Ich habe vor einigen Tagen einen längeren Artikel gelesen, worin der Autor sich wundert, dass heute Autonummern verkauft würden und dass mit kleinen, etwa vierstelligen oder noch kleineren Zahlenreihen, hohe Preise erzielt werden können. Heute vernahm ich, dass eine dreistellige Nummer für 8000 Franken verkauft worden ist. Eigentlich gehören ja die Nummern dem Staat, der sie uns beim Einlösen des ersten Wagens leihweise herausgibt. Der Mensch aber ist ein Händler und versteht es, sogar mit Autonummern ein Geschäft zu machen. Dabei handelt es sich um eine Art Glücksspiel, denn nicht jede Nummernkombination trägt Geld ein. Spricht die Zahlenreihe aber die Emotion des Käufers an, ist sie ihm einen hohen Preis wert.
Ein Autobesitzer, der seinen Wagen über fünfzig oder sechzig Jahre lang mit der Zahlenreihe einer Nummer identifizierte, gewöhnt sich an sie; ja, sie wächst ihm ans Herz, wenn sie besonders attraktiv ist. Sie begleitet ihn auch, wenn er die Automarke wechselt. Ich wage zu sagen, die Nummer ist vergleichbar mit dem Vornamen, den er oder sie trägt oder mit dem Ich, das in allen Stürmen des Lebens nicht ausgewechselt werden kann.
Diese Behauptung erfährt gewiss Widerspruch. Von der Lebenslogik her ist sie leicht zu widerlegen. Das Ich besteht weiter, auch wenn die Nummer verkauft ist, und es ist schon da, bevor einer die Nummer auf dem Amt entgegennimmt. Auch wenn ich nun das Auto verkauft und die Nummer halb verschenkt habe, bleibt die Zahlenreihe, die sich bei mir wie ein Tattoo eingeritzt hat, unvergessen. Ich erinnere mich sicher noch in den spätesten Tagen an sie. Das ist nur möglich, weil ich ihr eine besondere Bedeutung gegeben habe.
Das wird vielleicht auch einem anderen Autobesitzer ähnlich ergehen. Er verbindet die Zahlen mit einem besonderen Lebensdatum, mit dem Tag, an dem er seine Frau kennen lernte. Oder sie kommt ihm arithmetisch so elegant und schön vor, dass sie ihn dauernd entzückt. Es könnten etwa die ersten vier Primzahlen 1357 sein, die aufeinander folgen. Die Nummer SZ 1291 wurde für 33 000 Franken verkauft, mit Sicherheit an einen Patrioten. Eine solche Zahlenreihe schmückt das Auto und weckt Emotionen. Ich will dies an einem besonderen Beispiel erläutern.
Ich habe also mein Auto mitsamt meinem vierstelligen Kontrollschild verkauft. Es wies eine gegenläufige Zahlenfolge auf, die mir erst später in ihrer möglichen Bedeutung bewusst wurde. Zwar handelt es sich um die vier Zahlen 3456. Aber zwei standen quer zur Reihe. Nach der 3 folgte die 5 und nach der 4 die 6. Darin sah ich einen Sprung, weil die 5 vor die 4 und 6 direkt hinter die 4 rückte. Es war also eine unterbrochene Zahlenreihe 3546. Was hatte dies zu bedeuten? Eigentlich nichts, aber ich gab dem eine besondere Bedeutung. Ich nahm die Nummer vor 52 Jahren entgegen, ohne mir Gedanken zu machen. Sie war das Kennzeichen meines Autos und bildete mit ihm eine Art Einheit, und so liebte ich das Gespann. Zwar hatte mein Mathematiklehrer im Seminar uns Schülern eingebläut: «Wer sein Auto liebt, kommt darin um.» Es kam, als er dies sagte, auf den Tonfall an, denn so viel ich weiss, fuhr er kein Auto. Was aber entdeckte ich in den vier Zahlen?
Dieses Gegeneinanderstehen der Zahlen korrespondiert mit meinem Sternzeichen, fand ich. Ich bin im Zeichen der Fische geboren. Ein Fisch schwimmt vorwärts, der andere rückwärts. 3 und 5 gleichen dem vorwärts, 4 und 6 dem rückwärts schwimmenden Fisch. Einer schwimmt mit dem Fluss, der andere gegen ihn. War das etwa eine charakteristische Aussage für mich selbst? Mit dem Strom schwimmen, bedeutet erkennen, was vor sich geht, wohin der Weg zielt, dagegen zu schwimmen, heisst, dem entgegenzutreten, womit man sich nicht einverstanden erklären kann. Ich empfand im Sternzeichen und im Autokennzeichen das Sowohl-als-auch, das jedes Entweder-Oder ausschliesst. Es verhindert ein Denken in Gut oder Böse. Es schliesst das kategoriale Meinen im Sinne, ich bin ein Linker, ich habe Recht oder ich bin Rechter, ich habe Recht, aus.
Alles Meinen, das zur Wahrheit wird, verabscheut mein Denken. Und so fuhr ich lange Jahre mit dem Kontrollschild herum, ohne mir bewusst zu sein, dass es meiner Philosophie und meinem Charakter entsprach. Aber jetzt, wo ich die Nummer 3546 einem lieben Freund anvertraut habe, bleibt sie für mich wie ein Menetekel bestehen, das mich erinnert, dass nichts im Leben einfach gradlinig vor sich geht und dass ich ohne Kompromisse nicht durch das Leben komme und auch nie gekommen wäre.