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Berge als Türöffner

«Let’s Talk about Mountains. Eine filmische Annäherung an Nordkorea.» Unter diesem Titel lädt das Alpine Museum der Schweiz seine Besucherinnen und Besucher ein herauszufinden, ob Berge dazu taugen, ins Gespräch zu kommen.

Warum nicht die heimischen Alpen zum Anlass nehmen, um Nordkorea aus unbekannten Blickwinkeln kennenzulernen, befand ein Team um Museumsdirektor Beat Hächler und begann vor einigen Jahren, sich um Einreisegenehmigungen nach Nordkorea zu bemühen. Denn Korea ist von einer imposanten Bergkette vulkanischen Ursprungs geprägt, die sich durch beide Landesteile zieht. Sind die koreanischen Berge ebenso identitätsstiftend wie die Alpen für die Schweiz? Wurde die Geschichte Koreas vom Gebirge beeinflusst? Gibt es in Korea Landwirtschaft wie bei uns die Alpwirtschaft?

Nach umfangreichen Vorarbeiten, detaillierten Besprechungen mit dem nordkoreanischen Kulturkomitee, nach zwei Reisen in den Jahren 2018 und 2019, nach insgesamt sechs Wochen Dreharbeiten und dreimaliger Besteigung des berühmtesten Berges, des Paektusan, zeigt das Alpine Museum eine ebenso ungewöhnliche wie faszinierende Ausstellung. Sie beruht vollkommen auf den Filmaufnahmen, die in Nordkorea – wenige auch in Südkorea – entstanden sind.

Auf dem Paektusan. Die Menschen warten auf den Sonnenaufgang.

Wir folgen in der Ausstellung einer Reiseroute, die von der 3-Millionen-Stadt Pjöngjang ins Gebirge führt, zum «Heiligen Berg der Revolution», dem Paektusan, dann weiter ins südlichere Kumgang-Gebirge nahe der demilitarisierten Zone zu Südkorea und schliesslich auf den Hallasan, der nur von Südkorea aus zugänglich ist.

Nachdem uns am Eingang die wichtigsten Personen vorgestellt worden sind, treten wir in den ersten Raum und befinden uns mitten in Pjöngjang. Eindrucksvoll ist die suggestive Kraft der Bilder! Man meint, direkt an der Haltestelle zu stehen oder mit den Koreanerinnen und Koreaner in die U-Bahn zu steigen. Mit dem Kopfhörer nehmen wir auch die entsprechende Geräuschkulisse wahr.

Maler im Manuade Art Studio

Die Ausstellung setzt ganz auf wandfüllende Bilder, eines bis zwei pro Raum, und auf Gespräche mit Frauen und Männern, die stets an den Besuchsorten selbst stattfanden. Jeder Raum ist einem anderen Aspekt gewidmet, dazwischen zwängt man sich zwischen schwarzen Stellwänden hindurch und gelangt in den nächsten Bereich. Auf erklärende Texte wird ganz verzichtet. Wer sein Bild von Nordkorea vertiefen will, findet in einer sehr empfehlenswerten Broschüre nebst vielen Fotografien Interviews und Sachbeiträge.

Zwar liegt die Hauptstadt nicht im Gebirge, doch Hügel gibt es auch dort und den Moranbong-Park, offensichtlich ein beliebtes Freizeitziel, vor allem für Senioren. Wir sehen sie in weichen Bewegungen heiter und entspannt tanzen, es wirkt ein wenig wie Barfusstanz im Westen. Diese Sonntagsstimmung scheint im Gespräch mit drei Lehrerinnen auf. Sie sind zufrieden mit ihrem Leben. Nur eine erzählt zuletzt, dass sie aus den Bergen stammt und ihre Heimat, die Landschaft, die Blumen manchmal vermisst.

Auf dem Paektusan. – Arbeitsbrigaden tragen zumeist uniformähnliche Einheitskleidung

Berge sind DAS Thema. Die Ausstellungsmacher gingen vom Schweizer Standpunkt aus: Unsere Alpen sind mit der Schweizer Identität verbunden: Freiheit und Mythen in der Tell-Geschichte, aber auch der Verteidigung dienen die Berge, und nicht zuletzt sind sie Orte für Freizeit und Ferien. In Nordkorea ist es der schon erwähnte Paektusan, der all diese Ideale in sich vereinigt. Ein Ort unterhalb dieses Berges wird als Geburtsstätte des zweiten nordkoreanischen Herrschers Kim Jong-il verehrt, obwohl das historisch nicht stimmt. Der Staatsgründer Kim Il-sung hatte vom Paektusan aus den militärischen Unabhängigkeitskampf gegen Japan organisiert, heisst es. So nutzt die Familie Kim die Verehrung des Berges für sich selbst.

Feldarbeiterin in der Landwirtschaftskooperative Chonsam

In vielen Interviews hören wir die offizielle Version, die wohl schon die Kinder in der Schule lernen. Vieles mag uns seltsam scheinen, aber wie Beat Hächler sagt: «Wir kamen, um Fragen zu stellen, zuzuhören, ohne gleich ein Urteil zu fällen.» Das ist auch all denen zu empfehlen, die sich auf diese Ausstellung einlassen. Wer geduldig zuhört, findet individuelle Nuancen hinter den Aussagen der Gesprächspartner, entdeckt vielleicht kleine persönliche Facetten. Ein kräftiger, sportlicher Mann z.B. hebt mit Begeisterung hervor, dass er alle Berge in Nordkorea erklettert hat. Als einziger ist er geradezu westlich gekleidet und redet freier. Berührend ist die Aussage einer älteren Landfrau, die hofft, dass nie mehr so harte Zeiten kommen mögen wie während der Hungersnot in den 1990er Jahren.

«Indem wir mit vollkommen anderen Lebenshaltungen konfrontiert werden, sind wir gezwungen, unsere eigenen Einstellungen anzuschauen – und vielleicht zu überprüfen,» sagt Beat Hächler. Und Gian Suhner, der Filmer im Team, ergänzt: «Die Filmbilder und die Interviews schlagen ein langsames Tempo an, denn auf diese Weise können sich die Besucherinnen und Besucher innerlich auf die Bilder und die Interviewpartner einlassen.» Die kleinen Geschichten aus dem Alltag sollen uns überraschen. Und wenn es nur das Schulmädchen ist, das brav erzählt, warum sie den Paektusan gemalt hat, während die anderen Schüler um sie herum so tun, als hörten und sähen sie nichts.

Oberschule in Pjöngjang

Noch einmal Gian Suhner: «Wir wollten nicht unsere eigene Sicht in den Mittelpunkt stellen, nicht das Gesehene sogleich kommentieren, sondern Zeit und Raum lassen. Dass man dabei Widersprüchliches sieht und hört, ist gewollt. Es gibt in Bezug auf Nordkorea keine einfachen Antworten und keine eindeutigen Bilder.» – In Nordkorea ist aus unserer Sicht alles «politisch» bzw. ideologisch geprägt. Auch bei uns ist doch nicht nur die Gesellschaft, sondern das Leben jedes einzelnen von unseren Lebensvorstellungen geprägt? Das zu hinterfragen, gehört zu den Absichten dieses Projekts.

Das Filmteam konnte in einem einmalig günstigen Zeitfenster arbeiten: 2018 hatte gerade der südkoreanische Präsident Pjöngjang besucht, Dann kam das kurze Jahr der amerikanisch-nordkoreanischen Annäherung. Dieser Hintergrund ermöglichte es dem Schweizer Team, sein gewünschtes Drehprogramm nahezu vollständig zu realisieren – stets begleitet von zwei Guides des staatlichen Kulturkomitees, die das Tagesprogramm organisierten und aus dem Koreanischen ins Englische übersetzten. Vor Drehbeginn war mit der koreanischen Behörde genau abgesprochen worden, was erlaubt war. Eine Nachkontrolle fand nicht statt. «Dem hätten wir auch nicht zugestimmt,» erklärt Beat Hächler, «das gehört zu unserer Freiheit.»

Den stimmigen Abschluss bildet der Raum «Vom Paektusan zum Hallasan (Südkorea)». Wir sehen Besucher auf diesen beiden Bergen. Sichtbar wird die Sehnsucht der Südkoreaner, den Paektusan zu besteigen, – er sei einfach «noch schöner». Da zeigt sich der bis auf weiteres unerfüllbare Wunsch, das Trauma der Teilung Koreas zu heilen. Dass die beiden Koreas zusammengehören, sagen die Menschen aus beiden Teilen des Landes.

Let’s Talk about Mountains. Eine filmische Annäherung an Nordkorea.
Alpines Museum der Schweiz.  27. März 2021 bis 3. Juli 2022

Magazin zur Ausstellung: Das begleitende Magazin zeigt in einem Bildessay die Schauplätze der Ausstellung, greift die Themen der Filmbilder auf, stellt sie in einen Kontext und bewertet sie. Mit Beiträgen internationaler Autorinnen und Autoren zu Themen wie Geschichte, Freizeit, Schule, Kunst usw.  Preis: 14 CHF. Das Magazin kann hier bestellt werden.

Im Kunstmuseum sind Werke aus Nord- und Südkorea aus der Sammlung Uli Sigg zu sehen: «Grenzgänge»

Titelbild: Bushaltestelle, Pjöngjang, Filmstill (alle Aufnahmen: Alpines Museum der Schweiz)

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