Zahlreiche fantasievoll gestaltete Frauensilhouetten beleben in den kommenden Wochen das Bundeshaus zum Jahrestag der Einführung des Frauenstimmrechts vor 50 Jahren. «Frauen im Bundeshaus» ist ein Projekt von Schweizer Künstlerinnen.
Seit Jahren wird jeweils im Herbst auf die Fassade des Bundeshauses eine Lichtschau projiziert. In den Wochen bis Mitte Dezember dieses Jahres werden die ehrwürdigen Hallen, Gänge und Balustraden im Bundeshaus selbst durch eine Vielfalt an lebensgrossen Frauenfiguren geschmückt, die auf die mangelnde Gleichstellung der Frauen, auf spezifische Frauenfragen, auf Zukunftsvisionen von Frauen hinweisen oder die einfach fünfzig Jahre Frauenstimmrecht feiern. Die Schweizerische Gesellschaft Bildender Künstlerinnen (SGBK) entwickelte diese Idee und verwirklicht sie nun zum 50. Jahrestag der Abstimmung über das Frauenstimmrecht.
Drei Frauensilhouetten von Elsbeth Gyger, Heinke Torpus, Elena Lichtsteiner (von links)
Wer als Nationalrätin oder Nationalrat das Bundeshaus durch den Haupteingang betritt, wird unwillkürlich auf die drei Frauenfiguren blicken, die ihren Platz unterhalb der ehrwürdigen Drei Eidgenossen bekommen haben – was für ein erfrischender Kontrast! Drei Frauen in unterschiedlichen Lebenssituationen heben die steinernen Männer vom Sockel und bilden einen Moment Alltag ab.
Die mittlere Frau scheint der Besucherin eine Art Helvetia zu sein, denn sie trägt ein farbenfrohes Kleid mit allen Kantonswappen. Wenn man genau hinschaut, erkennt man gewisse Abweichungen. Aus dem Bischofsstab des Basler Wappen wird die Narrenkappe der Fasnachtsfigur «Ueli», Symbol für Geist und Humor. Die Farben der Wappen hat Heinke Torpus beibehalten, aber die Wappen selbst angepasst: Machtsymbole verwandelt die Künstlerin in Zeichen für Gleichberechtigung, Zusammenarbeit, Verständigung.
Ruth Righetti: «Wie gleichberechtigt sind Schweizer Frauen 2021? Wir sind die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung. Hören wir auf, dem Patriarchat zu buckeln.»
Von Elfi Zangger Thoma erfahren wir, dass sich 67 Künstlerinnen der SGBK an diesem Projekt beteiligen. Jede zeigt in ihrer eigenen Gestaltung ihre Sicht auf das zukünftige Miteinander der Geschlechter. Einige Frauen werfen auch einen zornigen Blick auf die überlange Periode der Rechtlosigkeit. Die Platzierung der Silhouetten erfolgte nach einem genauen Plan, den die projektleitenden Frauen im Bundeshaus vorlegen mussten. In Sitzungssälen waren keine Figuren erlaubt.
Das Kunstprojekt löste unter den Künstlerinnen einen Diskurs über Gender- und Geschlechterforschung aus, teilt Elfi Thoma mit. Sie als langjährige Präsidentin der SGBK habe noch nie eine derart intensive Diskussion in diesem Rahmen erlebt. Offensichtlich wurde vielen Künstlerinnen erst dadurch bewusst, welche Kraft zu Veränderungen in ihren Arbeiten steckt. Elfi Thoma sagt: «Verantwortungsbewusstsein und Fantasie der Künstlerinnen stellen sich damit als unverzichtbare Motoren für den gesellschaftlichen Fortschritt dar.» Die Botschaften seien zum Teil geschichtlich relevant, zu Teil provozierend oder stellten einfach die nackte Wahrheit dar.
Anna Aregger
Die Künstlerinnen schufen ihre Frauensilhouetten nicht immer nur allein in ihrem Atelier. Anna Aregger ist als Kunsttherapeutin tätig und gab ihren Mitstreiterinnen die Gelegenheit, sich zu beteiligen. So sind 50 Rosen entstanden, die auf beiden Seiten der Figur befestigt sind, jede Blüte hat eine spezielle Bedeutung.
Evelyn Dönicke erzählte in einer Frauengruppe in Küttigen von dem Projekt, was die Frauen so begeisterte, dass sie sich mit Bändern, auf denen sie Wünsche und Hoffnungen notierten, beteiligt haben. Diese Bändchen trägt die Figur nun in einer Mappe unter dem Arm; das Wahlcouvert zeigt, auf welchem Weg die Wünsche realisiert werden sollen.
Evelyn Dönicke
Während ich durch die Gänge schlendere, fällt mir auf, wieviel Lebensfreude die Frauensilhouetten ausstrahlen. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft überwiegt, ohne zu verschweigen, dass die Gleichberechtigung immer noch nicht voll verwirklicht ist. Leichtigkeit und Beweglichkeit, Farben und fantasievolle Darstellungen der Figuren kontrastieren mit der Schwere der alten Traditionen in diesem 120 Jahre alten Gebäude.
Die Schweizerische Gesellschaft Bildender Künstlerinnen wurde im Jahre 1902 gegründet, im Jahr als der Bau des Parlamentsgebäudes vollendet wurde. Die Gründung entstand als Antwort zahlreicher Künstlerinnen auf die Weigerung damaliger Künstler, Frauen in ihre 1865/66 gegründete Vereinigung aufzunehmen. Erst 1972/73 entschlossen sich die Mitglieder des männerdominierten Verbandes, auch Frauen aufzunehmen. Damals war die SGBK schon stark genug, um – mit zeitgemässen Veränderungen – weiter zu bestehen. Die SGBK zählt heute fast 200 Mitglieder, davon leben einige Künstlerinnen im Ausland.
Jardenah Masé-Goldberg (Ausschnitt)
Das SGBK-Kunstprojekt «Frauen im Bundeshaus» kann bei normalen Führungen im Bundeshaus angeschaut werden. Jeweils mittwochs (bis Mitte Dezember 2021) finden spezielle Führungen mit Bezug auf die Frauensilhouetten statt. Anmeldungen hier.
Titelbild: Elisabeth Rosa Fux Mattig: «Ich gehöre dazu»
Guten Tag Frau Petzold
Vielen Dank für den schönen Artikel mit gutem Text und vielen Fotos!
Meine Arbeit haben zudem sehr gut beschrieben 🙂
freundliche Grüsse
Heinke Torpus
Liebe Frau Petzold
Ich bin eine der 67 SGBK Künstlerinnen. Vielen Dank für den tollen Artikel zu unserer Ausstellung im Bundeshaus. Besonders freut mich, dass Sie mein Statement auf dem roten Stimmcouvert so prominent erwähnen. Ich bin mir sicher, es gibt noch viel zu tun um die wirkliche Gleichstellung zu erreichen.
Herzliche Grüsse
Ruth Righetti