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«Aus Liebe zum Menschen»

Marianna Reinhard organisiert im Raum Bern Bestattungen sowie Abschiedsfeiern. Neben der klassischen Beisetzung ermöglicht sie das Verstreuen der Asche in der Natur, Seebestattungen und Luftbestattungen. Zusammen mit ihren Mitarbeitenden praktiziert sie eine zeitgemässe, individuelle, menschenliebende Bestattungskultur.

Jeder und jede von uns begegnet mindestens einmal einem Bestatter oder einer Bestatterin: Beim Tod von Angehörigen oder nahen Freunden, und dann am Schluss, beim eigenen Ableben. Die Bedürfnisse der Trauernden sind sehr verschieden. Die einen nehmen nur die notwendigsten Dienstleistungen wie das Einbetten und Überführen der verstorbenen Person in den Aufbahrungsraum oder ins Krematorium in Anspruch. Andere lassen sich empathisch begleiten, äussern Spezialwünsche und sind froh, wenn ihnen sämtliche administrativen Handlungen, das Verfassen der Todesanzeige, der Versand der Leidzirkulare sowie die Organisation der Trauerfeier abgenommen wird.

Den Verstorbenen mit Respekt begegnen, gibt den Angehörigen Orientierung, sagt Marianna Reinhard.

Die Berner Bestatterin Marianna Reinhard bietet ihre Unterstützung gemäss dem Leitmotiv «Individuelle Bestattung aus Liebe zum Menschen» an. Eine zeitgemässe Bestattungskultur bedeutet für sie, sich immer wieder neu mit dem Thema «Tod» auseinander zu setzen. Dies präge und definiere unser Menschenbild sowie die Kultur der Lebenden, erklärt sie gegenüber Seniorweb. Weil ihr dieses Menschenbild am Herzen liegt, pflegt sie eine menschliche Bestattungskultur.

«Mir ist wichtig, die verwirrenden Gefühle und Ängste im Angesicht des Todes zu beachten und zu würdigen. Da ist dann erst einmal diese Stille, die sich ausbreitet, diese andächtige, oft aber auch ohnmächtige Stille. Ihr öffne ich mein Herz und höre hin, um die Botschaft des Augenblicks zu vernehmen und dann die verstorbene Person sowie deren Angehörige auf dem letzten Weg zu begleiten», schreibt Marianna Reinhard über sich und ihre Tätigkeit. Seniorweb wollte es genauer wissen und bat die Bestatterin zum Interview.

Was hat Sie dazu bewogen, nach Ihrer Pensionierung als Heimleiterin einer Altersresidenz in Bern Bestatterin zu werden?

Marianna Reinhard: Menschen sind in einem Todesfall echt, bei sich, bei ihren Gefühlen angekommen. Ich finde es eine wunderbare Aufgabe, Menschen echt zu erleben und sie in ihrer Trauer zu begleiten. Trauer ist für mich eine Form von Liebe. Deshalb kann ich gut mit Trauer umgehen. Die Begleitungen sind für mich heilende und heilige Momente. Daraus schöpfe ich mir den Glauben an das Gute in jedem Menschen.

Wie begegnen Sie den verstorbenen Menschen?

Ich begegne ihnen, wie ich lebenden Menschen gegenübertrete. Dann mache ich sicher nichts falsch. Für mich ist wichtig, dass ich mit dem oder der Verstorbenen in eine Beziehung komme. Ich stelle mir dann immer vor, dass diese Person mir zuschaut. Wenn sie sagen würde: «Danke, für mich stimmts», dann habe ich ein gutes Gefühl und weiss, dass ich es richtig mache.

Für Luftbestattungen entwickelte Marianna Reinhard einen speziellen Urnen-Sack.

Viele Verstorbene habe ich noch zu Lebzeiten persönlich gekannt, sei es aus dem beruflichen Umfeld oder aus dem Freundeskreis. So kann ich meine Arbeit anders machen, als wenn ich die Person nicht gekannt hätte. Unabhängig davon, ob ich sie gekannt habe oder nicht,  rede ich mit den Verstorbenen.

Wie stehen Sie selbst zum Tod?

Wenn jemand gestorben ist, dann ist der Körper noch da, aber das, was den Menschen ausmachte, wie dies auch immer ausgelegt wird, ist weg. Von Albert Einstein stammt der Satz, dass Energie und Materie immer bleiben. Deshalb ist die Energie oder die Seele irgendwo. Wo dies ist, frage ich nicht, denn das weiss ich erst, wenn ich einmal selbst von dieser Welt gehe. Ich muss nicht immer alles wissen. Es gibt Dinge, die ich nicht hinterfrage. Wenn ich spüre, dass es keine Antwort gibt, habe ich ein Urvertrauen und grüble nicht.

Wie stellen Sie sich Ihren eigenen Tod und die anschliessende Beisetzung vor?

Alle Menschen, die ich bisher begleiten durfte, haben das Sterben oder Hinübergehen geschafft. Deshalb werde auch ich diesen Übergang schaffen. Ich mache mir keine Bilder oder Sorgen. Dies war für mich ein langer Weg, doch habe ich auf diesem Weg zu meinem Urvertrauen gefunden und konnte viele meiner Ängste von Sterben und Tod ablegen.

Sind Sie religiös?

Ich glaube, dass wir alle gut geführt sind. Wer uns führt, darf jeder für sich entscheiden oder glauben. Für mich steht fest: Es gibt etwas Übergeordnetes, das es gut mit uns meint. Eine strafende Macht kenne ich nicht, meine Vorstellung von «Gott» ist Liebe. Deshalb spüre ich auch, dass mir nicht mehr zugemutet wird, als ich zu tragen vermag. Weil Energie und Materie nicht vergehen, glaube ich auch an ein Leben danach: Die Seele lebt ewig. Mein verstorbener Mann zum Beispiel ist noch immer bei mir. Ich rede jeden Tag mit ihm.

Wie begegnen Sie den Angehörigen der Verstorbenen?

Ich gehe jedes Mal neu in die Situation des individuellen Sterbens hinein und versuche zu spüren, was für die Angehörigen in diesem Moment hilfreich ist.  Es brauchen nie alle dasselbe. Zuerst wünsche ich mir, dass sie ihr Herz öffnen können und in ihrer Gefühlswelt ankommen.


Eine kürzliche Seebestattung auf dem Bielersee empfand die Bestatterin als besonders schön. Foto Privat.

Vor dem Einbetten stelle ich mich und meine Begleiter vor, erkläre ihnen, was die nächsten  Schritte sind und bedanke ich mich beim  Verstorbenen für das, was er oder sie  im  Leben bewegt haben. Das ist für die Angehörigen oft der Auslöser für die Formulierung ihrer Bedürfnisse. Letztlich ist meine Haltung gegenüber den Verstorbenen die gleiche, wie mit den Lebenden. Das führt zu einer Natürlichkeit, die Herzen öffnet.

Wie sieht für Sie eine schöne Bestattung oder Abdankung aus?

Frieden im Herz schaffen, die Angehörigen einbinden, sind für mich wichtige Elemente der Trauerarbeit. Wenn ich die Verstorbenen und Angehörigen gefühlvoll und mit Respekt behandle, dann gibt das ihnen Orientierung und Sicherheit. Beides spendet Trost und Zuversicht. Mir geht es immer darum, ein gelebtes Leben zu wertschätzen und zu ehren. Der Körper ist für mich wie ein Haus, in dem eine Seele gelebt hat. Diesen Körper ehre ich über den Tod hinaus. Es ist nicht ein Abschliessen, sondern es wächst etwas Neues. Gelingt ein Abschied, dann kann auch ein  Neustart gelingen.

Wie wichtig ist  das persönliche Abschiednehmen in der letzten Stube, im Krematorium, bei einer begleiteten Einäscherung oder am Grab?

Diese Momente sind nach meiner Erfahrung sehr wichtig, um abschliessen zu können. Trauernde haben mir gesagt, dass sie in diesem Moment bewusst wahrgenommen haben, dass der oder die Verstorbene gegangen ist, von den Flammen umarmt oder der Erde zurückgegeben wurde.  Den Tod erlebbar machen, ist ein zentrales Geheimnis beim Abschiednehmen. Wichtig für Trauernde ist auch das Gefühl, dass sie ihre Verstorbenen auf diesem letzten Abschnitt – sei es bis zum Ofen oder zum Grab – nicht alleine lassen.

Was halten Sie von unkonventionellen Beisetzungen wie Ausstreuen im See oder im Fluss, Wald- oder Luftbestattungen?

Ich finde das Verstreuen oder Ausstreuen der Asche eine schöne, natürliche Art der Beisetzung. Man gibt der Natur etwas zurück. Der Kreislauf schliesst sich. Für mich ist es wichtig, dass die Angehörigen die Beisetzungsart wählen, die für sie und die verstorbene Person stimmt. Schöne Erinnerungen habe ich an eine vierstündige Seebestattung auf dem Bielersee. Neu war für mich eine Luftbestattung aus einer fliegenden Cessna, für die wir einen speziellen Urnen-Sack aus Stoff entwickelt haben.

Das Berner Sargvelo. Foto: aurora Bestattungen.

Ist das Sargtransportvelo, das in Bern angeboten wird, mehr als ein Werbegag?

Ja, für mich schon. Für die Angehörigen kann diese Langsamkeit des offenen Transports durch ein Quartier zu einem tiefen Erlebnis werden. Ausserdem bringen wir durch die Erkennbarkeit eines rollenden Sargs durch die Strassen den Tod wieder zurück in den Alltag, machen ihn für die Bevölkerung sichtbar. Das Cargo-Bike bringt die Menschen zum Innehalten.

Hat die Corona-Pandemie Ihre Haltung zum Tod und zum Begleiten verändert?

Corona hat uns aufgezeigt, dass wir nicht alles im Griff haben und der Tod allgegenwärtig ist. In der ersten Welle habe ich ausserdem schmerzhaft erlebt, dass Menschen in einem Spitalzimmer allein sterben mussten, und die Angehörigen von Besuchen ausgeschlossen waren. Das war während der zweiten Welle anders. Schliesslich mussten auch wir Bestatter lernen, unter verschärften Hygienevorschriften zu arbeiten.

Marianna Reinhard ist Mitbegründerin und Eigentümerin des Berner Bestattungsinstituts finis.

Wie möchten Sie selber einmal begleitet und beigesetzt werden?

Ich habe eine Bestattungsvorsorge gemacht, wo meine Wünsche und Ansprechspersonen hinterlegt sind. Das Finanzielle und meine Stellvertretung im Geschäft sind ebenfalls geregelt. Zudem wissen meine Nächsten, wie ich einmal begleitet werden möchte.

Titelfoto: Die Bestatterin vor ihren Urnen, darunter Wasserurnen der Berner Töpferin Nathalie Heid. Fotos: Peter Schibli

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