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Erinnerungen an einen Schneewinter

Die Nebeldecke hing tief im Tal. Kalt war es schon seit Tagen, während über dem Nebel die Sonne vom Aufgang bis zum Untergang am wolkenlosen Himmel ihren Bogen zog. Ich war zwei Tage in den Bergen. Als ich wieder zu Hause war, kündigte sich ein Wetterwechsel an. Der Nebel löste sich auf und dicke schwere Wolken zogen auf. Ich schlief tief in dieser Nacht, und als ich einmal hinaus ging, warf ich einen Blick auf Nachbars Dach und bemerkte, dass es weiss war. Ganz leise hatte es angefangen zu schneien. Im Licht der Strassenlaterne sah ich, wie es flöckelte. Es wird ein wenig Schnee geben, sagte ich mir, und schlüpfte unter die Decke. Am Morgen bedeckten etwa zehn Zentimeter Schnee die Dächer und den Boden. Es schneite noch immer, zwar ausgedünnt und wenig ergiebig. Ich war zutiefst glücklich, das Tal neu geweisselt zu sehen.

Ich sah mich als Bub, der wunderbare Wintertage erlebt hatte. Ein von Pferden gezogener Keil befreite die Fahrstrassen von der Schneemasse und drückte die weisse Pracht als hohe Mauern an die Strassenränder. Die Hagstecken beim Fussweg, der an unserem Haus vorbeiführte, trugen schwere grosse Hüte. Die Bäume waren tief verschneit. Im Garten konnte ich an Vaters Bohnenstangen die Höhe der Schneedecke ausmachen. Der Hahn krähte ungewohnt laut; mir schien, er wollte die Hühner warnen, nicht aus dem Gehege zu gehen. Dies war der Winter 1947, an den ich mich wie an keinen anderen erinnere. Als Viertklässler war ich übermütig wie ein junges Fohlen. Es waren herrliche Tage, Schneeballschlachten fanden statt und wir drückten uns gegenseitig in die Schneedecke.

Mein Elternhaus stand an einem Abhang, welcher nicht steil, aber doch abschüssig genug war, dass wir Knaben Ski fahren konnten. Wir hatten Holzlatten von über zwei Meter Länge mit Lederbindungen. Nur den Kräftigsten unter uns gelangen ein Kristianaschwung oder gar ein Telemark. Die kleineren auf Fassdauben liessen sich auf den Hosenboden fallen, um die Fahrt zu stoppen. Der kurze Abhang forderte uns nicht heraus. Also bauten wir eine Schanze und wetteiferten um den längsten Sprung. Dies war ein leichtes Spiel, so dass wir etwas Gewagteres unternehmen wollten.

Hinter dem Haus führte eine lange Strasse bergwärts. Wir schulterten unsere Davoser und marschierten die Strasse hoch. An einem günstigen Punkt angekommen, wo es uns genug steil schien, bildeten wir eine Schlange. Der Steuermann lag auf dem ersten Davoser, hängte mit den Schuhen im hinteren ein, auf ihm lag ein Kamerad oder ein Bruder, fasste mit seinen Schuhen den dritten. So rasten wir über die gepfadete Strasse. Rassig und laut jauchzend sausten wir los. Wenn das Tempo zu hoch wurde, riss der Lenker den Schlitten unter dem Bauch hoch, um so mit den Kufenenden zu bremsen. Wir nannten dieses Schlitteln «Chrottnen». Diese Art von Schlittenfahren war gefährlich und wir trugen keine Helme. Glücklicherweise passierte nichts, ausser etwa, dass ein hinterer Schlitten aus den Schuhen des vorderen Fahrers ausscherte und in der Schneemauer stoppte. Es war kalt und wir froren in unseren gestrickten Handschuhen erbärmlich, wir spürten in den Fingern den «Chuenagel».

1947 war ein richtiger Schneewinter. Gingen wir ins Bett, waren wir so müde, dass wir im ungeheizten Schlafraum sofort einschliefen. Sank das Thermometer tiefer und zierten Eisrosen die Scheiben, durften wir einen Sack mit gewärmten Kirschensteinen, einen «Chriesimaa», aus dem Kachelofen ziehen und ihn ans Fussende des Bettes legen. Rasch holten uns Träume ein und wir schliefen selig einem nächsten Wintertag entgegen.

Die schönste «Musik» in jenen Wintertagen war das Knirschen unter den Schuhen. Am sich eindunkelnden Himmel blinkten und funkelten die Sterne. Mutter fragte, ob wir den Grossen Wagen, den Grossen Bären und den Orion kennen würden. Eine weisse Weihnacht schwebt wie eine uralte Sehnsucht in mir. Wie sehr würde sie mich beglücken, wenn sie nicht bloss eine tiefe Erinnerung wäre.

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2 Kommentare

  1. Schnee macht Spass! Es scheint, dass man auch heutzutage sogar wieder mit Fassdauben in den Schnee will. http://www.fassdauben.ch/
    Auf dieser Website sind Rennen angesagt, und die Skischule auf der Frutt lädt gar zum Parallelslalom für Gruppen ein – 23 Franken pro Person (https://skischulefrutt.ch/events/angebote-winter/fassdauben). Wer hätte das gedacht. Aber offenbar kann die Sehnsucht nach den früheren Wintern auch so ausgelebt werden. Vielleicht ist das heutige Skifahren mit den modernen Brettern auf den breiten glatten Pisten, das einen nicht mehr wirklich herausfordert, so unattraktiv geworden, dass man es wieder versuchen möchte, wie einst in den Vierziger Jahren oder früher.

  2. Schöne Erinnerungen haben sie mir hervorgerufen. Ja, genau so war es gewesen. Wir schlittelten jeweils auf einer ca. 800 m langen, abschüssigen Quartierstrasse mit wenig Verkehr. Ein Erlebnis werde ich nie vergessen. Mit hohem Tempo wollte ich am Auto der Kehricht-abfuhr vorbei fahren als dieses, just in diesem Moment, in der Gegenrichtung von einem Auto überholt wurde. Ich zog den Schlitten im letzten Moment unter mir weg und schlitterte auf dem Bauch unter dem dem Kehrichtwagen und zuletzt zwischen den Beinen der verdutzten Kehrichtmänner durch. Das ist jetzt 73 Jahre her, aber vergessen werde ich es nie.

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