StartseiteMagazinLebensartDer Alentejo - vergessenes Portugal

Der Alentejo – vergessenes Portugal

Einen grösseren Gegensatz zur benachbarten Region, der vermutlich am besten bekannten Portugals, der Algarve, – kann man sich schwerlich vorstellen. Dort am Meer volle Strände und monströse Bettenburgen, hier unverfälschte Natur mit pittoresken Städtchen und Kastellen auf Bergkämmen.

Der Alentejo – das Land jenseits des Flusses Tejo – umfasst etwa einen Drittel Portugals. Es leben aber gerade einmal fünf Prozent aller Portugiesen in diesem touristisch wenig bekannten Landesteil östlich von Lissabon gegen die Grenze nach Spanien hin. Portugal besitzt ein gut ausgebautes Strassennetz, aber Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist auch für jemanden, der slow travel mag, mühsam.

Monsaraz – ein Städtchen wie aus dem Bilderbuch. Foto: © 2021 – Portugal 360˚

Die Dörfer mit ihren Burgen erstrahlen in hellem Weiss und setzen markante Punkte in das archaische Bild der Landschaft. Naturliebhaber, Ornithologinnen und Kulturreisende mit geschichtlichem Interesse werden auf ihre Rechnung kommen.

Die Planície Dourada, die Goldene Hochebene, dehnt sich bis zur spanischen Grenze aus.

Die Landschaft prägen lang gezogene Hügelketten, Hochebenen mit Kornfeldern und Weideflächen und viel Wald, die Serras. Und nicht zuletzt spielt der Wein eine Rolle, zusammen mit den Korkeichen, die in kleinen Gruppen oder auch einzeln als knorrige Exemplare stellenweise an eine Savannenlandschaft erinnern.

Hundert Kilometer entfernt von der Grossregion Lisboa mit ihren dreieinhalb Millionen Einwohnern liegt der Alentejo Baixa (Unterer Alentejo). Bis Juni, wächst Weizen auf sanft geschwungenen Hügelketten, die sich im Horizont verlieren. Unter Korkeichen und in Olivenhainen dösen im Schatten Schafe, Ziegen und halbwilde schwarze Schweine. Ab und zu sieht man Gehöfte in der dünn besiedelten Landschaft. Erst nach der Nelkenrevolution 1974 wurde das System mit Grossgrundbesitzern und ausgebeuteten Tagelöhnern aufgehoben. Trotz einer Reform bleibt die Armut sichtbar in Dörfern und im fehlenden Ausbau des öffentlichen Verkehrs.

Évora: Mittelpunkt der Stadt ist die Praça do Giraldo, gewidmet dem furchtlosen Helden, der die Stadt von den Mauren zurück eroberte.

Starten wir in der Stadt Évora, schon 1986 zum UNESCO-Welterbe geadelt. Das einheitliche Stadtensemble mit zahllosen Adelspalästen, Kirchen und Klöstern zeigt sich als Open-Air-Museum. Während Jahrhunderten war Évora portugiesische Residenzstadt. Der Spaziergang durch die von Mauern umgebenen Innenstadt, geprägt von den Farben weiss und gelb, ist ein Vergnügen. Die Stadt lässt sich wie ein Buch zur portugiesischen Kunstgeschichte lesen. Wir besichtigten die Igreja de São Francisco mit der morbiden „Capela dos Ossos“ (Knochenkapelle) aus dem 17. Jahrhundert, einem Ossarium mit der Widmung «Wir, Knochen, die wir hier sind, warten auf die euren.»

Évora: In die Enge der letzten Bogen im 18 km langen „Aquädukt des silbernen Wassers“ hat man Häuser errichtet.

Évora ist auch der geeignete Ausgangspunkt für eine Reise in die Steinzeit. Wir haben darüber berichtet. Almendres, die grösste steinzeitliche Anlage auf der iberischen Halbinsel aus dem 5. Jahrtausend v.Chr., ist von hier aus gut erreichbar.

Das pittoreske Städtchen Monsaraz gehört heute den Touristen.

Nahe an der Grenze zu Spanien thront das mittelalterliche Festungsstädtchen Monsaraz auf einer Felskuppe. Epochen seiner turbulenten Vergangenheit waren die Rückeroberung unter Geraldo Sem Pavor (dem Furchtlosen) von den Mauren und die Übergabe an das strenge Regime der Tempelritter. Die Bedrohung durch die Nachbarn, die Könige vom Kastilien, war während Jahrhunderten präsent. Mauern und Tore aus dem 13. Jahrhundert bewachen den Zugang.

Marvão ist eine ideale Location für einen Film aus dem Mittelalter

An privilegierter Aussichtslage krallt sich die Burg Marvão an den mehr als 800 Meter hohen Felsenkamm, der abrupt ins Tal stürzt. Der Name geht auf den maurischen Eroberer Ibn Marwan zurück. Jedes Jahr findet im Oktober ein muslimisches Festival statt. Die militärisch-strategische Bedeutung der Festung blieb bis ins 19. Jahrhundert bestehen. Hier waren eine Garnison und eine eigenständige Kommandantur stationiert.

Sorthela: das ganze Städtchen ist eine Festung.

Mitten in einer gewaltigen Felsszenerie von bis zu hausgrossen Granitfelsen wurde ein verwinkeltes Städtchen gebaut. Sorthela gilt als eine der schönsten und am besten erhaltenen Stadtgründungen Portugals aus dem Mittelalter. Die imposante Wehrmauer und ein auf die Felsen gestellte Burg beeindrucken.

Die Kathedrale von Guarda gilt als der schönste Granitbau Portugals. Foto: Cláudio Franco

Die Sé da Guarda auf einem Ausläufer der Serra Estrela verdankt ihre Gründung der Lage. Die Kathedrale als Kirchenfestung besteht aus einer Mischung von Romanik, Gotik und manuelinischer Architektur. Eine Besonderheit ist der Aufstieg auf den Torre dos Ferreiros. Ins Mittelalter kommt man nur durch einen QR-Code, der einen Lift hinauf auf Turm und Wehrmauern öffnet.

Von der Strasse aus mit etwas Mühe, aber klar erkennbar: eine Figur in eindeutiger Stellung.

Hoch oben an der Ostfassade findet sich – neben einer Feuerleiter – eine männliche Figur, dem nahen Kastilien zugewandt. Und zwar in einer ganz speziellen Stellung. Der Mann kriecht in die Mauer hinein und zeigt dem Betrachter den A., auf jeden Fall ist in seinem Hinterteil ein grosses Loch auszumachen. Der Bau der wuchtigen Kirche war die Ausführung eines Gelübdes nach dem Sieg über Kastilien.

Damit fällt ein Stichwort zur Beziehung zwischen den beiden Ländern. Das Verhältnis der ungleichen Nachbarn hat nach Simon Kamm, einem Kenner der portugiesischen Geschichte, eine lange Tradition. Man bewohnt zwar die gleiche Halbinsel, aber man mochte sich für lange Zeiten nicht besonders. Heute leben beide in guter Nachbarschaft. Wer mehr erfahren möchte, kann die 1200 km lange gemeinsame Grenze erkunden. Burgen, Forts und Städtchen auf ausgesetzten Felsenkämmen zeugen von dem Verhältnis. Die Portugiesen hielten sich die lästigen Kastilier am liebsten auf Distanz, begrüssten wenn nötig mit Kanonenkugeln und zeigte den Nachbarn, was man von ihnen hielt. Endgültig nach der Schlacht von Aljubarrota (1385).

Heute ist Portugal das älteste europäische Land ohne Grenzveränderung. Von diesem Zeitpunkt an konnte sich Portugal der Vereinigung mit Kastilien entziehen. Doch die Portugiesen mussten noch oft zu den Waffen greifen, um die lusitanische Unabhängigkeit zu verteidigen.

Sonnenuntergang über der mächtigen Festung in Marvão mit Blick gegen Spanien. Foto: David Angel 

Man weiss, man ist sich ähnlich – doch auch ganz anders. Mit dem Eintritt Portugals in die EU hat sich vieles verändert. Spanien ist der grösste Handelspartner. Die jahrhundertealte Rivalität und Abwehrhaltung zum Erzfeind ist noch im kollektiven Bewusstsein verankert. Das muss nicht böse gemeint sein. Aber viele Spanier sind manchen Portugiesen zu laut, zu arrogant, zu direkt. Es ist ein „Vaterlandsgefühl“, das mit der eigenen nationalen Identität zu tun hat, schreibt José Saramago (1922-2010), Portugals Literatur-Nobelpreisträger. Doch ist auch die Idee einer União Ibérica – also einer Vereinigung der beiden Länder verbreitet.

Titelbild: Die ehemalige Kathedrale von Elvas macht einen eher abweisenden aber durchaus wehrhaften Eindruck. Foto:  Cláudio Franco
Fotos: © Justin Koller
Simon Kamm: Portugal. Ein Länderporträt. Ch. Links Verlag.
ISBN: 978-3-96289-049-0
Hier geht es zum Seniorweb-Beitrag Reise in die Steinzeit 

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