StartseiteMagazinGesellschaftDer Mann, der uns durch die Coronakrise führt

Der Mann, der uns durch die Coronakrise führt

Er ist der Mann der Stunde: der Arzt Daniel Koch (65). Er war Leiter der Abteilung «Übertragbare Krankheiten» beim Bundesamt für Gesundheit BAG. Er ist uns allen vertraut, tagtäglich steht er den Schweizer Medien Red und Antwort. 

Daniel Kochs (Bild) unverkrampfte Art der Kommunikation findet schweizweit grosse Beachtung. Seit dem 1. April 2020 ist er eigentlich pensioniert. Aber immer noch steht er bei den Medienkonferenzen, die fast täglich im Medienzentrum in Bern stattfinden und im Schweizer Fernsehen live übertragen werden, vor den Kameras. Seniorweb hat mit ihm gesprochen.

Herr Koch, jetzt sind Sie pensioniert, aber immer noch an der Front. Sie sind  sehr vertrauenswürdig, haben in den letzten Monaten Ihrer Tätigkeit eine hohe Reputation erreicht. In der aktuellen Situation sind Sie eigentlich unentbehrlich. Wie gehen Sie mit der Situation ganz persönlich um?

Daniel Koch: Sehr gut, aber auch mit Respekt. Mein Vertrag ist nun neu aufgesetzt worden. Ich bin jetzt in einem Mandatsverhältnis. Ich werde an der Front bleiben, bis die erste Welle vorüber ist. Was danach kommt, lasse ich noch offen. Ich habe mir noch keine Gedanken dazu gemacht, habe auch keine Zeit dafür. Es kommt, wie es kommt.

Auf der anderen Seite versperren Sie ihrem Nachfolger den Weg?

Ich hoffe nicht. Mein Nachfolger wird jetzt in dieser schwierigen Situation voll in die Arbeit integriert. Wir sind beide stark gefordert, ergänzen uns. Wir sind gemeinsam zur Ansicht gekommen, dass jetzt ein Wechsel an der Front nicht sinnvoll wäre.

Die ältere Generation geht nach Umfragen gelassener als jüngere Menschen mit der Krise um. Ist das, weil sie mehr Erfahrung hat, oder ist sie einfach der Situation gegenüber schlicht sorgloser, gar fatalistischer? Wieso kommen viele über 65jährige schlecht mit der Situation zurecht?

Ja, mit dem Alter werden viele gelassener. Die älteren Menschen sind aber weit stärker gefährdet als die Jungen. Vielen ist das selbst jetzt noch zu wenig bewusst. Viele sagen sich, ich bin ja noch fit und gesund, mir kann das Virus nichts anhaben. Und ich bin bis jetzt gut durch die Krise gekommen. Sie alle sind aber nach wie vor aufgefordert, die Sicherheitsmassnahmen strikt einzuhalten: Hände waschen, Abstand halten. Denn es ist so, dass eben selbst ältere Menschen ohne Vorerkrankungen stark gefährdet sind.

Gibt es Zahlen dazu, wie viele ältere Menschen ohne Vorerkrankungen betroffen sind?

Rund 30 Prozent geben leider keine Vorerkrankungen an. Auf explizite Nachfrage hin haben bis jetzt nur rund 3 Prozent der Covid-Hospitalisierten gesagt, dass sie keine Vorerkrankungen haben. Auch hier ist mit einer Dunkelziffer zu rechnen, die sehr ernst zu nehmen ist.

Immer wieder werden Sie mit der Frage konfrontiert: Hat der Bundesrat eine klare Strategie für den Ausstieg in die Normalität? Nervt Sie diese Frage nicht zunehmend, wenn sie immer wieder gestellt wird?

Nein, das nervt mich nicht. Der Bundesrat ist ja daran, eine klare Strategie, ein Konzept zu entwickeln, das er nächste Woche vorstellen will. Es geht darum, aufgrund aller zur Verfügung stehenden Daten sorgfältig abzuwägen, was wann möglich ist und was nicht? Dabei stützt er sich auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse, auf Experten, auf Erfahrungen im Ausland ab. Die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung steht im Vordergrund. Wir werden am nächsten Donnerstag über die dann getroffenen Entscheide umfassend informieren. In der Zwischenzeit, jetzt gerade in der Osterzeit, gilt es für alle, wachsam zu sein.

Besteht die Gefahr, dass die Risikogruppe, wir die älteren Menschen, mit besonderen Massnahmen rechnen müssen, dass wir abgeschirmt werden, während draussen die Normalität Einzug hält?

Die Entscheidungen stehen noch aus. Wir werden auch diese Frage sehr sorgfältig prüfen. Im Vordergrund werden zweifellos vor allem Appelle, auch und vor allem die älteren Menschen stehen.

Obwohl wir alle im gleichen Boot sitzen, beurteilen die Medien die Informationsart des BAG zunehmend kritisch, insbesondere auch Ihre Rolle. Sie hätten zu Beginn die Auswirkungen der Corona-Krise zu sehr heruntergespielt? Wie gehen sie mit dieser Kritik im Nachhinein um?

Ich kann mit der Kritik gut umgehen. Denn es ist ja die Aufgabe der Medien, unsere Arbeit kritisch zu hinterfragen. Wir sind alle mit einem ungeahnten Prozess konfrontiert worden. Zu Beginn war es nicht einfach, damit umzugehen. Für uns war die Situation neu. Wir haben jeden Tag dazu gelernt.

Auf der anderen Seite wird die Rolle der Medien zunehmend kritisiert. Die InterviewerInnen würden Sie beispielsweise zu kritisch angehen, hätten zu wenig Respekt vor Ihnen, vor Ihrer Arbeit.

Ich kann und will mich nicht beklagen. Für die Medien war und ist die Situation auch neu. Sie mussten, wie wir alle, hre Rolle in dieser Krise erst finden. Insgesamt machen die Medien ihren Job gut. Die Informationsleistungen sind sehr gut. Die Bevölkerung wird jeden Tag breit und umfassend informiert.

Es wird beklagt, dass die kritische Distanz der Medien zu den Behörden die Bevölkerung verunsichere. Es sei schwer zu unterscheiden zwischen der Dramatisierung der Krise und einer notwendigen Beruhigung. Sie stehen dazwischen.

Ja, ich stehe dazwischen, quasi als Drehscheibe. Ich habe diesen Job nicht gesucht, er ist auf mich zugekommen. Ich will weder dramatisieren noch beruhigen. Ich versuche die Situation so klar und so unmissverständlich wie möglich darzustellen. Die Krise erfordert eine hohe Opferbereitschaft von allen. Deshalb ist es mir sehr wichtig, dass die Bevölkerung die notwendigen Massnahmen versteht, sie auch nachvollziehen und vollziehen kann.

Sie verlieren nie die Kontrolle, antworten stets kurz und knapp, unaufgeregt, manchmal fast regungslos. Haben Sie nicht manchmal Lust, auszuteilen, die JournalistInnen daran zu erinnern, dass sie diese und jene Frage schon so oft gestellt haben.

Ja, das entspricht meinem Temperament. Die JournalistInnen machen ihren Job auch nach ihrem Temperament. Der gegenseitige Respekt ist wichtig, und den spüre ich.

Sie arbeiten jeden Tag, ja fast Tag und Nacht, direkt mit Bundesrat Alain Berset zusammen. Wie erleben sie diese Zusammenarbeit?

Sehr gut. Ich bin beeindruckt von der Schaffenskraft meines Chefs. Bundesrat Berset hat ein sehr sensibles, ausgeprägtes Gefühl für das politisch Machbare, er kennt die eidgenössische Politik durch und durch, er handelt sehr zielorientiert. Es ist äussert angenehm, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Bundesrat Berset sieht seine Familie nur noch selten. Wie geht es Ihnen?

Ich lebe allein. Meine Tochter versorgt mich, geht mit den Hunden spazieren. Ich habe also Zeit, kann mich voll auf meine Arbeit konzentrieren, die ich sehr gerne mache.

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11 Kommentare

  1. Er ist der richtige Mann zur richtigen Stunde. Sein unermüdlicher Einsatz ist bewundernswert.
    Chapeau, Herr Koch!

  2. Viele sogenannt ältere Menschen wollen und müssen nicht abgeschirmt werden, denn sie sind gesund und haben keine Vorerkrankungen. Corona ist nicht Ebola und auch nicht SARS, die beide eine viel höhere Todesrate aufwiesen. Eine sinnvolle, faire Statistik in bezug auf die Corona-Todesrate müsste eine klare Differenzierung der Alterstruktur aufweisen, z. B. 60-69 J., 70-79 J., ab 80J. , mit Angabe der Vorerkrankungen. Und nicht 65-83 J., wie kürzlich publiziert. 18 Jahre Umfang in einer Statistik sind in diesem Zusammenhang wenig aussagekräftig.

    Niemand weiss zudem, wieviele der positiv getesteten Menschen tatsächlich schwer erkranken. Eine Statistik aus Italien zeigt deutlich, dass 90% Prozent der Corona-Toten über 80 jahre alt waren, fast alle mit schweren Vorerkrankungen. Corona ist demzufolge vor allem für hochaltrige Menschen
    wirklich gefährlich, diese müssen geschützt werden. Aber auch Menschen in Alters- und Pflegeheimen wollen nicht für immer weggesperrt werden.

    Jochen Cornelius, Heidelberger Professor für Gerontologie warnt davor, ältere Menschen verallgemeinernd zur Risikogruppe zu erklären, die isoliert werden müsse. Eine Exit-Strategie dürfe keine Altersdiskriminierung beinhalten! Sein Wort in Gottes Ohr!

  3. Frau Widmer
    Es geht nicht darum, ältere und alte Menschen wegzusperren, sondern darum, sie zu schützen. Vielleicht lohnt es sich, das Ganze aus einer positiven Sichtweise zu sehen. Schimpfen kann jeder.

  4. Ich bewundere die Ruhe und die Souveränität im Auftreten von Daniel Koch und bin ihm dankbar dafür. Dankbar bin ich auch, dass die Kinder, die Jugendlichen und die aktive Bevölkerung kaum oder viel weniger vom Orvid 19 betroffen sind als wir vor 1955 Geborenen. Dennoch teile ich die Meinung von Ursula Widmer: Es ist ein harter Schlag für uns Pensionierte, dass wir sozusagen über Nacht aller Aufgaben enthoben und als Alte, Schutzbedürftige unter Hausarrest gestellt werden. Wir haben während unseres langen Lebens schon verschiedenste Epidemien erlebt (die Masern haben meine vier Kinder unbeschadet überstanden). Nie wurden wir auf solche Weise vom Staat bevormundet. Auf dem grossen Aufwand zum Schutz der Alten (oder zur optimalen Verwaltung der Spitalbetten?) durch die Mehrbelastung der jüngeren Familien und durch die Blockierung der Wirtschaft werden Ansprüche oder Vorwürfe wachsen wie «so viel haben wir für euch Alte getan, also macht jetzt bitte …..». Nach unserer Meinung wurden wir nie gefragt. Ich hoffe, dass wir einen guten Weg aus dem aktuellen Chaos finden.

  5. Ich möchte Herr Koch ein grosses Kompliment machen. So Souverän wie Herr Koch immer wieder vor
    die Medien tritt. Vielen vielen Dank und ich wünsche Ihnen einen schönen Unruhestand.
    Geniessen sie es mit Ihrem Hund.
    Sitze hier im Tessin seit dem 11.3 und kann nicht mehr zu meinen Lieben in Zürich und Bern.
    Aber das wird sich ja irgendwann wieder ändern.

  6. Das Interview mit D. Koch ist sehr aufschlussreich und wertvoll, aber auch nötig. Da ich alle Pressekonferenzen seit Beginn der Corona-Situation mitverfolgt habe, ist meine Hochachtung für diesen ausgewiesenen Fachmann sehr hoch. Ich ärgere mich regelmässig über die negativen Kritiken von unwissenden Journalisten und selbstdarstellenden Politikern. Der Bundesrat, D.Koch und die Leute vom BAG machen ihre Sache schon recht: überlegt, zielgerichtet und ausgewogen. – Danke für diesen Beitrag im Seniorweb.

  7. Sollte nicht vom BAG auf das erhöhte Risiko einer Corona-Symtomatik bei Rauchern hingewiesen werden?Bisher habe ich nur von andern Stellen in dieser Richtung Informationen bekommen. Trotzdem, ich schätze die Informationen von Herrn Koch sehr hoch ein! Danke

    • Willy Jakob, es ist ja wohl klar, weshalb das BAG nicht auf die besondere Gefährdung der Raucher und Raucherinnen hinweist und sie nicht zum Aufhören ihrer Qualmsucht ermuntert. Schliesslich steuern die Nikotinerinnen und Nikotiner mit ihrer Krankheit wesentlich zum Erhalt der AHV bei.

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