StartseiteMagazinGesellschaftEinbildungskraft ist lebenswichtig

Einbildungskraft ist lebenswichtig

Mit «Black Mamba oder die Macht der Imagination» führt der Psychologe Fred Mast die Leserinnen und Leser auf eine Reise durch die Welt unseres Gehirns und dessen Einbildungskraft.

Fred Mast hatte als kleiner Junge ein einschneidendes Erlebnis, das ihn dazu brachte, Wahrnehmungspsychologe zu werden. Er sah in der Ferne auf einer langen Asphaltstrasse eine Pfütze, die es, als er die Stelle erreichte, gar nicht gab. Diese Luftspiegelung brachte ihn später zur Erkenntnis, dass unsere Wahrnehmung nicht das Ergebnis von einwirkenden Sinnesreizen ist, sondern, dass erst innere Prozesse dieselbe zu dem machen, wie wir sie erleben.

Luftspiegelung auf einer Strasse. Foto: Anghy, Wikimedia Commons.

Was ist wirklich, was stellen wir uns nur vor? Wo liegt die Grenze zwischen Einbildung und Realität. Die virtuelle Realität im Kino oder im Computerspiel sieht real aus, wir tauchen in sie ein und täuschen unsere Sinne bewusst, um uns zu unterhalten und zu zerstreuen. Auch die Realität ist nicht eindeutig, unsere Sinne können uns täuschen und manchmal sehen die Dinge nur so aus, als wären sie real.

In achtzehn Kapiteln untersucht der Autor «Wie unser Gehirn die Wirklichkeit bestimmt», so der Untertitel. Dabei kommt er zum Schluss, dass Fantasie und Imagination die wichtigsten Eigenschaften der menschlichen Psyche sind. Sie sind nicht nur der Motor unserer Kreativität und der Ursprung unserer Traumwelten, sie bilden auch die Basis unserer Wirklichkeit: «Die Fantasie ist nicht der Gegenspieler der Realität. Sie agiert nicht wie ein böser Dämon, der uns falsche Schlüsse ziehen lässt. Ganz im Gegenteil: Unsere Realität ist auf die Fantasie angewiesen und von ihr geprägt.»

Dass diese Erkenntnis kein einfaches Feld ist, wird einem beim Lesen klar und manchmal drücken Bilder mehr aus als tausend Wort. Hinter der Metapher Black Mamba – sie ist die längste Giftschlange Afrikas – verbirgt sich ein Schatz, den Fred Mast in allen Variationen darlegt. Nicht nur der Forscher, auch die Leserin braucht Konzentration, dem Phänomen von Realität und Imagination zu folgen und sich dafür zu begeistern.

Bei Black Mamba bezieht sich der Autor nicht auf die Giftschlange, sondern auf den Film «Kill Bill» von Quentin Tarantino von 2003, in dem die Hauptdarstellerin, eine attraktive Berufskillerin, nach einem Angriff ihre gelähmten Beine durch Imagination wieder bewegen kann. Motorisches Vorstellungstraining ist auch für Patienten in der Rehaklinik, deren Motorik als Folge eines Schlaganfalles beeinträchtig ist, von grossem Nutzen. Dazu habe ich persönliche Erfahrungen durch meinen Mann, der nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt im Spitalbett immer wieder imaginativ Handbewegungen trainierte. Nach zwei Wochen konnte er sowohl die Hand bewegen als auch, unterstützt durch professionell angeleitete Therapie, wieder gehen.

Zur Wahrnehmung der Realität scheinen unsere Sinne, was wir sehen, hören und spüren, richtungsweisend zu sein. Doch diese können sich täuschen und wir entscheiden von Fall zu Fall, ob sie die Realität abbilden oder nicht. Durch die biologische Evolution hat sich unser Gehirn an die Umwelt angepasst, so dass es auch komplexe Reize in vielen verborgenen Verarbeitungsschritten eindeutig interpretieren kann. Vexierbilder zeigen, wie unsere Wahrnehmung in die Irre gleitet werden kann. Was im Alltag selten vorkommt, gibt der Wahrnehmungspsychologie Hinweise, die Mechanismen des visuellen Systems zu verstehen.

Fred Mast, Vexierbild. Kaninchen mit langen Ohren (nach rechts) oder Ente mit Schnabel (nach links).

Die Fantasie gehört zur Welt der Kinder. Kinder bauen nicht nur Sandburgen, sie sprechen auch mit fiktiven Freunden. Als meine Tochter noch klein war, hatte sie als Einzelkind viele «Freunde». Abgesehen von den Barbiepuppen, mit denen sie grosse Szenarien durchspielte, gab es auch einen besonderen unsichtbaren Freund, mit dem sie alles besprechen konnte, was sie beschäftigte. Kinder mit fiktiven Freunden können, nach Masts Untersuchungen, besser zwischen Realität und Fiktion unterscheiden, denn in der Fantasie spielen sie komplexe Simulationen durch und üben Erfahrungen, die sie noch nicht erlebt haben. Die Studien zeigen auch, dass drei bis vierjährige Kinder sehr gut zwischen verschiedenen Welten unterscheiden können, die Realität ist eine von vielen. Erst bei den sieben- bis achtjährigen Kindern hebt sich, wie bei den Erwachsenen, die Realität von der Fantasiewelt deutlich ab.

Vierjährige beim Spiel mit Puppen. Foto: rv

Fantasie ist dazu da, dass wir Probleme lösen, in Gedanken Szenarien entwickeln und abschätzen, ob sie funktionieren. Zu viel Realität bedeutet Stagnation, zu viel Fantasie wirkt weltfremd; eine ausgewogene Balance zwischen Realität und Fantasie ist unerlässlich. Die Fixierung auf bestimmte Fantasien kann sich verhängnisvoll auswirken, mit Fantasien sind Menschen verführbar. Wenn die Menschen an den Fakten zu zweifeln beginnen, sind sie empfänglich für Verschwörungstheorien, die fix und nicht formbar sind. Anhänger von Verschwörungstheorien haben nicht zu viel, sondern zu wenig Fantasie, stellt der Autor fest. Fantasie zu haben bedeutet nicht, ständig an das Gleiche zu glauben, Fantasie zu haben bedeutet, in Gedanken beweglich zu bleiben.

Fred Mast, Black Mamba oder die Macht der Imagination. Wie unser Gehirn die Wirklichkeit bestimmt. 281 S., Herder Verlag, Freiburg i.Br. 2020. ISBN 978-3-451-60087-6.

 

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