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Seit ich mit Stöcken gehe

Je älter ich werde, desto mehr Schwierigkeiten verschafft mir die Gleichgewichtslage beim Gehen. Manchmal erlebe ich, wie mein Fuss ohne meinen Willen einen Seitentritt tut, den ich mit dem anderen auszugleichen versuche, um nicht zu stürzen. Einmal überquerte ich mit einer mir bekannten Frau eine Brücke. Sie beobachtete mich beim Gehen und sagte, du wackelst beim Schreiten. Sie riet mir, Stöcke zu kaufen. Diese würden mir Sicherheit geben. Wohl etwas energisch wehrte ich ab. Das komme nicht in Frage. Aber versuche einer mal einer temperamentvollen Frau, die um sie besorgt ist, eine solche Empfehlung auszureden. Sie wird nicht lockerlassen und am Ende Recht behalten.

Für meine Gegenwehr benutzte ich das lächerliche Argument, ich wolle nicht wie ein alter Mann wirken. Aber das Alter ereilte mich unerbittlich. Ich bin nicht mehr der starke Mann von einst. Ich kann nicht unterschlagen, dass ich den 86. Geburtstag bereits gefeiert habe und auf die 90 zugehe. Die besagte Frau sagte mir gar: «Was du im Kopf hast, hast du nicht mehr in den Beinen!» In der Tat erlangten die Beine eine gewisse Eigenmächtigkeit und halten sich nicht an das, was mein Kopf befiehlt. Dir Schramme am Kopf liess sich leider nicht verleugnen und ich musste wohl oder übel leichte Stöcke beschaffen.

Und da geschah, was ich nicht vorausgesehen hatte. Diejenigen, die mich kannten, fragten mich etwa, ob ich wandern gehen würde. Das Jein überhörten sie, sie sahen mich als Wanderer. Ich genoss das neue Profil und sagte mir, mit dem Rucksack einkaufen ist auch Wandern. Nach zwei, drei Monaten habe ich mich nun an die Stöcke gewöhnt und sie sind meine täglichen Begleiter und ich erlebe immer wieder Überraschungen. Steige ich in den vollen Bus, erhebt sich meist eine junge Frau vom Sitz und bietet mir mit einem Lächeln ihren Sitz an. Steige ich aus, überlassen mir die Leute den Vortritt und sind bereit, mir zu helfen, wenn es nötig wird. Soviel Rücksicht habe ich mein Leben lang nicht erfahren. Auf dem Bahnhof weichen die Menschen aus und drängeln nicht in meiner Nähe. Sie machen einen angemessenen Bogen um mich. So erfahre ich ein neues, befreiendes Lebensgefühl, indem ich das Gleichgewicht nicht verliere. Und noch etwas geschieht, was Hundebesitzerinnen und Hundebesitzer kennen, die Stöcke werden zu einem Anknüpfungspunkt für Gespräche und ich muss mich gelegentlich zurückhalten, damit mir fremde Menschen nicht ausführlich ihre Krankengeschichte erzählten.

Ich entwickelte mit den Stöcken mittlerweile einen gewissen Stolz. Sehe ich auf dem Perron, dass ältere Personen mit den Füssen tastend den sicheren Boden suchen, ertappe ich mich dabei, wie ich mich bereits als Fachmann ausgebe, der ihnen rät, welche Stöcke sie kaufen könnten. Ich denke sogar, sie könnten sich an mir ein Beispiel nehmen.

So schlich sich bei mir unbewusst eine gewisse Einbildung ein. Als ich mich dann erinnerte, wie lange ich mich selber gegen den Gebrauch von Stöcken gesträubt hatte, erkannte ich einen gewissen Zug an mir, eine Art schweigender Überheblichkeit, die mir bislang fremd war. Dass man sich im Alter mit Seinesgleichen vergleicht, ist wohl Gewohnheitssache, aber man braucht ja nicht gleich ein Besserwisser zu werden.

Vergleiche finden unter Gleichen statt. Millionäre vergleichen sich mit Millionären, Milliardäre mit Milliardären. Im Alter vergleicht man sich nicht mit jungen Sportlern, sondern mit Gleichaltrigen. Wenn Einer also mit Stöcken geht, wird sich ein Robusterer nicht vorstellen wollen, dass er dies auch einmal tun würde. Darüber kann ich jetzt als Kenner der Materie sprechen, denn inzwischen komme ich mit den Stöcken ganz gut zurecht und bin dankbar, dass ich mich mit ihnen im Gleichgewicht halten kann.

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2 Kommentare

  1. Betr. Stöcke!!!!!!!!
    Warum wehrt ( man ) sich sooooo lange!!!!!!
    Ich bin noch nicht 80 + laufe schon über 2 Jahre am OFFROADER, Rollator mit grösseren Rädern, kann also auch an d. Emme oder Ilfis laufen!!!!!!!!
    Wehrt euch nicht die tollen Hilfsmittel zu benützen.
    Freundl. Gruss Theres Aus Langnau i. E.

  2. Auch ich bin noch nicht 80+, und wehre mich immer noch gegen Stöcke . Danke , lieber Senior und liebe Seniorin für eure Ermunterung , das Leben zu erleichtern, statt sich verunsichern zu lassen über alles , was nicht mehr so geht wie früher. Meine Enkel, 9 und 11 haben ganz selbstverständlich begriffen, dass ihre Nani an der krummen Treppe zum krummen alten Ferienhaus so wacklig hinauf steigt und mir von sich einen Handlauf gebastelt.

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