StartseiteMagazinKultur"Weiblicher geht nicht"

«Weiblicher geht nicht»

Manon, die Ikone der Zürcher Künstlerszene der 70er Jahre, zeigt eine Retrospektive der fotografischen Arbeiten in der Schweizer Fotostiftung Winterthur: «Einst war sie ‹La dame au crâne rasé'».

Sie wurde schlagartig als Künstlerin wahrgenommen, als sie Das Lachsfarbene Boudoir aus ihrem Dachzimmer an der Zürcher Augustinergasse in einer Galerie ausstellte, damals, als alles noch grau in grau gewesen sei, Frauen den Männern abschauten, wie man Kunst machte und im übrigen als Musen, Modell und Back Office figurierten. Manon brachte ihre weibliche Welt in die Öffentlichkeit: «Weiblicher geht nicht,» sagt sie 2013 im Dokumentarfilm von Lekha Sarkar.

Ebenfalls ganz weiblich ist die Installation ganz am Anfang der Retrospektive: «Too late» hat Manon mit Lippenstift auf den mit einem vertrockneten Bouquet roter Rosen dekorierten Spiegel am Eingang zur Ausstellung geschrieben. Sie ist sich bewusst, dass die Energie beim Altwerden abnimmt. Aber sie hat zusammen mit der Kuratorin und ihrem Assistenten diese Retrospektive mitgestaltet. Die Kontrolle über sich und ihr Tun nicht aus der Hand zu geben, war ihr seit den Anfängen wichtig.

Aus der Serie Borderline, 2007. © Manon/2022, Pro Litteris, Zurich

Die Ausstellung zum 80. Geburtstag der Künstlerin kommt also zwei Jahre später als geplant – wegen der Pandemie. Aber keinesfalls zu spät, denn Manons Inszenierungen sind alles andere als aus der Zeit gefallen. Ihre hintergründige Befragung der Politik und des Feminismus berührt auch im Jetzt. Ihre zugleich sensiblen und radikalen Bildgestaltungen thematisieren Rollenmuster ebenso wie Lebensängste und befeuern die aktuelle Debatte über Herrschaftsverhältnisse und erst recht jene über Identität und Geschlecht.

Das zieht sich durch das ganze Werk, wobei in den letzten Jahren die Vergänglichkeit immer mehr in den Vordergrund rückt, die Selbstdarstellung der Inszenierung von Objekten aus ihrem Besitz weicht. Nach dem Lachsfarbenen Boudoir und weiteren Installationen schockiert sie mit Manon presents Man, deutlicher kann die Genderfrage kaum geäussert werden. Aber die Stiefeletten in einer Szene von Hotel Dolores, die eher Bondage als Eleganz bedeuten, sagen viceversa dasselbe fast noch deutlicher. Geschenkt hat sie ihr seinerzeit der Filmemacher Daniel Schmid, der zu ihrem Freundeskreis gehörte.

Ausstellungsansicht mit der Replik des Amsterdamer Käfigs und der Serie «Einst war sie Miss Rimini» im Hintergrund.

Die Installation Sentimental Journey, bei der sie in Amsterdam 1979 mit rasiertem Schädel und roten Handschuhen in einer Art Zwinger aus Drahtgeflecht sass, ist heute als Replik im Fotozentrum aufgebaut. Eine der seltenen Werkskizzen zeigt den Aufbau der Installation. Jene Wagemutigen, die sich damals an Statisten vorbei bis zu ihr in den Käfig bewegten, betrachtete sie schweigend. Ausstellungsbesucher mögen Marina Abramovics Performance im Moma 2010 assoziieren, aber die Kuratorin Teresa Gruber erinnert flugs, dass Manons Idee um Jahrzehnte älter ist. Immerhin bekam sie nebst anderen Auszeichnungen 2006 eine «Ehrengabe für pionierhaftes Schaffen». Und sie ist auch mit dem Meret-Oppenheim-Preis und vielen weiteren Auszeichnungen geehrt worden.

Das Selbstproträt in Gold, 2014 ist auch Titelfoto des Buchs MANON, welches zu den drei Ausstellungen zum 80. Geburtstag der Künstlerin erschienen ist. © Manon/2022, ProLitteris, Zurich

Ihr Medium ist die Fotografie, ihr Anliegen, über inszenierte Bilder – zunächst mit sich selbst in einer Rolle – Aussagen zur Gesellschaft zu machen. Als eine der ersten hat sie die Selbstinszenierung erfunden, lange vor anderen, heute weltberühmten Fotografinnen.

Einfach das ablichten, was ist, interessierte sie erst Jahrzehnte später im Sinne eines Tagebuchs mit der Digitalkamera. Davon lesen kann man im Buch Federn, das Texte aus ihrem Alltag und über das Herstellen von Kunst versammelt. Es ist letztes Jahr veröffentlicht worden und letztlich die Dokumentation vom Scheitern einer Zusammenarbeit mit einem Regisseur.

Schreiben war ihr wichtig, auch wenn sie das meiste nie veröffentlicht hat. Schreibend hat sie ihre Szenerien entwickelt und sich aus ihrer schwierigen Herkunft freigemacht: Sie litt als Kind und Jugendliche darunter, dass niemand, vor allem ihre Eltern nicht, sie wahrgenommen hatte. Erst mit dem Besuch der Kunstgewerbeschule in Zürich habe sie zu leben begonnen, wurde zur schillernden Figur einer lebendigen Zürcher Künstlerszene, in der sie meisterhaft ihre selbst erfundene und kontrollierte Rolle spielte, um sich nicht preiszugeben.

Aus der Serie: La dame au crâne rasé, 1977/78. © Manon/2022, ProLitteris, Zurich

Mit dem Rollenspiel in den Fotos, welche sie bis ins letzte Detail vorbereitete, konnte sie sich – die sonst eher schüchtern sei – präzis inszenieren, so viel von sich preisgeben, wie sie wollte. Auf den Auslöser gedrückt hat jeweils ihr Lebenspartner.

Von ihrem ersten grossen Werk, La Dame au crâne rasé besitzt die Fotostiftung eine Gruppe von Vintage-Abzügen, die seit1982 zur Sammlung gehören, ergänzt mit neuen Grossformaten. Manon legt ihre Arbeiten nicht weg, sondern sucht immer wieder neue Interpretationen. Die Serie ist in Paris entstanden, wohin die Künstlerin nach dem Trubel um ihr Boudoir geflohen ist. Auch die Fotos aus der Serie Elektrokardiogramm sind hier neu präsentiert: Nicht nur die Wand, auch der Boden ist ein Schachbrett – die Fotos wirken in dieser Rauminstallation intensiver als je.

Ausstellungsansicht. Fotos aus der Serie Elektrokardiogramm 303/304, 1979/2011. Foto: Christian Schwager. © Manon/2022, ProLitteris, Zurich

Die Ausstellung ist nicht chronologisch aufgebaut. Immer wieder scheint eine der jüngeren grossen Arbeiten auf: Das Hotel Dolores (2008 – 2011), an dem die Künstlerin drei Jahre lang gearbeitet hat: Hotel Dolores führte sie immer wieder in die Blume, das verlassene und leicht verfallene Bäderhotel in Baden, wo die Serie entstanden ist. Sie wurde 2020 in Zofingen bei zu Manons achtzigstem Geburtstag, also rechtzeitig, ausgestellt, die anderen zwei Ausstellungen im Centre culturel in Paris (2021) und die aktuelle im Fotozentrum mussten verschoben werden.

Künstler Eingang 1990. © Manon/2022, ProLitteris, Zurich

Einige Szenen des Hotel Dolores sind auch in der Fotostiftung dreidimensional aufgebaut: Beispielsweise der Raum mit dem leeren Bildschirm und den zwei Sesseln davor: Symbolhaft zeigen sie, wie die Zeit vergeht. Oder auch die Zeitansage in Rot von 2014, wo aus einem alten Wandtelefon in kurzen Abständen die Uhrzeit gesagt wird.

Ausstellungsansicht: Vorn links Zeitansage, 2014, im Hintergrund ein Bild aus der Serie Hotel Dolores 2008-2011

Ein paar Jahre lang hat sich Manon völlig aus dem Kunstbetrieb zurückgezogen, sich von einer Drogenabhängigkeit kuriert und nicht gearbeitet. 1990 ist sie wieder zurück. In der Ausstellung wird ein Triptychon in Farbfotografie gezeigt, das sie für das Kunstmuseum St. Gallen produziert hat. Nun gewinnt ihre Arbeit noch mehr Kraft und auch einen ironischen und humorvollen Blick auf den Lauf der Zeit und den Ablauf des Lebens. Die Fotoserie Einst war sie Miss Rimini von 2003 steckt voller Humor und zugleich ist es ein direkter und sehr weiblicher oder auch feministischer Blick auf eine Gesellschaft, die auf den Glanz fokussiert, den Rest verdrängt.

Ausschnitt aus der Installation Einst war sie Miss Rimini, 2013

Und es wird erzählt von einer Frau um die sechzig, die nichts zurückzunehmen hat. «Keine dieser Frauen ist mir fremd. Ich bin sie selbst,» sagt Manon zu den Porträts. Ähnliche Geschichten, aber weniger abgeklärt, dafür mit Rebellion und Schmerz, erzählte sie 1980 in schwarzweiss mit der Serie Ball der Einsamkeiten.

Bis 29. Mai

Titelbild: La dame au crâne rasé dreifach gespiegelt
Weitere Fotos: ec
Hier finden Sie weitere Informationen zur Ausstellung.

MANON, Begleitbuch zu den drei Ausstellungen (d/e/f), Verlag Scheidegger & Spiess, 2019. ISBN 978-3-85881-639-9
Manon: Federn, Verlag Patrick Frey 2019. ISBN: 978-3-906803-96-8

Spenden

Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, Sie zum Denken angeregt, gar herausgefordert hat, sind wir um Ihre Unterstützung sehr dankbar. Unsere Mitarbeiter:innen sind alle ehrenamtlich tätig.
Mit Ihrem Beitrag ermöglichen Sie uns, die Website laufend zu optimieren, Sie auf dem neusten Stand zu halten. Seniorweb dankt Ihnen herzlich.

IBAN CH15 0483 5099 1604 4100 0<

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Beliebte Artikel

Mitgliedschaften für Leser:innen

  • 20% Ermässigung auf Kurse im Lernzentrum und Online-Kurse
  • Reduzierter Preis beim Kauf einer Limmex Notfall-Uhr
  • Vorzugspreis für einen «Freedreams-Hotelgutschein»
  • Zugang zu Projekten über unsere Partner
  • Massgeschneiderte Partnerangebote
  • Buchung von Ferien im Baudenkmal, Rabatt von CHF 50 .-