Der See ladet nicht nur zum Bade (wie in Schillers Wilhelm Tell), nein, die Gestade am Zürichsee öffnen sich im Frühherbst in der mustergültig sanierten Tonhalle nach vierjährigem Interregnum endlich wieder der klassischen Musik – und gute Laune ist mit dem Saisonprogramm 2021/22 zugesichert.
Die Atmosphäre im prächtigen grossen Konzertsaal war schon fast andächtig, als der Tonhalle-Organist Christian Schmitt zu Beginn der Medienkonferenz mit Händel-Zückerchen die neue Kuhn-Orgel aus Männedorf, sanft angestrahlt, in brausendes Licht tauchte. Sein anschliessender verbaler Hymnus auf das Königsinstrument lässt vermuten, dass vorzügliche Arbeit geleistet wurde und wir uns diesbezüglich auf ihren Einsatz freuen dürfen.
Intendantin Ilona Schmiel und Chefdirigent Paavo Järvi vor der neuen Tonhalle-Orgel
Ilona Schmiel parlierte sichtlich aufgeräumt polylingual über die bevorstehende Spielzeit, auf dem Orchesterpodium eingerahmt von Chefdirigent Paavo Järvi und dem neuen Oboisten Martin Frutiger, der in heimeligem Berndeutsch seine Freude über seine Berufung kundtat. Doch auch die Konzertmeisterin Julia Becker und der Tonhalle-Organist wollten ihre Vorfreude über den Neustart in den vertrauten Gemäuern nicht verhehlen. Martin Vollenwyder, Präsident der Tonhalle-Gesellschaft, bekundete per Video-Botschaft seine Zuversicht, dass gelingen möge, was der Stadt zur Ehre gereicht. Ein ansteckender, familiärer Geist scheint an den See zu ziehen, ein gutes Omen für den Aufbruch zu neuen Ufern.
Aus der Vogelschau: das Zürcher Kongresshaus und die Tonhalle nach der Sanierung / Fotos © Tonhalle-Gesellschaft
Paavo Järvis Handschrift mit Mahler, Bruckner und Gastspielen bis nach Japan
Auffallend ist, dass Paavo Järvi mit der Tonhalle bis im November viermal zu Gastkonzerten unterwegs ist, darunter auch auf einer kleinen Japan-Tournee. München bildet dann im Januar 22 den Abschluss, Beleg, dass die Aura des Orchesters an internationalem Zuspruch zulegt. Eröffnet wird die Saison am 15./16. September mit Mahlers Dritter. Ein Symposium wird dem Konzertsaalbau um 1900 rund um die Architekten Fellner&Helmer, die auch das Zürcher Stadttheater (heute Opernhaus) in Rekordzeit erstellten, nachgehen. Die vier baulichen Zäsuren 1895 – 1939 – 1985 und 2021 sollen als programmatische Leitgedanken die bewegte Geschichte des Musiktempels auch musikalisch Revue passieren lassen.
Nein, weder vorne noch hinten ein Picasso, aber Paavo Järvi an einer Bauwand der Tonhalle / Foto © Alberto Venzago
Im Fokus steht auch die Einspielung eines Bruckner-Zyklus. Das Tonhalle-Orchester scheint für Järvi prädestiniert, hier Massstäbe zu setzen. Eine Lobeshymne über das wunderbare Orchester blieb nicht aus. Wer mittlerweile weiss, wie sich Fussballer motivieren lassen und nach den Sternen greifen, wird das auch den Musizierenden zubilligen wollen.
Der amerikanische Komponist und Dirigent John Adams wird im März eigene Werke zu Gehör bringen, und John Eliot Gardiner hat mit dem Monteverdi Choir im November „L’Enfance du Christ“ von Hector Berlioz zweimal im Gepäck. Und Kent Nagano wird das erschütternde «War Requiem» von Benjamin Britten mit der Zürcher Sing-Akademie dirigieren. Die ganz grossen Dirigenten- und Solistennamen fehlen noch, doch da sich die Saisonplanung heutzutage auf drei bis fünf Jahre erstreckt, braucht Zürich noch etwas Anlaufzeit. Immerhin gastieren mit Herbert Blomstedt, Marek Janowski, Lorenzo Viotti, Frank Strobel und Ehrendirigent David Zinman einige illustre Namen. Auch Kammermusik-Zyklen, die Filmsinfonik, Familienkonzerte, die Reihen Literatur und Musik, Série jeunes, tonhalleLATE (classic meets electronic) und eine den dirigierenden Nachwuchs fördernde Conductors’ Academy unter Paavo Järvi erweitern das Spektrum eines verheissungsvollen Neuanfangs. Geplant ist auch wieder ein Open Air auf dem Münsterhof, und zwar mit Carl Orffs unter die Haut gehende „Carmina Burana“.
Der Vorverkauf für die Einzelbillette der Saison 2021/22 beginnt am Montag, 23. August 2021, 11.00 Uhr, über die Nummer 044/206 34 34 oder online über boxoffice@tonhalle.ch
Teaserbild: Ausblick von der neuen Tonhalle-Terrasse auf den See und die Alpen