FrontKulturDrei Theaterleute und das Virus

Drei Theaterleute und das Virus

Leere Theatersäle, Künstlerinnen und Künstler ohne Publikum, Kulturschaffende zwischen Frustration und Hoffnung. Seniorweb hat bei drei Theaterleuten nachgefragt, wie das Virus ihr Leben verändert hat.

Die Kultur gehört zu jenen Branchen, die besonders stark betroffen sind von den Folgen der Covid-Pandemie. Zwar hat der Bundesrat zusätzliche Mittel gesprochen: Kulturschaffende erhalten rückwirkend ab dem 1. November 2020 Ausfallentschädigungen. Ihre Einbussen werden damit ab dem 20. März gedeckt. Die Hilfe wird auf Freischaffende ausgedehnt. Damit sind Personen mit befristeten Arbeitsverträgen und häufig wechselnden Arbeitgebern gemeint. Im vergangenen Jahr hat der Bund 280 Millionen Franken ausbezahlt. Im laufenden Jahr sind es bisher 130 Millionen.

Trotz Kurzarbeitsgeld und Ausfallentschädigung ist die Stimmung in der Branche bedrückt. Viele Betroffene sahen sich gezwungen, Stellen in kulturfremden Bereichen anzunehmen. Andere beschäftigten sich mit Konzeptarbeit oder wichen mit ihren Produktionen in die elektronischen Medien aus. Leider gibt es auch Künstlerinnen und Künstler, die im Lockdown depressiv wurden und sich in ärztliche Pflege begeben mussten. Seniorweb hat bei drei Berner Theaterleuten nachgefragt, wie es ihnen derzeit geht.

Kornelia Lüdorff

Die Schauspielerin Kornelia Lüdorff (50) hat die vergangenen zwölf Monate sehr gemischt erlebt. «Im ersten Lockdown lebte ich für zwei Monate in einer Hütte im Emmental, das war eine tolle Erfahrung. Im zweiten Lockdown wurde es sehr viel schwieriger für mich, weil ich in ein komplettes Aus katapultiert wurde. Aber auch danach hatte ich das Glück, weiterarbeiten zu können.

Kornelia Lüdorff

Nach dem ersten Lockdown erhielt Lüdorff im Berner Theater an der Effingerstrasse ein Engagement. Dann fanden im Museum für Kommunikation Proben statt. Die Ausstellung «Super» konnte aber erst mit Verzögerung eröffnet werden. «Im zweiten Lockdown erlebte ich eine tolle Probezeit in Bozen mit „Gott“ von Ferdinand von Schirach. Das Stück kam auch nicht wie geplant zur Aufführung. Seither ist es für mich sehr spürbar geworden, wie lähmend und verhindernd Corona für uns Kulturschaffende ist,» bilanziert Lüdorff.

Dankbar ist die Profi-Schauspielerin für die staatlichen Finanzhilfen: «Sowohl im Museum für Kommunikation als auch im Theater an der Effingerstrasse habe ich Kurzarbeitsentschädigung erhalten. Ich bin froh, dass alles so reibungslos funktioniert hat und ich im Museum in einer festen Teilzeit-Anstellung bin.»

Lüdorff hofft, im Mai in Bozen in der Aufführung «Gott» auf der Bühne zu stehen. «Es wäre jammerschade, wenn wir das Schirach-Stück im Südtirol nicht zeigen könnten.» Sollten es die Verhältnisse in Bern erlauben, wird «Gott» im Herbst im Theater an der Effingerstrasse gezeigt. Für 2022 bereitet die Schauspielerin ein neues Solostück über Tschernobyl vor. «Es ist ein grandioser, erschütternder Stoff der belarussischen Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch. Die Premiere ist im März 2022 in Bern geplant. Im Mai werde ich das Stück in Zürich im «sogar theater» spielen. Darauf freue ich mich sehr, eine absolute Herzensangelegenheit.»

Die Folgen der Pandemie haben Lüdorff klargemacht, dass die Welt ohne Kultur für sie undenkbar ist. «Diese bereichert uns nicht nur, sie lässt uns unser Menschsein erst wirklich erleben. Welch geringen Stellenwert die Kultur in der Politik geniesst, hat mich zutiefst erschüttert. Ich bin aufgewacht und will mich noch engagierter für den Wert und die Stellung der Kultur, für die Kunst ganz allgemein, einsetzen.»

Michael Schoch

Die erste Welle und der Lockdown waren für den Schauspieler und Musiker Michael Schoch (42) eine «willkommene Auszeit in einer Phase, wo ich sowieso kaum Auftritte geplant hatte.» Damals half auch noch die Idee, dass die ganze Corona-Geschichte bald vorbei sein werde. Der Sommer 2020 war für Schoch toll, weil zwei Projekte, «Eine Mittsommernachts-Sexkomödie» (Freilichtspiele Moosegg) und «Genau so! Tierisch verspielte Geschichten» (Theater Szene im Botanischen Garten Bern) draussen stattfinden konnten.» Den Kultur-Lockdown seit Oktober habe er deutlich einschneidender zu spüren bekommen: Über hundert Konzerten und Vorstellungen mussten wegen Corona abgesagt werden. «Das Warten und immer wieder vertröstet Werden, Hoffnung und Positivismus aufzubauen und dann wieder enttäuscht zu werden, das schlägt auf die Moral. Wie lange dauert das noch?» fragte sich der Künstler mehr als einmal.

Michael Schoch

Doch das Hin und Her zwischen Proben und Absagen ging weiter. «Im Herbst studierten wir am «Theater Szene» «Das Dschungelbuch» ein und konnten gerade noch vier Vorstellungen spielen. Über sechzig Vorstellungen wurden abgesagt. Dann probten wir die «Chorprobe» am Theater Matte, spielten eine Generalprobe ohne Publikum im Dezember, probten dann erneut im März für einen zweiten Versuch, welcher ebenfalls nicht stattfinden konnten. Die Produktion ist nun verschoben auf Anfang 2022. Nun proben wir wieder eine Kinderproduktion für Aufführungen im Botanischen Garten im Sommer.»

Im November schob Schoch, der Not gehorchend, eine CD-Produktion ein. Durch eine Crowdfunding-Aktion wurde der Grundstein für eine Hörspiel-Produktion gelegt. «Zusammen mit Schauspielkollegin Miriam Jenni habe ich unser Theaterstück «Genau so! Tierisch verspielti Gschichte» in ein berndeutsches Hörspiel für Kinder verwandelt. Das war eine spannende Horizonterweiterung für uns Theaterschaffende und ein Versuch zur Diversifikation. Das Wichtigste für uns aber war, dass das Projekt stattfinden konnte und nun unser Hörspiel auf CD und auf anderen digitalen Kanälen verfügbar ist. Dieses Projekt hat uns moralisch über den Winter gerettet.»

Als Familie mit zwei kulturschaffenden Eltern ohne feste Anstellung ist auch Schoch dankbar für die finanzielle Unterstützung des Staates. «Aber ich finde es eigentlich eine Zumutung, dass wir Kulturschaffenden Monat für Monat und an unterschiedlichsten Stellen immer wieder von Neuem begründen müssen, dass wir nicht arbeiten konnten. Gerade in der Musikbranche ist dies verheerend, weil ja nicht nur Konzerte abgesagt wurden, sondern gar keine mehr geplant werden konnten.»

Wie viele andere macht sich der Berner auch ganz grundsätzliche Gedanken zur Krisenbewältigung: «Aus Sicht der Kulturbranche wären ein weiter Planungshorizont sowie Zusagen für langfristige finanzielle Unterstützungen extrem wichtig. Eine ganze Branche ist gezwungen, auf bessere Zeiten zu warten. Zusätzlich zum moralischen «Schaden» bei den betroffenen Menschen wird damit verhindert, dass Neues entsteht und vielleicht auch Veränderungen passieren,» findet Schoch und ergänzt: «Manchmal frage ich mich schon, ob der Gesellschaft ein bisschen gute Unterhaltung und Zerstreuung nicht auch helfen würden, besser durch die Pandemie zu kommen.»

Markus Maria Enggist

Der Schauspieler, Regisseur und Song-Writer Markus Maria Enggist (47) stand seit März 2020 nie mehr live vor Publikum. Geprobt habe er einiges und das tat sehr gut. «So spüre ich, um was es in meinem Beruf eigentlich geht. Es geht um Geschichten, Gedanken, Gefühle. Dies mit einem Ensemble an den Proben zu erleben gibt Kraft und Zuversicht. Wir sind nicht weg! Wir sind im Moment nicht so sichtbar für die Öffentlichkeit, aber wir bereiten uns vor, um unsere Zuschauer und Zuschauerinnen wieder «bespielen» zu können,» erläutert er.

Markus Maria Enggist (Fotos: zvg.)

Auf die Frage, ob er seit Beginn des Lockdowns bei Alternativ-Produktionen wie Stream, Podcast, CD oder Social Media-Produktionen mitwirkte, meint der Matte-Theaterleiter: «Gemeinsam mit Corinne Thalmann realisiere ich seit Sommer 2020 einen Podcast für das Theater Matte. Ich nahm am Streamingfestival 21 teil, und beim Theater Matte haben wir Stücke als «Video on demand» zur Verfügung gestellt. Zudem ist ein Konzert von mir auf meiner Webseite zu sehen. Dies sind alles Zeichen, dass wir da sind. Es ersetzt jedoch den direkten Kontakt zum Publikum nicht. Die Menschen im Theatersaal fehlen mir sehr.»

Angesprochen auf die staatlichen Finanzhilfen für Kulturschaffende zeigt sich Enggist «sehr dankbar und auch beeindruckt über das grosse und unermüdliche Engagement der Behörden und Ämter, namentlich des Amtes für Kultur des Kantons Bern und deren Mitarbeitenden.» Zutiefst berührt ist er auch von den vielen Unterstützungen (nicht «bloss» monetär) von Zuschauenden, Freunden, Familie und Bekannten. «Die Zuschriften, SMS, Mails, Telefonanrufe und Briefe mit mutmachenden Worten tragen uns Kulturschaffende über diese stille Zeit und zeigen uns, dass «man» auf uns wartet und uns wahrnimmt.»

In der Krise positiv bleiben, scheint Enggists Devise zu sein, wenn er abschliessend philosophiert: «Diese Zeit fordert unsere Gesellschaft sehr. Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft zusammenhalten und uns nicht mit gegenseitigen Vorwürfen oder Argwohn gegenüberstehen. Niemand ist schuld an dieser Pandemie. Wir alle sitzen im gleichen Boot, und gemeinsam schaffen wir es auch aus dieser Krise raus.»


 Links: 

24.05.2020: Fritz Vollenweider: Doch, Theater findet statt!
05.02.2021: Ruth Vuilleumier: Museen im Lockdown

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