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Corsin Fontana: Musik fürs Auge

Seit vielen Jahren benutzt der Bündner Künstler Corsin Fontana die Ölkreide auf Papier oder auf Leinwand. Bilder aus den vergangenen zehn Jahren mit einer Rückschau aufs Gesamtwerk sind im Bündner Kunstmuseum zu sehen.

Corsin Fontanas Künstlerbiographie ist die konsequente Suche nach der radikalen Vereinfachung und Verdichtung. Auf seinen Bildern entstehen horizontale und vertikale Linien und Gitterstrukturen auf weissem Grund. Die grosszügig konzipierte Ausstellung «Scalafundas» erlaubt einen umfassenden Einblick in das Werk eines Denkers und Handwerkers, der mit Bedacht und Konzentration arbeitet

#49, 2017, Ölkreide auf Leinwand.© Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen. Sturzenegger-Stiftung

Scalafundas heissen zwei Zeichnungen von 1968, die der Churer Ausstellung die Überschrift nachzusehen. Zwar finden Sie dort scala – Leiter, auch Tonleiter, und fund – der Boden, die Basis. Scalafundas ist jedoch eine Wortschöpfung, die im Dialog Fontanas mit seinem Emser Jugendfreund Alberto Rainolter einst entstanden ist, wie wir hören durften.

Ebenso kryptisch ist der Titel des Katalogs, oder vielmehr des Künstlerbuchs, welches zu der Ausstellung herausgegeben worden ist: Schgh könnte das Geräusch der Ölkreide sein, die Fontana in einem präzisen Strich über die Leinwand führt. So befremdlich die Buchstabenfolge auf dem roten Leinenumschlag, so aufschlussreich das Innere des Buchs: Was Museumsdirektor und Herausgeber Stephan Kunz in seinem Essay Interferenzen schreibt, erlaubt einen Einstieg in das auf Anhieb nicht leicht zugängliche Werk Fontanas.

Das Künstlerbuch «Schgh» ist schwarz und weiss, arabisch und deutsch. Jeweils links das Bild einer Musikkassette, rechts ein Werk von Corsin Fontana. Hg. vom Bündner Kunstmuseum Chur, Verlag Scheidegger & Spiess, 2021. ISBN 978-3-03942-043-0

Bei einem Atelierbesuch fällt Kunz› Aufmerksamkeit auf Kassetten und CDs: Es ist die riesige Sammlung an Musik aus dem arabischen Raum, die Corsin Fontana in Jahrzehnten gesammelt hat und die er sich regelmässig anhört – auch während der Arbeit an einem Bild. Musik, die ihn ruhig werden lässt und Spannungen abbauen hilft. Fontana gibt Hörbeispiele. Der Künstler erzählt, der Kurator versteht: Die Klänge und Rhythmen, deren sinnlichem Sog man sich kaum entziehen kann, fliessen in die abstrakten, aber keinesfalls akademisch konstruierten Bilder.

 

Gross wie ein Leintuch ist der Holzschnitt auf Baumwolltuch von 1980. Büpndner Kunstmuseum Chur.

Nun ist diese Musik, die Corsin Fontana seit einem halben Jahrhundert begleitet, der er auf Reisen in den Maghreb und in die Sahelzone begegnet ist – zunächst mit Alberto Rainolter, später mit seiner Frau Sonia Fontana, in die Ausstellung integriert. Eine grosse Tischvitrine zeigt nicht Skizzen oder Versuche, wie die anderen Schaukästen, sondern Kassetten- und CD-Hüllen in einem Gitterraster angeordnet, also noch ein durchstrukturiertes Werk. Hörstationen und Videos geben zudem einen Eindruck von der Musik, die Corsin Fontana hört und die in seine Kunst einfliesst.

Die Vitrine mit den als Raster eingelegten Musikkassetten aus der Sammlung des Künstlers.

Die Werkgruppe Horizontal mit unterschiedlich langen horizontalen Linien grau auf weiss hat einst einen Komponisten so angeregt, dass er darin Partituren gefunden hat. Eine unglaubliche Kraft geht von den zugleich abstrakten und sinnlichen Werken aus. Monochrome Flächen mit Strukturen, Rhythmen, flimmerndhelle Aussparungen, wo Linien sich kreuzen und der weisse Untergrund durchschimmert.

Spinnengewebegegenstand, 1977. Sammlung Hans-Jörg und Regula Ruch

Einfache Formen aus seiner Umgebung haben Corsin Fontana interessiert. Er arbeitete zunächst mit natürlichen Materialien, Schilfrohren, Spinnweben, Schweinsblasen. Ein paar dieser Arbeiten, dazu die in Marokko entstandenen Solarisationen – mit Sonnenlicht erstellte Porträts – illustrieren diese Frühphase seiner Suche nach dem Schlichten. Die üppige Bilderflut unserer Welt lehnt er ab. Seinen Formenkatalog und seine Gestaltungsmittel hat er eingeschränkt: Auf Papier oder Leinwand benutzt er die Ölkreide – zunächst nur in schwarz, dann auch in rot, orange, blau und weiteren Farben – fast immer monochrom.

Blick in die Ausstellung: Monochrome Tafeln in bunter Reihe

So wichtig wie das Ergebnis ist das Erarbeiten, und dieser zeitlich ausgedehnte Prozess lässt sich am Endprodukt wiederum ablesen. Der Gestaltungsablauf – ist es Malen oder Zeichnen? – vollzieht sich in einer meditativen Handlung, die wiederholt wird und damit einen Rhythmus bekommt. Eine Schicht wird Strich um Strich kraftvoll und langsam aufgetragen, bis die nächste aufgetragen werden kann, muss die erste trocknen. So kann es lange, manchmal wochenlang dauern, bis die Bildidee umgesetzt ist.

Ohne Titel, 2020 Ölkreide auf Papier. Privatsammlung

Weil die Fettkreide pastos aufgetragen einen Reliefeffekt erzeugt, leben die Tafeln, generieren fast reliefartige Effekte je nach Lichteinfall und Betrachtungswinkel. In der geometrischen Ordnung steckt viel Bewegung und eben – Musik, für alle die mit den Augen auch hören können, das gilt sowohl für die Raster, Linien und Gitter, als auch für die gewählten Farben, denn jede Farbe «hat eine andere Vibration», sagt Fontana.

Ein musikalisches Beispiel aus der Sammlung von Alberto Rainolters Youtube-Kanal Cafe Matich.

Der 1944 in Ems geborene Corsin Fontana lebt als freier Künstler in Basel und Cumbel im Bündner Oberland. Seit den 1970er Jahren ist ihm die klassische und populäre Musik des arabischen Raums vertraut. Nun wird diese wichtige Insprationsquelle für sein Werk erstmals sichtbar gemacht: Corsin Fontana schöpft nicht nur aus westlicher Arte Povera oder abstrakter Minimal Art, auch wenn er ein wichtiger Vertreter dieser Kunstrichtungen ist.

Titelbild: Corsin Fontana in der Ausstellung «Scalafundas»
Fotos: Eva Caflisch
Bis 21. November
Hier finden Sie Informationen zum Besuch der Ausstellung Scalafundas

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