Ich könnte eine ganze Geschichte «meiner» Weihnachtsbäume schreiben. Vor Jahren habe ich meinem Umfeld lauthals verkündet: «Und wenn ich ihn ganz allein für mich aufstelle und schmücke, ich werde bis an mein Lebensende einen Weihnachtsbaum haben».
Undeutlich ist mir ein Spaziergang als Schulkind mit meinem Vater im winterlichen Zürich in Erinnerung. Wir wussten, wann wir wieder zuhause sein sollten, durften – und verliefen uns in einem uns nicht bekannten Quartier. Eine öffentliche Telefonkabine war unsere Rettung. Vater nannte meiner Mutter den Namen der Strasse, auf der wir uns befanden. Sie schaute im Stadtplan nach und gab uns Hinweise, wie wir wieder nach Hause finden würden. Dort empfing uns Wärme, bald läutete die kleine Glocke, und in meinem Gedächtnis breitet sich ein grosser, festlicher Lichtschein aus, ausgehend von einem kleinen Tannenbaum.
Haften geblieben ist mir auch der kleine Baum in einem Topf, den die Erwachsenen jeweils für die Grossmutter in Schaffhausen besorgten. Jedes Jahr war das ein Traktandum der verwandtschaftlichen Gespräche. Ob das Bäumchen wieder zu besorgen sei, ungefähr in welcher Grösse, und dass meine Tante das selbstverständlich erledigen werde. Beim Weihnachtsbesuch bei Grossmutter konnte ich dann das Bäumchen bestaunen, bunt geschmückt, damals noch mit echten, kleinen Kerzen bestückt.
Und dann flog ich vor zwanzig Jahren über die Festtage zu meinen Freunden nach Kalifornien. Ich hatte meine letzte Kommissionssitzung als Nationalrätin hinter mir und erzählte das meiner Freundin am Telefon. «You are a free person», antwortete sie. «Warum kommst Du nicht zu uns über die Festtage?»
Als sie mich dann nach langem Flug in mein Zimmer führte, was erwartete mich? Ein bezaubernder kleiner Weihnachtsbaum, farbig geschmückt, mit kleinen elektrischen Birnen leuchtend. Der Baum war so entzückend und ich so müde vom langen Flug, die Rührung, die Tränen, das Lachen überschwemmten mich. «Wir haben gewusst, dass Dir das gefällt», meinte meine Freundin. Der Baum stammte aus den Kindertagen der längst erwachsenen Tochter des Hauses.
Lange schmückte ich meinen eigenen Baum, teilte ihn mit Gästen und lud Freundinnen zum Nachmittagstee und zur «Besichtigung» ein. Ich weiss noch, dass ich mir viel darauf einbildete, wie ich den Baum schmückte, und holte kürzlich die Schachtel wieder hervor, in der all die Herrlichkeiten aufbewahrt sind. Ich nahm die farbigen, zerbrechlichen Gebilde in die Hand und staunte. Da fand ich ganz verschiedene Vögel. Natürlich eine weise Eule, für die ich immer einen besonderen Platz am Baum gesucht hatte, wo sie besonders zur Geltung kam. Dann kleine blaue Vögel mit Silberschweifen, einen dunkelroten und einen gelben Vogel, unterschiedlich in der Grösse, unterschiedlich verziert. Überraschenderweise waren da auch ein stattlicher blauer Fisch, dem noch der trockene Kerzenwachs an der Schwanzflosse klebt, und eine Schnecke mit Häuschen. An beide hatte ich mich nicht mehr erinnert. Selbstverständlich fehlten auch der Weihnachtsmann und ein weisser Halbmond nicht. Die grösste Kostbarkeit aber waren für mich drei blassrosa Stoffrosen aus Satinstoff gewesen: «Es ist ein Ros entsprungen…» An diesen Kauf erinnerte ich mich noch genau. Auch an das leise Triumphgefühl, als ich sie im Warenhaus entdeckt und für mich gesichert hatte.
An den Schaufenstern desselben Warenhauses gehe ich heute noch fast täglich vorbei. Sie sind seit Wochen weihnachtlich dekoriert. Und was entdecke ich da? Putzige kleine Tannenbäume, mit niedlichen Gebrauchsgegenständen und mit Ess- und Trinkwaren behängt. Da hängen kleine Flaschen mit Wein, mit Whisky, ein Poulet, ein veritabler Krebs mit furchteinflössenden Scheren und eine wohlgeformte Wurst mit Spuren vom Grillieren.
Die Wurst hat es mir angetan. Ist sie zum Symbol für Weihnachten avanciert? Ist es etwa – verborgene Botschaft – eine vegane Wurst? Das könnte ja sein und wäre ein reklametechnischer Coup! Denn dass eine vegane Lebensweise und die Klimaerwärmung in einem Zusammenhang stehen, hat sich unterdessen herumgesprochen. Und dass eine vegane Lebensweise das Leiden der Tiere vermindert, ist leicht zu verstehen.
«Vermiese mir jetzt doch die Freude am Weihnachtsschmaus nicht», höre ich eine meiner Freundinnen sagen. Also, freuen wir uns, lachen wir, bis uns das Lachen von selbst vergehen wird!
Die Tradition meines eigenen Weihnachtsbaumes hat vor Jahren ihr Ende gefunden. Das Auswählen und das nach Hause Tragen des Baumes hatten ihre Leichtigkeit und ihren Reiz verloren. Die Festtage verbrachte ich vielfach auswärts. Und so wurden die Vögel, der Fisch, die Schnecke und die Rosen fein säuberlich versorgt!
Wenn ich die kleinen Dinge so anschaue und den Erinnerungen nachhänge, die sie wachrufen, überfällt mich eine leise Wehmut. Sie können sich nicht mehr durchsetzen gegen den kommerzialisierten Weihnachtszauber, der über uns hereinbricht, sobald wir aus dem Haus treten.
Und was dieser «Weihnachtszauber» mit dem Geschehen, an das er erinnert, zu tun haben soll, müsste mir wieder einmal jemand ganz neu erklären!
Fotos: Josef Ritler