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Werweissen, was das Morgen bringt

Rück- und Ausblick: neun unterschiedliche Sichtweisen der Redaktion Seniorweb zu unserem diesjährigen Jahresschluss-Motto «E guets Nöis!».

Ein glückliches neues Jahr – das wünschen wir uns alle. Doch die Vorstellungen darüber gehen weit auseinander. Entsprechend vielfältig sind die Kurzbeiträge unserer Redaktion ausgefallen. Es sind persönliche Erlebnisse, Begegnungen, Betrachtungen und Wünsche, die – so hoffen wir – über den Tag hinaus anregend wirken. Mit diesem etwas anderen Jahresrückblick bedankt sich unsere Redaktion bei allen unseren Leserinnen und Lesern für ihr Interesse und Vertrauen. Wir freuen uns, wenn wir Sie auch im neuen Jahrzehnt mit unseren Beiträgen begleiten dürfen.

Wie auch immer Ihre persönlichen Wünsche für das Jahr 2020 aussehen: Wir hoffen, dass sie in Erfüllung gehen. Allen unseren Leserinnen und Lesern wünschen wir für das neue Jahr alles erdenklich Gute, Gesundheit, Erfolg und Glück! Kurz und bündig: E guets Nöis!

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Linus Baur: «Das Wandern legt Gedanken frei – und mitunter auch den Charakter des Wanderers», lese ich in einem deutschen Magazin. Ein willkommener Vorsatz, im neuen Jahr vermehrt auf Wanderschaft zu gehen. Die Schweiz ist bekanntlich ein Wanderland und bietet unzählige Wanderrouten an, von kurz bis lang, von leicht bis schwer ist für jeden etwas dabei. Gewiss, schwere und lange Wanderungen liegen in meinem Alter nicht mehr drin, aber weniger anspruchsvolle Routen bewältige ich noch problemlos. Hauptsache: die Gedanken werden klar. Heute ist die Rede von Auf- und Umbruch in allen Dingen, da sind Klarheit und Durchblick gefragter denn je. Und so freue ich mich auf möglichst viele Wanderabenteuer im neuen Jahr, die – so hoffe ich – viele Gedanken freilegen und Antworten auf Fragen liefern werden, die bislang unbeantwortet blieben.

Joseph Auchter: Es sind weltweit schöne Bräuche, sich auch zum Neujahr alles Gute zu wünschen. „E guets Nöis“ wird wieder hüben und drüben unter seinesgleichen, unter Verwandten und Bekannten ertönen – und das ist auch recht so.  Dennoch frage ich mich insgeheim, wenn die Korken knallen und sich die Weltstädte an bombastischen Feuerwerken zu überbieten trachten, ob wir wirklich noch Grund haben, das neue Jahr derart euphorisch zu begrüssen. Wir stehen in Sachen Klimawandel vor gewaltigen Herausforderungen, manche sagen – am Abgrund. Ein 16-jähriges Mädchen aus Schweden musste uns das Spiel des hemmungslosen Fortschritts verderben. Von den einen als neue Jeanne d’Arc auf den Schild gehoben, von andern als manipulierte kleine Hexe apostrophiert, liest sie uns die Leviten: “Wir können die Welt nicht retten, indem wir uns an die Spielregeln halten. Die Regeln müssen sich ändern, alles muss sich ändern, und zwar heute.“ Hat Madrid zugehört? Wollen wir überhaupt noch zuhören? „E guets Nöis!“

eva 2019Eva Caflisch: Hierzulande war der Jahreswechsel nach einem kurzweiligen Abend mit Gesellschaftsspielen und Bleigiessen oder einem Konzertbesuch einst feierlich und still: Andächtig den Kirchenglocken zuhören beim Aus- und Einläuten und beim Zwölfuhrschlag einander Glück wünschen. Dann kamen die Skifahrer aus der EU und mit ihnen Partystimmung und Feuerwerk. Immer mehr davon, selbst in kleinen Bergdörfern haben die Glocken heute die zwei am Rücken. Doch Hilfe naht: In Deutschland wächst der Kreis jener, die das Knallen zum Neujahr ablehnen – sei es wegen des Lärms, sei es wegen des Feinstaubs. Zwar werde ich wohl lange warten müssen, bis auch bei uns Neujahrsglockenklang die Stille wieder bricht.

Maja Petzold: In Bern beginnt das neue Jahr erst um 16 Uhr. Es ist ein tönender Anlass, der jedem neuen Jahr einen besonderen Klang gibt: das Neujahrsgeläut. Am Nachmittag warten ums Münster herum immer mehr Menschen, bis die sieben Glocken, die Silberglocke, die Burgerglocke, die Armesünderglocke, die Grosse Glocke Susanna und die anderen beginnen, nach der Partitur von Münsterorganist Daniel Glaus zu läuten. Es ist kein liebliches Carillon, wie es in St. Maurice VS oder von vielen Kirchtürmen in Holland zu hören ist, die Münsterglocken klingen machtvoll und wunderschön vom Turm herab. Daniel Glaus gibt jeweils ein Motto dazu, 2019 hiess es: Beschädiget die Erde nicht. Auf das kommende Neujahrsgeläut freue ich mich schon.

Bernadette Reichlin: «E guets, glückhafts und gsägnets nöis Joor» – auf diese Glückwünsche warten die Dorfbewohner in Wald im Zürcher Oberland an jedem Silvester. Überbracht werden sie von einem urtümlichen und ziemlich lauten Paar: Der eine trägt einen bis zu 40 Kilogramm schweren Glockenkranz um die Hüften und einen reich verzierten, von einer Kerze beleuchteten Lichterhut auf dem Kopf. Das ist der Silvesterchlaus. Der andere ist in ein weisses Gewand gehüllt und trägt an einer Stange einen lebensgrossen Eselskopf mit beweglichem Kiefer – das ist der Schnappesel. Seit über 100 Jahren sind sieben solcher Paar an Silvester im Dorf unterwegs. Am Abend dann besammeln sich die Chlauspaare auf dem Gemeindeplatz und tanzen dort nochmals gemeinsam ihren wilden, lauten, archaischen Tanz, der tagsüber schon so manches Kind in die hinterste Ecke seines Zimmerchens flüchten liess. Weil es halt nicht wusste, dass damit alles Böse des alten Jahres vertrieben wird und Platz gemacht wird für ein neues, gutes und glückhaftes Jahr.

Josef Ritler: Mein 80. Geburtstag, Gespräche mit Prominenten und Erinnerungen an die Jugendzeit prägten das vergangene Jahr. Da sassen wir – Judith Stamm und ich – im Besprechungszimmer von Bundesrätin Viola Amherd im Bundeshaus und hörten gespannt der zurzeit beliebtesten Bundesrätin zu. Ich freute mich, weil ich Viola Amherd im Jahre 2015 in Brig getroffen hatte. Die ehemalige Stadtpräsidentin von Brig marschierte beim Treffen der Walliservereine der deutschsprachigen Schweiz im Umzug mit, und niemand ahnte, dass sie einmal Bundesrätin werden würde. Eingefahren ist mir auch das Wiedersehen mit dem Musiker Stephan Eicher, den ich im Fotomuseum Winterthur traf und den ich Jahre früher bei den Proben in Engelberg interviewt hatte. Im Verkehrshaus Luzern traf ich Claude Nicollier, den ich nach seinem Ausflug ins All fotografierte. Mit Judith Stamm durfte ich im Film «Nach dem Sturm» über die Unruhen der 60-er Jahre mitwirken. Der Film wird an den Solothurner Filmtagen gezeigt. Und da wurde ich auch noch 80 Jahre alt. Gefeiert mit der Familie und lieben Freunden mit einem grossen Fest.

Judith Stamm: «Die glücklichen Zeiten der Menschheit sind die leeren Blätter der Geschichte», schrieb der deutsche Historiker Leopold von Ranke (1795 – 1886). Leere Blätter stehen uns nicht bevor. Denn die Stichworte für das Jahr 2020 heissen: ungebremstes Wirtschaftswachstum, gleichzeitig Schuldenwirtschaft, Aufrüstung bis ins Weltall, Migration von Kindern und Jugendlichen, Zerstörung der Lebensgrundlagen, Klimawandel. Die Reihenfolge ist zufällig, kann ergänzt werden! Und trotzdem wünsche ich allen, dass die Blätter des Tagebuchs für 2020 hie und da auch mit erfreulichen Nachrichten gefüllt werden können!

Fritz Vollenweider: Heute wieder diese Zäsur. Dieses Werweissen, was das Morgen bringt, dieses Zurückschauen auf das Gestern. Nicht jeder Blick zurück bedeutet Nostalgie. Die Sicht auf das Gewordene, Gewachsene und, ja, auch auf das Geschaffene, sie lässt erkennen, was Lebenserfahrung ist. Sie ist der Reichtum, den ein Jahr, ein Leben wachsen lässt. Doch Lebenserfahrung ist keine erworbene feste Grösse, fixiert fürs Hier und Jetzt. Sie regt an, den Wert des Gewordenen im Blick auf ein neu Werdendes zu richten. Hinaus schauen, dem Kommenden entgegen. Weiter schauen, Gewohntes in Frage stellen, Neues riskieren. Vielleicht gar sich jung denken…? Das ist die Bedeutung meines Wunsches: E guets Nöis!

Ruth Vuilleumier: An Silvester platzte bei uns regelmässig eine Tischbombe. Zum Familienritual gehörte auch, dass wir die Wohnung mit Girlanden und Luftschlangen dekorierten. Bis gegen Mitternacht spielten wir jeweils Scharaden: Einige stellen pantomimisch ein Bild dar, die anderen müssen die Bedeutung erraten. Einmal, ein einziges Mal gab es auch bei uns Bleigiessen. Gespannt beobachteten wir, wie sich das flüssige Metall im Wasser verformte. Welche Zukünfte liessen sich daraus ablesen? Da, ein Knall, der Bleiklumpen sprang entzwei. Nach einem Schreckmoment fassten wir uns, nachdenklich erwarteten wir das Ausläuten des alten Jahrs. Im neuen Jahr zerbrach die Ehe meiner Eltern.

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