StartseiteMagazinLebensartZwei Oscars für Ernst A. Heiniger

Zwei Oscars für Ernst A. Heiniger

Hierzulande fast vergessen ist der Fotograf und Kameramann Ernst A. Heiniger. Ihm ist in der Schweizerischen Fotostiftung eine Retrospektive gewidmet, bei der es viel zu entdecken und zu erinnern gibt.

Welche Erinnerungen haben Sie – sofern Sie zur älteren Generation gehören – an die Expo 64 in Lausanne? Es gab unerhörte architektonische Wunderwerke an Bauten, gigantische industrielle Objekte aus der Metall-, Maschinen- und Elektroindustrie und natürlich auch Einblick in die mechanisierte Landwirtschaft sowie in Schweizer Kultur aller Art.

Rundum-Erlebnis mit dem SBB-Film bei der Expo ’64. Foto: SBB Historic

Eins der damaligen Weltwunder Made in Switzerland kann man nun wieder in einer restaurierten Fassung geniessen: den Circarama-Film Rund um Rad und Schiene, der ein bewegtes 360-Grad-Panorama bot und von mindestens vier Millionen Besucherinnen und Besuchern gesehen worden war. Kameramann und Regisseur: Ernst A. Heiniger, Auftraggeberin: die SBB, der Inhalt: rasante und weniger rasante Bahnfahrten in alle Gegenden der Schweiz mit besonderer Berücksichtigung der touristischen Höhepunkte. Jetzt im Mini-Circarama der Fotostiftung in Winterthur.

Karl Wolf: Dreharbeiten zum Circarama-Film «Rund um Rad und Schiene», 1963 © Fotostiftung Schweiz

Die Schweizerische Fotostiftung ist genau ein halbes Jahrhundert alt, und Heiniger war einst bei den Promotoren der Gründung. Umso wichtiger war es, sein Archiv, das bei seiner Familie in den USA lag, in die Schweiz zu holen. Direktor Peter Pfrunder hatte nach etlichen Bemühungen aufgegeben, als die Nichte der Witwe 2013 im Nachlass Korrespondenz fand und ihrerseits mit der Fotostiftung Kontakt aufnahm, ein Glücksfall. Nun liegt das Konvolut im Archiv und kann rechtzeitig zum Jubiläum präsentiert werden.

Fotoausstellungen können unmittelbar faszinieren. Begleitpublikationen sind – anders als Kataloge zu Malerei- oder Objektausstellungen – fast immer ein Mehrwert. Nicht wegen der Begleittexte oder Essays, das können die Publikationen zu Kunstausstellungen auch, sondern wegen des direkten Anschauungsmaterials in kompakter Form, beispielsweise gilt das für den schönen Band Good Morning, World! Fotografien und Filme von Ernst A. Heiniger.

Good Morning, World! Fotografien und Filme von Ernst A. Heiniger. Gebunden, 256 Seiten, ca. 140 farbige und 130 sw Abbildungen. Scheidegger & Spiess, 2021
ISBN 978-3-03942-006-3

Trotzdem ist das Betrachten eines Originalabzugs oder einer Vergrösserung, die der Künstler einst selbst gemacht hat, ungleich intensiver in der Wirkung als der Druck im Fotobuch. Der Besuch der Ausstellung in Winterthur weitet nicht allein wegen der Filme den Blick auf einen der wichtigsten Schweizer Fotografen des letzten Jahrhunderts, sondern holt ihn auch mit seinen Fotos zurück, zumal Heiniger jahrzehntelang aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden war, nachdem er der Schweiz 1986 endgültig den Rücken gekehrt und vollends Richtung USA gezogen war.

Ernst A. Heiniger (1909 bis 1993), Bauernsohn aus Urdorf, war ausgebildeter Retoucheur und brachte sich das Fotografieren selbst bei, als ihm das Verbessern von Fremdbildern nicht mehr genügte. Als einer der ersten gestaltete er in den 30er Jahren ikonische Fotobücher, erinnert sei an die Puszta-Pferde oder an die Viertausender.Bekannte Motive, aber ganz neu gezeigt, formulierte die Kritik.

Ernst A. Heiniger: Seilschaft am Biancograt, Graubünden, 1941 © Fotostiftung Schweiz

Seine Arbeiten waren durch den Grossauftrag von Pro Telefon überall gegenwärtig. Es ging den PTT darum, für die neue Telefonie möglichst viel Kundschaft zu gewinnen. Für die Kampagne fotografierte er quer durch die Gesellschaft Menschen mit dem Telefonhörer. Ein besonderes Ausstellungsstück in dieser Werbeecke fürs Telefon ist der Film Sül Bernina von 1946 über die Verlegung des Verbindungskabels anstelle der witterungsanfälligen Freileitung über die Bernina. Mit Staunen verfolgt die Besucherin wie schnell und zugleich gefahrvoll die Sprengungen damals organisiert waren, wie ein Arbeiter mit Zigarette im Mund die Zündschnur in Brand setzt, bevor er sich – immer noch mit Zigarette – hinter den nächsten Felsblock wirft. Produzent und an der Kamera war Ernst Heiniger.

Ernst A. Heiniger: Wassertropfen, 1943 © Fotostiftung Schweiz

Geprägt hat den jungen Retoucheur die Ausstellung Film und Foto in Zürich, 1929. Er wollte nun in der Ästhetik der Avantgarde fotografieren, begann, fasziniert von der Neuen Sachlichkeit, mit der Bildschärfe und Ober- oder Untersichten, mit Strukturen und Ausschnitten zu experimentieren, und wurde als einer der ersten Fotografen 1933 in den Schweizer Werkbund aufgenommen, wie Kuratorin Katharina Rippstein zur Biographie ausführt. Heiniger arbeitete mit Grafikern wie Jan Tschichold, Herbert Matter oder Richard Paul Lohse zusammen und führte als visueller Gestalter mit Heiri Steiner ein Atelier für Fotografik.

Ein radikaler Wendepunkt erfolgt 1952, als Heiniger, Gewinner des Plakatwettbewerbs für die Weltausstellung für Photographie 1952 in Luzern, daselbst die Abteilung Sachfotografie kuratiert. Mit einer Publikation in englisch und deutsch zeigt Heiniger seine besten Arbeiten, wobei er jeweils auf einer Doppelseite je zwei Bilder gegenüberstellt, die zwar sehr unterschiedlich sind, aber eine Gemeinsamkeit haben. Die originalen Druckvorlagen zu Masterpieces of Photography sind nun Mittelpunkt der Ausstellung in der Fotostiftung. Mit dem Fotoband zieht Heiniger Bilanz und wendet sich vermehrt dem bewegten Bild zu.

Hier in Luzern begegnet er Walt Disney, der ihn aus dem Stand für den Schweizer Dokumentarfilm in der Serie People and Places engagiert. Diese Dokumentarserie mit Themen aus aller Welt sollte jeweils vor Disneys Animationsfilmen vorgeführt werden, als «Edutainment». Heiniger lernt bei der Arbeit seine Frau Jean Feaster kennen, die beiden werden privat und beruflich ein Team. Einige Beispiele der Disney-Dokus, darunter jene, für die Heiniger den Oscar bekam, sind als Videos in der Ausstellung zu sehen.

Ernst A. Heiniger: Jean und Ernst A. Heiniger bei den Dreharbeiten zum Cinemasope-Film «Grand Canyon» (USA, 1958), 1958 © Fotostiftung Schweiz

Interessiert war Heiniger damals an neuen Formaten des Films, die er teils auch selbst entwickelte. Für den Expo-64-Film arbeitete er mit neun Kameras, später entwickelte er das nahtlose 360-Grad-System Swissorama, mit dem er den Film Impressionen der Schweiz (1984) für das Verkehrshaus Luzern realisierte.

Nochmals vertiefte er sich ab 1970 in die Fotografie, versuchte nun unter dem Titel Light Art die Unschärfe und die Bewegung ins Bild zu bringen, welches zusammen mit einer Tonspur gezeigt wurde. Die Fotostiftung hat eine Rekonstruktion der Arbeit versucht, die von Heiniger 1973 im Helmhaus zu sehen und hören war. Und 1979 erhielt er in der Stiftung für Photographie im Zürcher Kunsthaus eine Einzelausstellung. Mit dem Jubiläum ist für die Fotostiftung als Nachlassverwalterin gerade die rechte Zeit gekommen, dem genialen Tüftler und grossartigen visuellen Künstler eine Erinnerungsausstellung zu veranstalten.

Titelbild: Ernst A. Heiniger, Selbstporträt, um 1950 © Fotostiftung Schweiz

Bis 10. Oktober
Hier gibt es Informationen zur Ausstellung Ernst A. Heiniger, sowie zur Ausstellung 50 Jahre Fotostiftung Schweiz, die gleichzeitig stattfindet.
Das Jubiläum wird am 18. September 2021 gefeiert.

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