehungskräfte setzen Leidenschaften in Gang (v.l.): Elisa Plüss, Julia Kreusch und Hans Kremer. (Fotos: Toni Suter / T+T Fotografie)

Den vier Spielern (Julia Kreusch als Charlotte, Elisa Plüss als Ottilie, Matthias Neukirch als Eduard und Hans Kremer als Otto) gelingt es nur teilweise, das Dilemma der Wahlverwandtschaft spannungsvoll herauszuspielen. Zu nüchtern, zu distanziert, zu minimalistisch sind die einzelnen Auftritte gestaltet. Wohl ist die Regie bemüht, die unterschiedlichen Züge der Personen und auch der Situationen sichtbar zu machen, das tragische Ausmass des Stücks mit einigen originellen Einlagen aufzuheitern, doch insgesamt wird eine eher trockene, wenig überzeugende Umsetzung des Goethe-Stoffs geboten. Das mindert die schauspielerische Leistung der vier Darsteller in keiner Art und Weise. Ihnen gelingt es vorzüglich, die überhöhte Kunstsprache Goethes intensiv und zeitgemäss zu vermitteln. Dafür gabs am Premierenabend starken Applaus.

Weitere Spieldaten: 1., 7., 9., 11., 14., 19., 29. Oktober, 2., 12., 25. November, 1. Dezember

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