Der langjährige Nationalrat und SP-Präsident Helmut Hubacher ist im Alter von 94 Jahren verstorben. Hubacher hat die Sozialdemokratische Partei über viele Jahre massgebend geprägt. Dafür hatte er viele Etiketten bekommen: vom «Altmeister der Politik» bis zum «Willy Brandt der Schweizer SP».
Für die SP sass Helmut Hubacher von 1963 bis 1997 im Nationalrat und stand der Partei von 1975 bis 1990 während 15 Jahren als Präsident vor. Auch nach seiner Zeit als Aktivpolitiker liess er es sich nicht nehmen, immer wieder seine Meinung zu verschiedensten Themen kund zu tun. Nachstehend publizieren wir nochmals die am 28. Juni 2020 auf seniorweb.ch erschienene Kolumne „Helmut Hubachers letzter Streich“ von Anton Schaller, die das Wirken des Vollblutpolitikers und scharfzüngigen Kritikers eindrücklich beschreibt:
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„Diese Schweiz ist alles in allem ein fantastisches Land“, schreibt Helmut Hubacher (94), der alte Mann aus dem Jura, wo er jetzt die meiste Zeit verbringt, in seiner letzten Kolumne für die Basler-Zeitung. Er kann nicht mehr, er will nicht mehr, seine Krankheit lässt es nicht mehr zu. Und wir? Wir können uns glücklich schätzen, weil so viel von ihm in Erinnerung bleibt: seine unerschrockene, engagierte Art, seine schnörkellosen, meistens in einprägsamen Hauptsätzen formulierten Reden und Aufsätze sowie seine Kolumnen, die er in den letzten 22 Jahren in der von ihm keineswegs geliebten Basler-Zeitung BAZ publizieren liess. Wenn er dennoch für die BAZ schrieb, so deshalb, weil er gehört, gelesen werden wollte, weil er uns etwas zu sagen hatte. Und die Basler Zeitung öffnete ihm nur zu gerne die Spalten, weil sie sich mit ihm schmücken, sich als offene, als vermeintlich unabhängige Zeitung Basels profilieren konnte. In einer Stadt, die seit Erasmus von Rotterdam, (1466-1536) von einem tiefen liberalen Geist geprägt ist. Dieser Geist kam schon damals zum Ausdruck, als Erasmus von Rotterdam als katholischer Priester und Gegner der Reformation in Basel im protestantisch gewordenen Münster beigesetzt wurde.
Während den vergangenen mehr als 70 Jahren hat Helmut Hubacher erregt, aufgeregt, Spannungen, auch Widersprüche erzeugt, politische Wegmarken gesetzt. Er war der wichtigste, der gewichtgiste Kritiker der Armee während Jahrzehnten. Er spielte eine ganz bedeutende Rolle in der damals wichtigsten Kommission im Parlament, in der Militärkommission, heute Sicherheitskommission. Heute sind es die Wirtschafts- und Abgabekommission WAK und die aussenpolitische Kommission, in die alle ParlamentarierInnen streben.
Hubacher machte auf Missstände aufmerksam, machte Schlagzeilen beim Kauf des Radarsystems «Florida» und bei der Produktion des Schweizer Panzers 68. Er setzte sich ein für den vehementen Armeegegner und Dienstverweigerer Nationalrat Arthur Villard, dem das Parlament den Einsitz in die Militärkommission verweigert hatte. Der grossgewachsene, stets aufgeräumte Hubacher fand Nachahmer, wie den Thurgauer FDP-Nationalrat Ernst Mühlemann, Brigadier ad in der Schweizer Armee. Mühlemann strebte nach der gleichen Aufmerksamkeit, wie sie Helmut Hubacher während Jahren genoss. Dafür musste er es zwingend Hubacher gleichtun, er musste in der so wichtigen Kommission Einsitz nehmen, mit seinem Militärverstand zum Antipoden Hubachers werden. Er haderte auf einer Bahnfahrt von Zürich nach Bern die ganze Zeit und weinte mir in die Westentasche, weil ihn die Freisinnige Fraktion nicht für die Militärkommission nominiert, anstelle von ihm einen ehemaligen Wachtmeister in die damals wichtigste Kommission delegiert hatte. Ernst Mühlemann wechselte kurzerhand das Fach und erlangte als „Schattenaussenminister“ Beachtung, mit der Zeit gar nationale Bedeutung.
Den grössten Erfolg erzielte Hubacher, als er als Parteipräsident 1975 gleich einen sensationellen Wahlerfolg einfuhr; die SP gewann 9 Sitze hinzu, steigerte sich von 46 auf 55 Sitze im Nationalrat. Seine grösste Niederlage musste er mit der Nicht-Wahl von Lilian Uchtenhagen in den Bundesrat 1983 einstecken. Erkoren, quasi vornominiert in der damaligen legendären Viererbande der SP (Helmut Hubacher, Walter Renschler, Andreas Gerwig und Lilian Uchtenhagen) hatte die Zürcher Nationalrätin in der Bundesversammlung einen schweren Stand. Sie sei zu emotional, schmeisse mit Aschenbechern um sich. Der eher mürrische und wortkarge Otto Stich, aber im Amt dann erfolgreiche SP-Bundesrat, machte das Rennen. Der Gang in die Opposition stand unmittelbar bevor. Hubachers Position war nicht so eindeutig, die Partei stimmte an einem denkwürdigen Partei-Tag in Bern für den Verbleib und Helmut Hubacher kündigte an, was noch heute immer wieder zitiert und aufgegriffen wird: Die SP wird von nun an «schampar unbequem» sein.
In seiner letzten Kolumne im letzten Satz ist er also nicht bei einem kargen Satz geblieben: „Die Schweiz ist ein fantastisches Land“. Helmut Hubacher fügte noch ein „alles in allem“ bei. So als Vermächtnis oder als Herausforderung für seine NachfolgerInnen. Es gibt trotz „fantastisch“ eben noch viel zu tun.
2016 veröffentlichte Helmut Hubacher unter dem Titel «Das habe ich gerne gemacht» eine ungewöhnliche Autobiografie, die Einblick in sein Leben und Denken gibt. Judith Stamm hat das Buch am 31. Dezember 2016 auf seniorweb.ch besprochen. Hier der Link zum Beitrag von Judith Stamm: https://seniorweb.ch/2016/12/31/das-habe-ich-gerne-gemacht/
Das ist das Schönste, das man von einem Leben sagen kann!