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Fasnacht machen – eine Leidenschaft

Träumen statt trommeln: «Zimbers Fasnacht» weckt Erinnerungen an zauberhafte, einmalige, merkwürdige Momente der Basler Fasnacht. Geschrieben, gezeichnet und gestaltet hat das Buch der Kunstmaler und Grafiker Rolf Holstein.

Bald wäre Fasnacht: Wäre!. Aber 2020 wurde die Basler Fasnacht abgesagt, 2021 ist es ebenso. Kein Morgestraich, kein Gässeln, kein Trommeln, kein Schränzen, kein Pfeifen. Auch für Rolf Holstein nicht. Mehr als ein halbes Jahrhundert hat er Fasnacht gemacht: Er gehört zu den besten Pfeifern, wie die Basler Piccolo-Spieler heissen. Nun wurde es Zeit für ihn, Bilanz zu ziehen und die Biographie seines Alter Ego namens Robin Zimber zu publizieren.

Stilleben von Larven und Kopflaternen vor der Tür, während es drinnen Mehlsuppe gibt. Fotografie bearbeitet

Zur rechten Zeit ist Zimbers Fasnacht als Medizin für all jene, die statt gässeln in der Stube bleiben müssen, herausgekommen. Für alle andern, die das Unesco-Weltkulturerbe lieben, sind die Geschichten und Gedanken, die Zimber, der Fasnächtler, aufgeschrieben hat, eine Gelegenheit, auch mal hinter die Kulissen zu blicken, ins Larvenatelier oder in den Übungskeller, in die Nähstube und vor allem in die Gedankenwelt eines Menschen, der jahrzehntelang keine Fasnacht ausgelassen hat.

Für 2021 kam die Absage früh genug, aber die Fasnacht soll wenigstens auf Sparflamme laufen, wie die oberste Fasnächtlerin Pia Inderbitzin, Comité-Obfrau, verrät: «Es darf nicht nichts geben, zumindest optisch wird Basel Fasnacht machen – mit Schaufenstern in der Spalenvorstadt, Steckenlaternen in der Dalbevorstadt, einer Laternenmalerausstellung am Rümelinsplatz, einem Atelier im Hotel Basel, organisiert von Jungen Garden.»

Am Morgenstreich leuchten nur die Laternen und Kopflaternchen der Aktiven: Impression von einer Regen- oder, wie Aktive sagen, Plastikfasnacht

Seit sich die Cliquen vermehrt um Nachwuchs bemühen, sich das Fasnachts-Comité auch in Pandemiezeiten bemüht, die Jungen bei Laune zu halten, wie Pia Inderbitzin versichert, ist es für ein Kind einfach, Fasnächtler zu werden. Zimber kannte nur die Kinderfasnacht im Quartier, erst als er seine Lehre als Grafiker bei einem stadtbekannten Fasnächtler begann, wurde er vom Fasnachts-Virus infiziert (ja, richtig). Dann kam die Cliquenzeit, die er im Schnelldurchgang absolvierte; schon nach einem Jahr wurde sein Talent als Pfeifer gelobt, aber mit den groben Spässen und den strengen Regeln des Männervereins kam er nicht zurecht. So verliess er die Clique, und es folgten Jahre der wilden Fasnacht in den wilden Zeiten der 70er und 80er Jahre. Fasnacht ist auch immer ein Spiegel der Gesellschaft – der Zerrspiegel.

Mit Fettkreide skizziert: Zwei Pfyffer beim «Bäseli»-Halt. Beim Pfeifen braucht es Spucke, die muss ab und zu aus dem Instrument entfernt werden.

Mögen die Klänge an den Drey scheenschte Dääg auch öfters mal schrill tönen statt rein, ohne üben geht es nicht, das gilt für Guggenmusiken, für die Trommel und eben auch fürs Piccolo. Immerhin ist es ein ausgewachsenes Instrument mit Löchern, Klappen und einem Mundstück, dem nicht jeder Töne entlocken kann. Robin Zimber hat nie Musik studiert, aber in seinem Kopf gibt es viele Melodien und ganze Partituren von Fasnachtsmärschen.

Die einen nach Gehör gespeichert, andere als Improvisation zur Hauptstimme ad hoc erdacht und gespielt. Damit kam er nicht immer gut an, während die einen Gruppen, mit denen er im Lauf der Jahre unterwegs war, seine Zierstimme schätzten, hiess es anderswo, er soll sich umgehend an die geschriebenen Noten halten. Wer sich Melodien schon bei ein- oder zweimaligem Hören merken kann, braucht diese Zeichenschrift auch nicht. Er sei kein Musiker, sagt Zimber, er sei ein Musikant.

Dazu die Geschichte mit dem Barogg, nach den Brandenburgischen Konzerten komponiert von Maurice Rossel: Zimber war von der Uraufführung am Radio total fasziniert, machte einen Mitschnitt auf Kassette und notierte sich die vierte Stimme, denn Noten lesen hatte er inzwischen gelernt. Die Clique, die diese Stimme streng geheim hielt, war irritiert, als sie Zimber auf der Gasse damit hörte. Dann wurde verglichen: Zwei Töne hat der Amateur falsch aufgeschrieben.

Mit Zimber erleben wir den Wandel der Basler Fasnacht, erfahren auch, was ihm gefällt und womit er seine Mühe hat. Dass der Waggis, die witzig intrigierende Elsässer Bauernfigur mit Stock und Gemüsekorb zum lauten von einem Wagen herunterbrüllenden Gesellen mit Riesenkopf geworden ist, bedauert er. Mühe hat Robin Zimber auch mit den Guggenmusiken, wenn sie einer Pfeifergruppe beim Kreuzen den Schnauf nehmen.

Kostümentwürfe für die «Giftnuudle» – Zimber schlug giftgrün vor.

Aber Schnitzelbangg-Singen und vor allem die Verse dichten und das Layout der Gruppe entwerfen, das passte ihm. Und als Tambourmajor konnte er gar artistisch den Stock wirbeln, als er wegen einer Krankheit nicht Piccolo spielen durfte. Immer wieder reizten ihn Solopartien, beispielsweise mit dem Kanu pfeifend im Rhein, wobei die Realität weniger entspannend war als der Traum davon. Seine Fasnacht ist und bleibt die der leisen Töne, der skurrilen oder abgründigen Begegnungen, wenn in den frühen Morgenstunden nur noch Einzelmasken unterwegs sind.

Mimosenfahrt – eine schöne Idee, jedoch schwierig in der Ausführung.

Zimbers biographische Fasnachtsnotizen sind auch ein Augenschmaus, denn er hat als Pfeifer unterwegs das Piccolo immer wieder mal weggesteckt und den Skizzenblock gezückt: Mit dem Stift hingeworfene Figuren oder Stilleben von Larve auf Trommel vor einer Beiz, farbige Helgen in Aquarell oder Acryl, die im Atelier von Rolf Holstein entstanden sind, und eine wunderbare Bilderfolge vom unvergessenen Totentanz einer wilden Fasnachtsvereinigung. Seit 1975 lag die Mappe mit den Gerippen im Archiv, nun sind sie als Tänzer mit Totenkopf in Zimbers Fasnacht zu sehen.

Totentanz, Aquarell 1975

Aber wieviele tausend Kostüme und Larven vermodern seit einem Jahr nie benutzt in Kellern und auf Dachböden, nachdem die Fasnacht am Freitag vor dem Morgestraich 2020 verboten worden war, wieviele Laternen waren fertig gemalt und kamen nie ans Licht, wieviele Schnitzelbänke waren geübt und wurden nie vorgeführt – ein gigantisches Fasnachtsmuseum der Corona-Zeit. Und jetzt gibt es zum zweiten Mal keine Basler Fasnacht, da fragen sich auch etliche angefressene Fasnächtlerinnen und Bebbi der älteren Generation, ob sie überhaupt noch mitmachen können, wenn es hoffentlich am 7. März 2022 wieder heisst: «Morgestraich, vorwärts marsch!»

Vorerst halten wir uns an die Gegenwart, an das Versprechen des Comité, für den 22. bis 24. Februar 2021 den Fasnachtsgeist trotz Pandemie und Versammlungsverbot in die Innerstadt zu holen, wo man ihn «still und leise» ausleben könne. Und halten wir uns an die Geschichten und Bilder von Zimbers Fasnacht mit den Fotos von Luisa Willuhn und dem Traum vom Fasnachtshimmel. Und als Bonbon: Eine von Franz Hohler gutgeheissene Verwandlung des Totemügerli ins Gruftwischperli – natürlich baseldeutsch erzählt.

Titelbild: Totentanz-Ölskizze 1975
Alle Bilder: © Rolf Holstein

Rolf Holstein: Zimbers Fasnacht. Texte und Illustrationen: Rolf Holstein. Fotos: Luisa Willuhn. Format 21×21 cm, 88 Seiten. Eigenverlag Rolf Holstein, 2020. ISBN 978-3-9524587-2-3

Das Buch kostet 29 Franken und kann in ausgewählten Buchhandlungen bestellt werden, beispielsweise bei
Bider&Tanner, Basel, wo man online bestellen kann.
O
der beim Fasnachtscomité
und direkt beim Verlag Holstein-Kunst
und mit Mail an: rolf.holstein@gmx.ch

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