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Lobbyismus

Die Medien sind voll davon. Lobbyisten lauern im Bundeshaus in Bern, in der Wandelhalle. Sie wollen Politikerinnen und Politiker umgarnen. Und plötzlich erinnere ich mich, dass seinerzeit mein erster Auftritt im Nationalrat auch der einer Lobbyistin war. Oder mindestens war ich von Lobbyisten beeinflusst!

Wir waren eine ganze Gruppe aus verschiedenen Fraktionen, angeführt von einem sozialdemokratischen Nationalrat. Im Rahmen des Geschäftes der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen setzten wir uns für einen Antrag einer Minderheit ein.

Der Inhalt: Die Betriebsbeiträge des Bundes an die Justizheime sollten vom Bund weiterhin bezahlt werden. Durch diese finanziellen Beiträge hatte der Bund einen gewissen bestimmenden positiven Einfluss auf die Führung der Heime, auf die Ausbildung des Personals, auf die Gestaltung der Programme.

Der Bund wollte sich zurückziehen und die Aufgabe völlig den Kantonen überlassen. Damit war ich, zusammen mit anderen Mitgliedern des Rates, nicht einverstanden. Der Bund sollte seinen guten Einfluss weiter ausüben können. Dafür setzten sich auch die Heimleiter ein, die sich an uns gewandt hatten.

Es ging uns um die damals rund 4000 Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich schweizweit in Justizheimen aufhielten. Eingewiesen worden waren sie im Rahmen eines Strafverfahrens durch ein Jugendgerichtsurteil. Dabei muss man wissen, dass im Jugendstrafverfahren anders als im Erwachsenenstrafrecht nicht auf die Schwere der Tat abgestellt wird. Eine prekäre Erziehungssituation im Herkunftsmilieu eines betroffenen jungen Menschen kann zu einer Einweisung führen. Diese jungen Menschen sollen in diesen Institutionen erzieherisch, schulisch, beruflich so gefördert werden, dass sie als Erwachsene auf eigenen Beinen stehen können.

In dieser Materie kannte ich mich aus. Als Jugendanwältin war ich Untersuchungsrichterin für Kinder und Jugendliche. Heimeinweisungen waren nicht an der Tagesordnung. Um so sorgfältiger suchten unsere Sozialarbeiter jeweils im gegebenen Fall nach der geeigneten Institution. Das war nicht immer einfach. Der Rückzug der Einflussnahme des Bundes eröffnete für die Weiterentwicklung dieser Institutionen keine gute Perspektive!

Während des Wahlkampfes hatten mich Leute aus dem Publikum immer wieder gefragt, wofür ich mich denn im Rat einsetzen werde. Ich merkte, dass allgemeine Aussagen nicht befriedigten. Natürlich wollte ich mich für die Frauen einsetzen oder für den sozialen Ausgleich. Aber die Leute wollten Konkreteres wissen. Aufgabenteilung, Rückzug des Bundes aus finanziellen Verpflichtungen, das war ein Thema, das viele aus verschiedenen Gründen, in vielen Bereichen, manchmal auch aus eigener Betroffenheit, ansprach. Sie verstanden mein Einstehen für Jugendheime.

Im Dezember 1983 wurde ich im Nationalrat vereidigt. Schon im März 1984 war mein Geschäft traktandiert. Natürlich war ich nicht in der entsprechenden Kommission gewesen, die schon längere Zeit tagte. Aber damals hatten wir noch «paradiesische Zustände» im Rat. Jeder Nationalrat, jede Nationalrätin, konnte sich in der Debatte im Plenum einmischen, um ein bestimmtes Anliegen zu unterstützen. Ungeachtet, ob sie in der entsprechenden vorberatenden Kommission Mitglied gewesen waren oder nicht.

Und so meldete ich mich für mein erstes Votum im Plenum an. Mit einem mulmigen Gefühl. Meine Hauptsorge war, ob ich es denn ohne Zwischenfall von meinem Sitz bis zum Rednerpult schaffen würde. Da musste ich zuerst Kollegen derangieren, bis ich aus meiner Bankreihe heraus war. Dann musste ich einige unregelmässig angeordnete Tritte hinuntersteigen. Nachher waren bis zum Rednerpult wieder andere Tritte zu überwinden. Damals lagen da auch noch Fernsehkabel herum, auf die es Acht zu geben galt.

Mein Votum hatte ich schriftlich vorbereitet. Ich habe es kürzlich wieder durchgelesen. Gar nicht schlecht für eine Anfängerin! Und ich wusste, dass ich beim Reden nicht an meinem Papier kleben bleiben durfte, sondern «überzeugende Blicke» in die Runde werfen musste. Nach allen Seiten!

Das Unwahrscheinliche, das Unerwartete, geschah: Unser Minderheitsantrag erreichte zur Überraschung aller eine Mehrheit im Plenum. Denn was wir forderten war im Rahmen des Geschäftes Aufgabenteilung ein eher «nebensächliches» Anliegen gewesen. Wen konnte das schon interessieren?

Unvergessen ist mir die Reaktion des betroffenen Bundesrates. Die Niederlage in diesem Punkt ärgerte ihn sichtlich. Und er machte seinem Ärger auch Luft! Mit vorwurfsvollem Blick meinte er: «Da hat sich ja eine ganze Heimlobby aufgebaut!»

Ich weiss noch, dass ich diesen Vergleich mit Lobbyisten, welche sich im allgemeinen für Wirtschaftszweige einsetzten, total unangebracht fand. Aber es stimmte, es war Lobbyismus in Reinkultur!

Im Rückblick bin ich heute noch stolz. Für unsere Jugendlichen hatten wir uns über die Fraktionsgrenzen hinaus verbündet, wir hatten Einfluss genommen, wir hatten gewonnen. Das war ein guter Kick für weitere Einsätze!

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