Zuerst sollte ich kurz umschreiben, was ich unter «Stress» verstehe. Wikipedia meint, der Mensch werde bei Stress durch innere und äussere Reize beansprucht, was er als Belastung empfinden könne, aber nicht müsse. Und ich erinnere mich, dass ich vor vielen Jahren in einem Kurs lernte, dass es nicht nur belastenden, sondern auch aufbauenden Stress gebe. Nicht nur «Distress», sondern auch «Eustress». Ein lang erwartetes positives Ereignis bewirkt Eustress.
Es behafte mich niemand auf meinen Umschreibungen. Aber ich bin damit durchs Leben gekommen. Jeder Mensch muss sich seine eigenen Stresspfade suchen. Glücklich, wer sich Verhaltensmuster erarbeitet, die auf vielfältige Stresssituationen passen und immer wieder bei der «Bewältigung» helfen.
Hier muss ich unbedingt die Rolle des Wetters erwähnen, dessen Einfluss auf unsere Befindlichkeit ich erst vor Jahren entdeckt habe. Ich behaupte sogar, das Wetter bewirke, dass wir hier in der Schweiz manchmal etwas merkwürdige Zeitgenossen seien.
Meine Beweiskette? In der Primarschule freuten wir uns auf unsere erste Schulreise. Am auserwählten Tag regnete es. Ich erinnere mich an meine erste Einladung zu einem Gartenfest. Am entsprechenden Datum regnete es. Das Fest wurde aber trotzdem lustig, weil wir uns mit Tranksame und Essbarem in Nebengebäude zurückziehen konnten. Der Hochzeitstag einer Freundin sollte mit grossem Pomp «draussen» gefeiert werden. Selbstverständlich wurde er «vom Winde verweht». Dieser fuhr so heftig ein, dass all die luftigen, duftigen Kleider der Damen zur besonderen Augenweide wurden. Vom prächtig bemessenen Schleier der Braut gar nicht zu reden. Aber, was schreibe ich da? Niemand setzt in unserem Lande ein Fest, einen Anlass, eine Veranstaltung an, ohne sich vorher zu fragen, was denn zu tun sei, wenn es regne!
Der eigentliche Stress, dem ich mich in diesen gegenwärtigen Tagen ausgesetzt sehe, ist der Neuigkeitenstress auf allen politischen Ebenen. Kaum haben wir den Abbruch der Vertragsverhandlungen mit der europäischen Union halbwegs verdaut, steht uns die Fussball-Europameisterschaft ins Haus. In all den blumigen Beschreibungen der Fussball-Teams lernen wir die Nationen Europas auf ganz neue Art und Weise kennen. Aber halt, die EU fesselt weiter unsere Aufmerksamkeit.
Wie ist das jetzt mit der Anerkennung unseres Covid-Zertifikates? Nicht so, wie wir meinten. Bestätigt ist offenbar erst die «technische Kompatibilität». Unser Bundesamt für Informatik hatte da am Anfang ungenau informiert, wie wir nun in allen Nachrichtensendungen immer wieder hören müssen.
Um gleich auf der Bundesebene zu bleiben. Sonntag ist ein Abstimmungssonntag. Wir werden ab zwölf Uhr laufend über die Resultate informiert werden. Auf Ebene Bund, Kantone, Gemeinden. «Da sitze ich meist den ganzen Nachmittag lang vor dem Fernseher», sagte ich beim Morgenkaffee. «Um Gottes willen» meinten meine Kolleginnen. «Es reicht, wenn wir die Resultate am Abend erfahren».
Für mich sind solche Abstimmungssendungen am Fernsehen wie sportliche Veranstaltungen. Gewinner und Verlierer äussern sich. Wobei die Formulierungen meist bekannt sind. Wer Verlierer vertreten muss, beruft sich meist auf eine «respektable Minderheit». Deren Meinungsäusserung bei der Weiterbehandlung eines Geschäftes «berücksichtigt» werden müsse. Das wird zugestanden. Überhaupt gehen Politikerinnen und Politiker nach Bekanntgabe der Abstimmungsresultate pfleglich um miteinander. Jetzt sitzt man sich gegenüber. Beim nächsten Mal sitzt man vielleicht zusammen auf derselben Seite, auf derselben Bank.
Darum funktioniert es ja so faszinierend in unserem Lande. Politik ist ein ständiges Geben und Nehmen mit immer wechselnden Rollen: vereint kämpfen, gegeneinander kämpfen, zusammen gewinnen, zusammen verlieren ……
Aber genug der Sachgeschäfte. Wir werden in den nächsten Tagen noch hohen und höchsten Persönlichkeiten begegnen. Am Radio habe ich gehört, dass am Gipfel der G7-Nationen in Cornwall Prinz Charles einmal mehr auf die Wichtigkeit des Klimawandels aufmerksam gemacht hat. Ich glaube, es war ein einziger Satz, der übermittelt wurde. Aber ich habe Prinz Charles persönlich gehört!
Das «Supertreffen» in Genf zwischen dem USA-Präsidenten Joe Biden und dem Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, wirft schon lange seinen Glanz voraus. Wir wissen, in welchem Gebäude sich die beiden Herren mit ihrer Entourage treffen werden. Wir wissen noch nicht, in welchen Räumen. Etwas muss ja noch geheim bleiben.
Dafür sind wir bestens informiert über die Zahl der Sicherheitskräfte, welche den Schutz gewährleisten werden. Polizistinnen und Polizisten aus Genf, aus der ganzen Schweiz, aus Frankreich, werden eingesetzt werden. Und Armeeangehörige leisten Unterstützung. Natürlich freut es mich, dass mit Monica Bonfanti eine Frau die Genfer Kantonspolizei führt. Und ich freue mich gleichzeitig auf eine Zeit, in der dieser Umstand nicht mehr besonders erwähnenswert sein wird!
In Genf haben sich 1985 Ronald Reagan und Michael Gorbatschov getroffen. In Tondokumenten am Radio habe ich auch Botschafterin Heidi Tagliavini über dieses Treffen sprechen hören. Sie erwähnte, die beiden mächtigen Männer seien sich damals auf Anhieb sympathisch gewesen, hätten sich gut verstanden. Das habe für das ganze Treffen eine positive Grundstimmung bewirkt.
Nicht unterschlagen werden darf, dass der damalige Bundespräsident Kurt Furgler Organisator dieser bemerkenswerten Begegnung gewesen ist. Den Präsidenten der USA in perfektem Englisch begrüsste. Und sich auch an Michael Gorbatschov in dessen Muttersprache Russisch wandte.
In einer nachfolgenden Sitzung einer parlamentarischen Kommission, der ich angehörte, wurde unter Anwesenheit von Kurt Furgler eine Nachbesprechung abgehalten. «Wissen Sie, Herr Bundespräsident», sagte ein nicht sehr gut gelaunter Kollege. «Sie verkehren mit den Grossen dieser Welt. Und meinen dann, Sie seien selbst ein Grosser. Aber das sind Sie nicht». Punkt. Amen. War das etwa «typisch schweizerisch»? Wir lassen die Frage im Raume stehen!