StartseiteMagazinGesellschaftHelvetia war eine Migrantin

Helvetia war eine Migrantin

Grosse Migrationsbewegungen, aber auch kleinere Wanderungen prägen die Geschichte der Schweiz ebenso wie die der meisten Völker. «Homo migrans. Zwei Millionen Jahre unterwegs», das Bernische Historische Museum zeigt die vielfältigen Aspekte von Migration in einer lebendig und anschaulich gestalteten Ausstellung.

Der keltische Stamm der Helvetier, auf den sich die Schweiz in ihrer Bezeichnung confoederatio helvetica bezieht, siedelte im Raum zwischen Rhein, Main und Tauber, bevor er durch andere Stämme im 1. Jahrhundert vor Chr. verdrängt wurde und in der Nordwestschweiz Fuss fassen musste. Die Helvetier wären gern noch weiter nach Süden gezogen, aber Julius Caesar setzte ihren Wanderungen in der Schlacht von Bibracte ein Ende. – Die Römer, die bekanntlich bis nach England vordrangen, werden nicht als Migranten bezeichnet, denn sie erweiterten ihr Herrschaftsgebiet als Eroberer mit Waffen.

Die Helvetier als Ausstellungsetappe.

Migration ist kein Thema «fremder Leute», die Schweiz mit ihrer Helvetia auf dem Fünfliber ist aus wandernden Volksstämmen hervorgegangen, erklärt Jakob Messerli, Direktor des Museums und Mitkurator dieser Ausstellung. Mit dem weiten Blick über zwei Millionen Jahre Menschheitsgeschichte soll in dieser farbigen, vielfältigen Schau deutlich werden, dass Migration ein globales Phänomen ist, das die Geschichte seit jeher und überall prägt. Hier in Bern richtet sich der Fokus auf die Schweiz. Vier Fünftel der Exponate stammen aus der reichhaltigen Sammlung dieses Museums.

Was ist Migration?

Heute gilt jeder Mensch, der seinen Lebensmittelpunkt dauerhaft oder über einen längeren Zeitpunkt in ein anderes Land oder in eine entfernte Gegend verlegt hat, als Migrant bzw. Migrantin. Immer bleibt der Gegensatz zwischen «wir» (die wir hier «schon immer» leben) und den «anderen» als Konfliktpotential bestehen, unausgesprochen oder offen ausgetragen.

Seit dem 19. Jahrhundert bestimmt der Gedanke des Nationalstaates die Definition von Migration. Grundsätzlich gibt es keine eindeutige Definition, was einen Migranten, eine Migrantin ausmacht, deshalb spricht man heutzutage von «Menschen mit Migrationshintergrund». Darin schwingt die Tatsache mit, dass eine Mehrheit der Menschen Familienangehörige aus fernen oder nahen Ländern besitzt. – Dieser Aspekt wird in der Ausstellung in einer der elf Etappe gezeigt: Wie viel Migration steckt in dir? Das Museumsteam fragte fünf Personen nach ihrer Herkunft und bot ihnen einen DNA-Test an. Dieser zeigt die Herkunft der Erbanteile. Wir können zuschauen, wie die fünf Betroffenen das Ergebnis zur Kenntnis nehmen und kommentieren.

Ein ständiges Wandern

Die frühesten Menschen lebten nomadisch, ihnen war das Wandern selbstverständlicher Alltag. In der Schweiz bezeugen Spuren im Schnurrenloch bei Oberwil im Simmental, dass Neandertaler-Menschen hier lebten.

Der Faustkeil von Pratteln gilt als der älteste bisher gefundene Beweis menschlicher Präsenz in der Schweiz (300’000 bis 120’000 v. Chr.)

Bei Nomaden entdeckt man an aufgegebenen Siedlungsplätzen zurückgelassene Werkzeugteile oder Splitter davon. Spektakulär sind die Funde von Bernstein aus dem Ostseeraum zu nennen, denn sie deuten entweder auf Wanderungen oder auf Handelsbeziehungen hin – schlüssig erklären kann man sie nicht.

In jeder Epoche erlebt die Schweiz Perioden der Einwanderung oder Phasen, in denen Schweizer aus Not oder aus dem Wunsch nach einem erfüllteren Leben auswandern.

Hugenotten-Flüchtlinge erhalten einen Auftrag

Aus religiösen Gründen wurden viele Hugenotten gezwungen, aus Frankreich zu fliehen, sie suchten in den benachbarten protestantischen Ländern Zuflucht. Viele wanderten nach Preussen aus, wohin sie vom König eingeladen waren, viele zog es in die Schweiz, vor allem in die französische Schweiz. Im kleinen Städtchen Moudon VD, das ca. 1’500 Einwohner hatte, lebten zeitweise mehrere Tausend Hugenottenflüchtlinge.

Hugenottenteppich

Viele dieser Flüchtlinge waren versierte Handwerker, die der Kultur ihres Gastlandes neue Impulse gaben. Auch Tapisseriewirker waren unter ihnen. Vier von ihnen erhielten 1686 vom Berner Rat den Auftrag, einen Tischteppich für den Ratssaal zu wirken. Dieser «Hugenottenteppich» ist heute eines der prächtigsten Objekte des Berner Museums und nach Jahrzehnten wieder einmal ausgestellt.

Das 19. Jahrhundert: Die Schweizer wandern aus

Für die Schweiz waren die Jahre 1816/17 von einschneidender Bedeutung. Durch einen gewaltigen Vulkanausbruch in Indonesien herrschten auch in Europa Kälte und Nässe vor, der Sommer fiel regelrecht aus, Getreide und Feldfrüchte reiften nicht, eine Hungersnot folgte.

Das «Hungerbrötchen»: Brotmehl wurde mit Baumrinde, Holzspänen oder Heublumen gestreckt.

Viele Menschen verarmten und sahen sich gezwungen auszuwandern. In den 1840er Jahren folgte eine zweite Ernährungskrise, durch die Kartoffelfäule verursacht, die wiederum viele zwang, ihre Heimat zu verlassen. Schweizer wie Iren, wo die gleiche Krankheit wütete, zogen in Scharen nach Amerika. Insgesamt wanderten im 19. Jahrhundert ungefähr eine halbe Million Schweizerinnen und Schweizer aus.

Migration und Asyl im 20. Jahrhundert

Der wirtschaftliche Aufschwung im letzten Quartal des 19. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert hinein liess die Städte wachsen, und neue Verkehrswege entstanden durch Eisenbahnen. Italienische Arbeitskräfte bauten diese moderne Schweiz: Sie waren am Bau der Alpentunnel ebenso beteiligt wie am Bauboom in den Städten, am Strassenbau wie am Bau der Staudämme.

Flüchtlinge sind in der Schweizer Politik seit über hundert Jahren ein stets aktuelles Thema. Seien es Schweizer, die im zaristischen Russland ansässig gewesen waren und nach der Revolution 1917 flüchteten. In der Schweiz dürfen sie ihre massenhaft mitgenommenen, inzwischen wertlosen Rubel gegen CH-Franken tauschen. Seien es die jüdischen Flüchtlinge, die unter der restriktiven Politik zu leiden hatten. Später fanden die Flüchtlinge aus Ungarn und aus der Tschechoslowakei freundliche Aufnahme, ebenso die Tibeter und die Bootsflüchtlinge aus Vietnam; während den Tamilen lange Zeit Skepsis entgegengebracht wurde. Ebenso zurückhaltend wurden die Menschen aufgenommen, die vor dem Krieg im zerfallenden Jugoslawien flohen.

Im pazifischen Raum «wanderten» die Menschen auf ihren Booten. Im Vordergrund eine Stabkarte (ca. 1900), ein Hilfsmittel zur Orientierung.

So reichhaltig diese Ausstellung gestaltet ist, so viele Lücken muss sie enthalten. Auch aus anderen Weltgegenden gibt es spannende Wanderungsgeschichten. Wenn wir den Hauptsaal betreten, blicken wir auf zahlreiche Boote mit und ohne Segel. Sie stehen symbolisch für die Eroberung der Inseln im Pazifik. Diese Seefahrer benutzten Stabkarten, die Windrichtungen und Wasserströmungen anzeigen. Neuseeland übrigens wurde von den Ozeaniern als letzte Insel besiedelt, nämlich erst im 13./14. Jahrhundert. – Den Wanderungen der Menschen auf unserem Globus nachzuforschen, könnte ein Lebensthema sein.

«Homo migrans. Zwei Millionen Jahre unterwegs» ist bis 28. Juni 2020 anzuschauen.

Begleitprogramm

Alle Fotos: © Christine Moor / Bernisches Historisches Museum

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