Eine Reise in die baltischen Staaten war geplant. Doch der Corona-Virus brachte alles durcheinander. So entdeckten wir eine andere nordische Schönheit: Lübeck in Schleswig-Holstein, dem nördlichsten Bundesland. Dem Charme der Hansestadt entkommt man nicht.
Unbeschwert Kultur zu geniessen auf einer organisierten Rundreise, das war unsere Absicht. Daraus wurde eine ungeplante, nicht vorbereitete Kulturreise, die herausforderte. Unsereins zumindest, da wir uns gerne auf ein Reiseziel vorbereiten. Und die Fotos nachher nicht einfach auf den PC laden, um sie dort ruhen zu lassen. Sich einlesen, umschauen und auswählen.Wir gehören zur Generation der „Best Ager“ und es ist nicht das Hurragefühl: wir schaffen es noch, das vorherrscht, sondern die Herausforderung zwischen Wunsch und Möglichkeit eine Balance zu finden. Zugegeben, die Kletterei in das obere Abteil des Schlafwagens war so lange mühsam, bis man den Trick heraus hat.
Handelshäuser künden von Reichtum und Macht: Blick übers Wasser an der Untertrave
So sind wir also an der Ostsee gestrandet. Mit dem Nachtzug nach Kiel. Und am Abend Weiterfahrt mit der Fähre nach Klaipeda in Litauen, sah unser Programm vor. Unerwartet ein Telefon unseres Sohnes: für Schweizer gilt ab sofort eine Einreise nur nach Quarantäne. Der Aussicht auf zehn Tage im gleichen litauischen Hotelzimmer haben wir nach kurzer Überlegung eine selbstorganisierte Reise ins Unbekannte vorgezogen. Ohne Plan vorerst und ohne einen dicken Reiseführer. Unser erstes Ziel war Lübeck, eine Stadt, von der wir wussten, dass sie eine Reise wert ist.
Also, den nächsten Zug nehmen. In vielen überregionalen Zügen der DB gibt es eine WLAN-Verbindung. So organisieren wir die erste Übernachtung. Es stellt sich heraus, dass es für eine oder zwei Nächte im Ferienland Schleswig-Holstein nur noch wenige freie Hotelbetten gibt. Ganz Deutschland scheint auf Reisen. Die Fahrpreise mit dem Schleswig-Holstein-Ticket oder mit einem Kleingruppenbillett sind preisgünstig. Und kein Stau und keine Parkplatzsuche erschweren die Reisefreude.
Der Bahnhof von Lübeck liegt etwas weit von der historischen Altstadt. Unverdrossen schieben wir unsere Rollkoffer neben uns her. Und stehen bald vor einem der Wahrzeichen der Stadt: dem Holstentor. Mit seinen zwei trutzig anmutenden Wehrtürmen zählt es zu den imposantesten Stadttoren Deutschlands.
Das Holsten Tor: Prachts- und Wehrbau, Prägung auf vielen 2 Euro Münzen
Für uns ein kurzer Hingucker. Wir sind ja immer noch mit Rucksack und Rollkoffer unterwegs. Fragen uns zum Hotel durch. Im Laufe der Reise erleben wir, die einfachste Methode, mit Menschen in Kontakt zu kommen, ist zu fragen. Dass man die Situation, auf Auskünfte angewiesen zu sein, nicht als Handicap sondern als Kontaktchance sieht, ist eine Erfahrung dieser Reise. Wir fragen einen netten Passanten nach der Adresse, und er frägt zurück, woher genau wir denn aus Dänemark kämen. Unverständnis unsererseits. Wir erklären unsere Herkunft. Und er erzählt wie er zu seiner Vermutung kommt. Wir hätten genau den Ton wie Dänen, die Hochdeutsch sprechen. Und wir trennen uns mit gegenseitigem Schmunzeln.
Das Heiligen-Geist-Hospital von 1227, im Stil der nordischen Backsteingotik errichtet.
Ein frischer Wind erwartet uns beim morgendlichen Stadtspaziergang. Unweit des Hotels treffen wir einen Mann, der ungestört von Passanten und Verkehr den idealen Platz für seine Morgenlektüre gefunden hat – vor dem markanten Heiligen-Geist-Hospital am Koberg, einer der ältesten bestehenden Sozialeinrichtungen der Welt für bedürftige Mitbürger.
Weiter geht es durch ein intaktes Stadtbild von Backsteinhäusern, meist in roten und braunen Farbtönen, zu Lübecks Marktplatz mit dem Rathaus. Es gilt als eines der schönsten und ältesten Rathäuser Deutschlands und ist eigentlich ein Ensemble verschiedener Bauteile. Auffallend ist die spätgotische Schauwand mit ihren runden Löchern und der später angebauten Renaissancelaube auf der Marktseite.
Das Lübecker Rathaus wird auch als «steinernes Märchen» bezeichnet.
Hinten auf dem Bild die Marienkirche. Wie üblich zur Entstehungslegende vieler Bauten, welche die Zeitgenossen beeindruckten, gibt es auch über den Bau der Marienkirche eine amüsante Teufelsgeschichte, nachzulesen auf einer schwarzen Tafel an der Mauer und hier auf der Website Sagen.at.
Der Teufel sitzt vor dem Dom auf dem langen Stein, mit dem er die Kirche zerstören wollte.
Seit 1987 trägt die Stadt den von der UNESCO verliehenen Titel Welterbe. Die Altstadt ist ein bezauberndes Ensemble mit rund 1.800 denkmalgeschützten Gebäuden, den verwinkelten Gängevierteln und historischen Gassen. Die siebentürmige Stadt mit ihren Kirchen spiegelt die Macht und das Selbstbewusstsein des Lübecker Bürgertums. Die grösste, die Marienkirche, sollte den gotischen Dom des Bischofs übertrumpfen. Was sie auch tut mit einem 40 Meter hohen Schiff und den beiden imposanten 125 Meter hohen Türmen. Sie stellt den Prototyp dar der gotischen Dome aus Backstein – in einer perfekt umgesetzten Formensprache.
Die wohlhabenden Bürger bewohnten elegante Häuser mit gotischen, barocken und klassizistischen Fassaden. In den Gängevierteln – mit Durchgängen in stille Hinterhof-Oasen – lebten früher arme Leute. Heute sind die Wohnungen begehrt. Sie stellten schon im Hochmittelalter eine Form von Sozialfürsorge dar. Mit zunehmendem Reichtum der Hansestadt nahm auch die Bevölkerung zu. Der Bauplatz innerhalb der Stadtmauern verknappte sich. Die mittelalterliche Stadt, von der Trave und Kanälen umgeben, konnte sich nicht ausdehnen. Und so entstanden für die ärmere Bevölkerung auf der Hinterseite der prachtvollen Bürgerhäuser schmale, niedrige Häuser. Reiche Kaufleute gründeten auch Stiftungen, die bis heute soziale und kulturelle Projekte unterstützen.
Bürgerhaus mit Portal zu den Häusern im Hinterhof
Bekannt ist das Buddenbrookhaus in der Mengstraße – aktuell wegen Renovation geschlossen. Der klassizistische Bau gehörte den Grosseltern des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann. Das Günter-Grass-Haus in der Glockengießerstraße, gewidmet dem bekannten Literaturnobelpreisträger, präsentiert eine didaktisch interessante aktuelle Ausstellung.
Im Heiligen-Geist-Spital Museum: Tryptichon, um 1500 (Ausschnitt)
In Lübeck lebt die prachtvolle Vergangenheit auch in vielen Museen. Das Museumsquartier St. Annen beschäftigt sich mit der Geschichte der Hansestadt vom Mittelalter bis heute und bietet Wechselausstellungen. Speziell der Hansezeit ist das Europäische Hansemuseum gewidmet. In dem modernen Neubau ist eine archäologische Grabungsstätte integriert, die Reste der alten Lübecker Burg zeigt.
Trotz der ganzen Backsteinpracht wirkt die Lübecker Altstadt nie museal.
Hinaus aus der Stadt in die Lübecker Bucht – eine Radtour an der Ostsee, das war unser nächstes Ziel. Das Bundesland Schleswig Holstein verfügt über lohnende Reiseziele wie etwa die Stadt Schleswig und nicht zuletzt die Holsteinische Schweiz.
Fotos: Justin Koller
Ich übernachtete für eine Nacht bei einem Freund in Schleswig Hohlstein, den ich aus dem Studentenhaus in Wien kannte. Leider hat er mich nicht über die vielen Sehenswürdigkeiten seines Landes informiert, sonst haette ich sie von Herzen gern besucht. (bin naemlich Touristenführer und deshalb umsomehr an Sehenswürdigkeiten interessiert.) Sollte ich noch dazu kommen, das alles noch nach zu holen, würde ich es von Herzen tun. Die Welt ist so wunderschön (die Menschen sind es etwas weniger) und ich lebe gerne in ihr, denn man kann nicht genug an all dem teilnehmen, was sie bietet.