StartseiteMagazinGesellschaftRück- und Ausblick in schwieriger Zeit

Rück- und Ausblick in schwieriger Zeit

Ein schwieriges Jahr geht zu Ende. Anlass für unsere Redaktion, Rückschau zu halten: Ist es ein Jahr zum Vergessen? Entstanden sind unterschiedliche Sichtweisen, die zum Nachdenken anregen.

Ein besseres und freudigeres neues Jahr – das wünschen wir uns alle. Noch müssen wir uns in Geduld üben, bis die Corona-Krise überwunden ist. Doch es gibt hoffnungsvolle Lichtblicke, die lang ersehnten Impfstoffe sind da und versprechen baldige Besserung. Unsere Redaktion dankt allen für das im abgelaufenen Jahr entgegengebrachte Vertrauen. Wir blicken zuversichtlich in die Zukunft und freuen uns, Sie auch im neuen Jahr mit unseren Beiträgen begleiten zu dürfen. Bleiben Sie uns treu!

«Manches wird gut!» titelt die deutsche Wochenzeitung «Die Zeit» ihren Jahresausblick. Und so wird es kommen. Unsere Redaktion wünscht allen unseren Leserinnen und Lesern für das neue Jahr alles erdenklich Gute, Gesundheit, Erfolg, Glück und – gut zu wissen, dass es sie gibt – die nötige Gelassenheit.

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Linus Baur: Laut einer repräsentativen Umfrage Anfang Dezember gilt Donald Trump als der „am meisten bewunderte Mann“ in den USA. Ein zutiefst rücksichtsloser, zynischer, unmoralischer Mensch geniesst in den USA also die höchste Bewunderung. Ich reibe mir die Augen zweimal. Wie ist das möglich in einer Zeit, in der unser Alltag beinahe im Stundentakt aus den Fugen gerät und in der gemeinschaftliches Handeln gefragter denn je ist?  Das Widersprüchliche dominiert das Weltgeschehen. Doch ein Trost bleibt: Trump gehört bald der Geschichte an und die Welt als globale Schicksalsgemeinschaft kann wieder aufatmen. 2020 ist kein Jahr zum Vergessen, vielmehr ein Jahr der Besinnung und Erkenntnis, dass wir – um den Rechtsphilosophen und ehemaligen Richter des deutschen Bundesverfassungsgerichts Ernst-Wolfgang Böckenförde zu zitieren – „von Voraussetzungen leben, die wir selbst nicht schaffen können“.

Joseph Auchter: 2020 war nicht nur ein Jahr der Corona-Betrübnis, sondern auch zahlreicher Lichtblicke. Auf zwei davon möchte ich hinweisen: Wolfgang Sieber, Organist an der Hofkirche Luzern, Herr über 7’500 Pfeifen und in allen Musikstilen virtuos beheimatet, streamte im Advent allabendlich mit  Orgel-TrostPLUS besinnlich-festliche Musik, die nachzuhören lohnt. Was in der Innerschweiz klingende Namen hat, war willkommener Gast beim Tastenvirtuosen, vom Jodelchörli bis zu den Luzerner Singknaben.
Einer kleinen Sensation gleich kommt die Ernennung von Andreas Reize zum Thomaskantor in Leipzig. Dass ein Schweizer Katholik zum 18. Nachfolger des Lutheraners Johann Sebastian Bach gekürt wurde, zeigt, dass der überragende Qualitätsausweise des Kirchenmusikers, Chorleiters, Organisten und Cembalisten, der u.a. seit 2007 die Singknaben der St. Ursen-Kathedrale Solothurn leitet, alle anderen Kriterien obsolet machte.

Eva Caflisch: Manchmal stelle ich mir vor, was meine Eltern sagen würden, könnten sie einen Blick auf unsere Welt werfen. Gewiss, über die technischen Fortschritte, übers Internet, die virtuelle Welt und die Künstliche Intelligenz würden sie staunen, aber dass wir in einer Art Zeitalter der Pest leben, das könnten sie wohl kaum glauben – obwohl damit zu rechnen war. Auch ich nahm das Ausmass, mit dem diese Pandemie unser Dasein verändert, zunächst nicht wahr, dann nicht sehr ernst, bis mir klar wurde, es gibt ein Vorher und ein Nachher. Eine Erkenntnis hat mir das vergangene Jahr gebracht: Wir leben in einer aufregenden und sehr schwierigen, wenn nicht gar katastrophalen Zeit. Aber wir leben noch.

Maja Petzold: Ein Jahr «zum Vergessen», geht das? Was wir am liebsten sofort oder gar nie vergessen wollen, hängt von den Gefühlen ab, die wir damit verbinden. Dazu eine Anekdote aus meiner Kindheit: Wir hatten damals kein eigenes Telefon. Für Anrufe musste man zu einer Telefonkabine gehen. Eines Tages wollte meine Mutter etwas von ihrer Schwester wissen und schickte mich mit zwanzig Pfennig zum Telefonieren. Es klappte alles, aber dann hörte ich nicht die Stimme meiner Tante, sondern die ihres ziemlich strengen Mannes. Darüber erschrak ich so sehr, dass ich kein Wort rausbrachte. Ich weiss nicht, wer zuerst den Hörer auflegte. Keine Information und zwei Groschen weg, wie peinlich! Was sollte ich meiner Mutter sagen? Ein Moment zum Vergessen! Ich erinnere mich noch heute daran, allerdings kann ich nun darüber lachen.

Bernadette Reichlin: Nein, ein gutes Jahr war dieses 2020 nicht! Zu viele Tote, zu viele Sorgen, zu viel Einsamkeit. Trotzdem fällt meine Bilanz gar nicht so schlecht aus. Den Lockdown im Frühling erlebte ich zwar wie im freien Fall: Vom ausgefüllten Leben ins Nichts. Keine Kontakte, kein Sport, keine Umarmungen. Aber: Meine Schwiegertöchter übernahmen ganz selbstverständlich das Einkaufen oder rüsteten mich digital auf – ich kann jetzt Zoom! – und in meinem Garten konnte ich richtig viel Zeit investieren. Die Flötenstunden per Video mit meiner kleinen Enkelin waren immer ein Highlight. Und meine grossgewachsenen Söhne umarmen mich immer noch ganz fest – ihr Atem ist dabei weit oben. Auch über Weihnachten wurde ich nicht allein gelassen. Und weiss jetzt: Auf meine Familie kann ich mich verlassen!

Josef Ritler: Für mich war das Jahr 2020 zum Vergessen, wenn man sich von Corona einlullen liess. Jedoch überhaupt nicht, wenn man die positiven Ereignisse genussvoll akzeptierte und das Leben selber in vollen Zügen genoss, natürlich gesetzeskonform mit Maske, soweit man sie benötigte. Der tägliche Spaziergang zum Fitness-Training mit dem Guten-Morgen-Bild, das ich auf Facebook veröffentlicht und so viele Reaktionen ausgelöst habe, hat mein Gemüt positiv beeinflusst. Vielleicht liegt diese angstfreie Einstellung in meinem Beruf begründet. Als Journalist musste ich immer über der Sache stehen, über Lawinen klettern und abgeschnittene Dörfer besuchen, um die Leserschaft anderntags zu informieren. Oder wie am 25. November 1973, als ich mit Spezialbewilligung am ersten autofreien Sonntag an die Front fahren durfte.

Judith Stamm: Elisabeth Kübler-Ross (1926 – 2004) hat für den Weg eines Sterbenden fünf Schritte vorgezeichnet. Die Erfahrung zeigte, dass diese fünf Schritte auch auf andere belastende Erlebnisse übertragen werden können. Sie heissen: Verdrängen, Aufbegehren, Verhandeln, Resignieren, Akzeptieren! Ob die Schritte original so bezeichnet wurden, weiss ich nicht. Sie sind so in meiner Erinnerung hängen geblieben.
Jeder einzelne Mensch kann sich überlegen, wie er oder sie als einzelne, oder wir als Gesellschaft, mit der aktuellen belastenden Situation einer Pandemie umgehen. Vielleicht ertappen wir uns selbst, etwa beim Aufbegehren gegen die unliebsamen Einschränkungen. Oder beim Resignieren: Es nützt ja alles doch nichts! Aus ganz verschiedenen Lebensphasen heraus sind unser aller Reaktionen verschieden.
Ein Ziel könnte sein, auch für 2021, zu versuchen, die Situation zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen.

Peter Steiger: Das „Jahr zum Vergessen“ war für mich auch ein Jahr der guten Vorsätze. Der Mensch betrinkt sich, isst zuviel und raucht. Am letzten Silvester beschloss ich, mich zu bessern. Nichts leichter als das.
Trockener. Ich habe dem Alkohol abgeschworen. Kein Wein, kein Bier mehr, Carmol-Tröpfli entsorgt.
Sauberer. Vor einem Jahr habe ich mich zum Entsorgungsheiligen gewandelt. Jetzt werfe ich keine Kaugummipapierchen mehr weg und entsorge Heftklammern in der Altmetallsammlung.
Netter. Seit einem Jahr bin ich der fleischgewordene reissfeste Geduldsfaden. Statt mich über quengelnde Kinder zu ärgern, lächle ich milde.
Glücklicher. Ich habe die guten Vorsätze charakterstark durchgezogen und alle umgesetzt.
Bis auf einen einzigen: Nicht mehr zu lügen.

Ruth Vuilleumier: In diesem Jahr waren statt Auslandsreisen vor allem Entdeckungen zu Fuss angesagt. In der nächsten Umgebung waren die Feldwege bald einmal überbevölkert, so blieben mir die steilen Pfade im Wald. Mutig machte ich mich allein auf ins Gehölz. Wenn mich Ängste vor dem Bölimaa überkamen, stellte ich das Handy an und sang die Lieder mit, die der Chorleiter als Video verschickt hatte. Das erinnert mich an meine Mutter. Immer sang sie auf der Strasse und ich schämte mich als Kind dafür, wenn ich mit ihr in der Stadt unterwegs war. Und jetzt im Alter merke ich, wie heilsam Singen sein kann. Es hilft, die dunklen Schatten zu vertreiben. Klar, auch heute singe ich nicht auf der Strasse oder beim Einkaufen. Aber im Wald, unter dem sich langsam ändernden Blätterkleid der Bäume und im Einklang mit dem Gesang der Vögel, ist es beglückend – und Corona für einen Moment vergessen.

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