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Über den Teufel in uns

Mit «Weibsteufel» wird derzeit im historischen Rittersaal auf Schloss Thun das gleichnamige Dreiecks-Drama von Karl Schönherr in einer Mundart-Neufassung gezeigt. Die Inszenierung überzeugt dank der Ausdrucksstärke und Beweglichkeit der drei Hauptdarsteller.

In uns allen steckt irgendeinmal ein Teufel(chen): List, Eifersucht, Betrug gehören genauso zum Leben wie Glück, Genügsamkeit und Liebe. Wenn aber die Gefühle im Gefängnis oder gar mit einem Mord enden, dann wird die Bühne des rationalen Handelns definitiv verlassen. Exakt diese Entwicklung nimmt die Geschichte des Alpendramas «Weibsteufel», das 1914 vom Tiroler Arzt und Schriftsteller Karl Schönherr geschrieben und 1915 im Johann Strauss-Theater in Wien uraufgeführt wurde. Der Schweizer Jungregisseur Simon Burkhalter hat die Saga bearbeitet und in einer Neufassung auf Schloss Thun inszeniert.


Ein faszinierendes Theaterlokal: Der Rittersaal auf Schloss Thun.

Die Geschichte des grossen Klassikers der deutschsprachigen Theaterliteratur geht wie folgt: In einem Bergtal an einer Landesgrenze lebt in einer eher ärmlichen Wohnung ein Ehepaar. Die Armut ist bloss vorgetäuscht, denn das Paar profitiert vom einträglichen Schmuggel. Der kränkliche Ehemann kompensiert seine Schwächen durch Schlauheit und Verschlagenheit. Seine Frau strotzt vor Kraft, Gesundheit und Weiblichkeit. Obwohl die Babykleider bereits in einer Truhe lagern, bleibt den beiden der Kinderwunsch versagt.

Teuflische Pläne

Eines Tages verkündet der Mann (gespielt von Rolf Sommer) seiner Frau (Regula Imboden), er habe genug gespart und kaufe ein schönes Haus am Marktplatz, wo die beiden künftig ohne Schmuggel in Frieden leben wollen. Die Pläne durchkreuzt ein neuer Zöllner (Christoph Keller), der im alten Haus für eine Inspektion erscheint. Vom örtlichen Kommandanten hat er erfahren, dass das Paar im Keller Schmuggelware lagert und bislang jede Anhaltung oder Bestrafung misslang. Der Schmuggler schlägt seiner Frau einen teuflischen Plan vor: Sie soll den attraktiven Zöllner verführen, damit er inzwischen die Schmuggelware beseitigen kann.

Der unerwartet aufgetauchte Beamte verspricht sich eine Beförderung, wenn er den Schmuggler überführen kann und macht dessen Frau seinerseits Avancen. Man ahnt es: die erotischen Pläne der beiden Männer durchkreuzen sich und laufen aus dem Ruder: Denn die Ehefrau erwidert die Liebe des Zöllners mit echten Gefühlen. Die beiden vergnügen sich in einer fantastischen Liebesszene, choreografisch perfekt dargestellt, und ergeben sich in  brennender Anziehung.

Die Frau des Schmugglers und der Zöllner im perfekt choreografierten Liebesrausch.

Nun schlägt der Plan des enttarnten Schmugglers in Eifersucht um. Mit einem Messer in der Hand stellt er den Zöllner. Dieser greift zur Pistole und erschiesst den Schmuggler. Für die Affekthandlung landet der Beamte im Gefängnis. Lachende Dritte ist die überlebende Ehefrau, die das neue Haus am Marktplatz erbt. Sie ist sich bewusst geworden, dass sie vom eigenen Mann in einem bösen Spiel als Instrument missbraucht und entwertet wurde. Rechtzeitig emanzipiert sie sich und schlägt die «Herren der Schöpfung» mit ihrer Intelligenz und dem Willen zur Selbstbestimmung.

Dunkle Seiten

Für Regisseur Simon Burkhalter (27) zeigt Schönherrs «Alpenkrimi» auf eindrückliche Weise, was geschieht, «wenn die dunklen Seiten aus uns Menschen herausbrechen». Den drei Spielenden hat er unterschiedliche Persönlichkeiten verpasst: Die missbrauchte  Ehefrau ist sich ihrer Unterdrückung anfänglich nicht bewusst, setzt sich aber mit Kleverness und Flexibilität gleich gegen beide Männer durch. Der Schmuggler agiert mit Egoismus und Egozentrismus: er denkt nur an sich und nicht an seine Frau. Der Zöllner schliesslich folgt naiv den Befehlen der Staatsgewalt und verfällt der attraktiven Ehefrau in dem Moment, in welchem sie seine Gefühle erwidert.

Regisseur Burkhalter (Foto): «Das Zusammentreffen dieser drei in sich gefangenen Menschen ist eine toxische Mischung und entfesselt die Abgründe und dunklen Seiten ihrer Wünsche und Gedanken. Die Triebe nehmen Überhand, und was zum Vorschein kommt, ist Unbekanntes, Ungeschöntes und Beängstigendes.»

Die Thuner Inszenierung «Weibsteufel» überzeugt durch den einmaligen Spielort, den über 800jährigen Rittersaal aus zähringerischer Zeit, durch die schlichten, aber wohltuend aufeinander abgestimmten Kostüme von Renate Tschabold und durch das fantastische Bewegungsspiel der drei Figuren. Die Kürzungen im Text tun dem Erfolg der Produktion keinen Abbruch. Im Gegenteil. Insgesamt ein toller Theaterabend, der zu vielen Interpretationen und zum kritischen Nachdenken über den Teufel in uns anregt.

Weitere Aufführungen auf Schloss Thun: 8.9. / 9.9. / 13.9. / 19.9.2021. Beginn jeweils 19.30 Uhr. Ausser sonntags: 17 Uhr.

www.schlosstheaterthun.ch

Titelbild: Ehefrau und Schmuggler beim Wolle Rollen, die sich nach und nach zu einer Zündschnur entwickelt. Alle Fotos: © Nico Kobel

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