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Den Tod kennenlernen

Blumenschatten

Über das Sterben, den Tod und die Trauer schreibt der deutsche Journalist und Autor Roland Schulz – genau und einfühlend gleichermassen.

«So sterben wir» heisst das Buch von Roland Schulz. – Als ich einer Freundin davon erzählte, beendete sie das Thema schnell mit der Bemerkung «Das will ich gar nicht wissen.» Und doch sind wir oft genug eben damit konfrontiert. In der Familie und Freundeskreis verlieren wir vertraute Menschen durch den Tod, in unzähligen guten oder weniger guten Büchern oder Filmen sterben Personen, nicht zu reden von den Medien, die entsprechend ihrem Selbstverständnis respektvoll oder voyeuristisch mit dem Tod umgehen.

Um all diese Dinge geht es in diesem Buch nicht. Der Autor schreibt nicht über das Sterben und den Tod, er beschreibt den Sterbeprozess so genau, wie es für einen Lebenden möglich ist. Roland Schulz, geboren 1976 in München, als Journalist mehrfach ausgezeichnet, arbeitet für das Magazin der Süddeutschen Zeitung. Im Nachwort schreibt er, er sei auf die Brisanz von Sterben und Tod gestossen, nachdem 2014 im Deutschen Bundestag eine hoch aufgeladene Debatte um Sterbehilfe geführt worden war und – als Kontrast – nachdem er die Geburt seiner Kinder erlebt hatte.

Das Buch fusst auf zahlreichen Recherchen: Fachliteratur, Gespräche mit Ärzten, Pflegenden, Palliativmedizinerinnen, Juristen, mit allen, die mit der Bewältigung des Sterbens und des Todes zu tun haben; nicht zuletzt stützt sich Schulz auf seine praktischen Erfahrungen: Er begleitete unter anderem Bestatter bei ihrer täglichen Arbeit. Daraus ist ein Buch in drei Teilen entstanden: Sterben – Tod – Trauer.

Respekt und Empathie angesichts des Sterbens

Keine Beschreibung kann voll erfassen, was vor sich geht, wenn das Leben eines Menschen zu Ende geht. Niemand, der das Geschehen ernst nimmt, kann dies nur als unbeteiligter Beobachter schildern. Roland Schulz wählt deshalb die Form eines freundschaftlichen Gesprächs: Er spricht zu einem Menschen, der spürt, dass er sterben wird, und begleitet ihn – fiktiv – über den Tod hinaus.

Roland Schulz © Dirk Bruniecki / Piper Verlag

So kann der Autor schildern, welchen Phasen der Sterbevorgang folgt. Zugleich bringt er als Sprechender bzw. Schreibender der sterbenden Person Respekt und Empathie entgegen. Darin liegt eine der grossen Qualitäten dieses Buches. Wir erfahren viel über das Sterben, all das Wissen und die Erfahrungen, die Schulz zusammengetragen hat, und sehen zugleich einen Menschen vor uns, der – wie wir alle – nicht wissen kann, was mit dem Tod und danach auf ihn zukommt.

Schulz schreibt, dass die Ärzte fürs Sterben einen Ablauf definiert haben, und doch bleibt es ein individueller Prozess: «Dein Sterben ist ein Prozess voller Dynamik, so einzigartig wie dein Leben. Jeder Mensch erlebt diesen Prozess auf seine eigene, einmalige Weise.» So beginnt der Autor sein Gespräch mit dem Sterbenden damit, dass er ihm von den Möglichkeiten erzählt, wie sich die letzte Phase des Lebens anfühlen kann. Schulz lässt sich Zeit, bringt die medizinischen Begriffe ins Spiel, so dass wir Lesenden, wenn wir in die Lage kämen, selbst einen sterbenden Menschen begleiten zu sollen, und das Buch zur Hand hätten, uns auf die Begrifflichkeit vorbereiten könnten. Einer der wichtigsten Gedanken dieses Buches ist folgender:

«Sterben zu schildern, birgt eine Gefahr: Wer Sterben zu erklären sucht, erzeugt – ob er will oder nicht – ein Gefühl des Wissens und damit der Kontrolle. Das, warnen Wissenschaftler, ist eine Illusion. Keiner kann wissen, was im Tod ist. Im Sterben stoßen der Verstand, das Denken, die Vernunft an ihre Grenzen: Da gibt es keine Gewissheiten mehr. Sicher ist jedoch: Sterben ist genau das Gegenteil von Kontrolle. Nicht lange, und du wirst die Hoheit über Körper und Geist vollkommen verlieren, unwiderruflich.»

Wir folgen dem – einseitigen – Gespräch des Autors atemlos. Zu verfolgen, wie ein Leben zu Ende geht, weckt unwillkürlich unser Mitgefühl, aber auch unsere Wissbegierde. Dadurch entsteht eine Spannung, so dass wir das Buch vor dem Ende des Kapitels ungern weglegen.

Der Tod fordert alle

Während sich Schulz im Kapitel «Sterben» nur an eine Person wendet, zieht er in den beiden folgenden Kapiteln weitere Personen hinzu, ohne seine Erzählhaltung gegenüber dem fiktiven Gesprächspartner aufzugeben. Um die Varianten darzustellen, die nach einem Tod zu bewältigen sind, schildert der Autor drei weitere (erdachte) Todesfälle: eine alte Frau, die in der Nacht allein in ihrem Bett gestorben ist, ein Kind, das an Krebs gestorben ist, und ein junger Mann, der zu waghalsig auf ein Gerüst geklettert war und abgestürzt ist. Gespickt mit einer Fülle praktischer Informationen schildert Schulz ganz konkret, welche Vorgänge von Amts wegen und im Zusammenhang mit der Beerdigung vonnöten sind. – Es sind zahlreiche! Dieses Kapitel ist das längste der drei. Zur Häufigkeit der Todesfälle weltweit weiss Schulz: In jeder Sekunde sterben auf der Erde zwei Menschen, statistisch gesehen. Hätten Sie das erwartet?

Wir Lesenden spüren, dass das Abschiednehmen möglicherweise noch stärker mit Gefühlen verbunden ist als das Sterben selbst – das gilt auch für das Trauern danach. Während Schulz im Kapitel «Sterben» ausführlich über die Angst, ja vielleicht auch die Panik spricht, die den einzelnen angesichts des Todes unwillkürlich überfallen kann, sind es im Kapitel «Trauer» alle diejenigen, die mit dem Verlust zurechtkommen müssen. Achtung, Respekt, und nüchterne Sachlichkeit, was die Fakten betrifft, bestimmen auch hier die Sprache des Buches.

Trauer – still und schmerzhaft

«Trauernde, die ihren Schmerz später sezierten, erinnern von diesem Abend der Beerdigung nicht viel. Die Stille, die sie daheim umfing. Die Leere, die alle Räume füllte.» Der Autor spricht eigentlich immer noch mit dem gedachten Gesprächspartner, aber mehr und mehr redet er über die Zurückgebliebenen und ihren Prozess der Trauerarbeit.

«Wie gleichgültig der Welt dein Verlust ist. Ein Spalt tut sich auf, ein Riss entsteht. Manche Trauernde nehmen diese Kluft wie dinglich wahr, sie spüren, wie sich etwas zwischen sie und den Rest der Welt schiebt, eine unsichtbare Wand, eine Barriere, unüberbrückbar.»

Das Nachwort gibt Aufschluss über die Beweggründe des Autors, dieses Buch zu schreiben, und seine Vorgehensweise. Es empfiehlt sich, das Nachwort als Einstieg zu lesen. Wer sich in die Thematik vertiefen will, findet am Schluss ein umfangreiches Literaturverzeichnis.

Roland Schulz, So sterben wir. Unser Ende und was wir darüber wissen sollten. Piper Verlag 2018; 240 Seiten. EAN 978-3-492-05568-0

Titelbild:  Blumenschatten  © A. Dreher / pixelio.de

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