Das Schloss Spiez widmet einem Berner Künstler des 20. Jahrhunderts seine diesjährige Sonderausstellung: «Otto Tschumi. Surreale Welten».
Geheimnisvoll, seltsam – wie nicht von dieser Welt, so wirken Otto Tschumis Bilder. Ihre Farben ziehen unseren Blick auf sich, die Bilder wirken oft elegant und subtil gestaltet, die Harmonie darin ist jedoch irgendwie gebrochen. Otto Tschumi (1904-1985) malt aus seiner unerschöpflichen Phantasie heraus und stellt dar, was in seiner Wahrnehmung hinter der Realität liegt. Er zählt zu den surrealistischen Malern wie Max Ernst, Hans Arp und Alberto Giacometti, die er alle gekannt hat – mit ihnen vergleichen lässt Tschumi sich schlecht, zu eigenwillig ist sein Stil.
Otto Tschumi, Chemins des larmes; 1938. Öl auf Leinwand, 49.4 × 58.2 cm. ART-Nachlassstiftung Bern © 2022 ProLitteris, Zürich
In Bern aufgewachsen, sein Vater war Kutscher – damals gab es noch Pferdefuhrwerke als Transportmittel –, seine Mutter Näherin, konnte er sich nach der Schule keine künstlerische Ausbildung leisten. Nach einigem Suchen fand er einen Graphiker, bei dem er arbeiten konnte. Ein Zeichenkurs bei Ernst Linck war die einzige Ausbildung, die Tschumi erhielt. Sein Leben lang bezeichnete er sich als Autodidakt. Wenn wir seine Bilder betrachten, wird klar, dass er über ein bemerkenswertes Talent verfügt haben muss. Denn nur so konnte er früh seine eigene unverwechselbare Bildsprache entwickeln.
Der Weg zum Surrealismus
Der Abendkurs half dem jungen Tschumi wohl, seine verwirrenden Träume und die nächtlichen Visionen in Bilder umzusetzen. Er lernte Werke von Paul Klee kennen und bewunderte schon früh Pablo Picasso, was in den Jahren 1921-25 bei seinen Mitstudierenden in Lincks Kurs auf Unverständnis stiess. Später reiste er nach München und Berlin, wo er wahrscheinlich Werke von George Grosz und Otto Dix sah.
«Es ist wahr, ich stehe bis zum Hals in Möglichkeiten der Phantasie. Ich kann irgendetwas in die Finger nehmen, und schon wird’s zu Bildern.» (Otto Tschumi, 12.9.1956)
Das Skurrile interessiert ihn, der Versuch, zur Wahrheit hinter den Dingen zu gelangen, indem er das Sichtbare deformiert. Viele seiner Bilder zeigen solche Verbiegungen oder Auswüchse. Sich als Betrachtende darauf einzulassen, bringt erfrischende Erkenntnisse. Surrealismus hat bei Tschumi durchaus heiter-ironische oder poetisch-schelmische Aspekte. Auch nachdem Tschumi in Paris 1936 die erwähnten Protagonisten des Surrealismus kennengelernt hatte, blieb er bei seinem Anspruch, aus seiner Intuition heraus zu arbeiten und sich nicht der Enge einer Kunstrichtung zu unterwerfen.
Otto Tschumi, 1974. Foto: Eduard Rieben. Schweizerische Nationalbibliothek, Literarturarchiv SLA
Portraits – Selbstportraits
Schon als Kind musste Otto Tschumi eine Brille tragen, – damals waren Kinderbrillen noch sehr selten, «Brillenschlange» nannten die anderen ihn wohl. Dies mag ihn bewogen haben, sich nicht nur mit seinem Portrait auseinanderzusetzen, sondern sich selbst anzuschauen, sich zu fragen, wer er als Künstler sei. Tschumi hat wenige Portraits geschaffen, einige Selbstportraits, die auf sein rundes Gesicht und die Brille mit runden Gläsern reduziert sind, ausdrucksstark und witzig zugleich.
Otto Tschumi, Porträt B., 1956. Tempera auf Papier, 50.1 × 37.5 cm. ART-Nachlassstiftung Bern © 2022 ProLitteris, Zürich
Neben zwei Portraits seiner Eltern sehen wir in der Ausstellung nur noch ein, zwei Bilder seiner Frau Beatrice, einer Tänzerin, die bis ins hohe Alter in Bern eine Tanzschule führte. Vom Tanz, heisst es, sei Tschumi fasziniert gewesen. Ist es das Traumhafte, das im modernen Tanz Gestalt annimmt, das ihn begeistert?
Tierdarstellungen und Stillleben
Tiere darzustellen, würde er den Portraits von Menschen vorziehen, wird Tschumi zitiert, denn sie sprächen nicht, und da sie auch nicht stillhalten könnten, müsste er sich von vornherein auf seine Wahrnehmung verlassen. Besonders Katzen und Pferde, auch Vögel und Kühe interessieren ihn. Anders als andere Surrealisten zeigt Tschumi in seinen Bildern keine bedrohlichen Wesen, sondern liebenswerte Kreaturen.
Otto Tschumi, Taureau; 1939. Öl auf Leinwand. ART-Nachlassstiftung Bern, © 2022 ProLitteris, Zürich (Foto mp)
Auch in seinen Stillleben – Tschumi benutzt oft den französischen Begriff nature morte – verquicken sich Alltagsgegenstände und Fantasie zu überraschenden Kombinationen: Eine Hafenansicht zeigt einige kleine Boote, eines davon senkrecht; ähnlich ein Bild mit Glasflaschen, die neben- und übereinander liegen, als würden sie bereitliegen für einen rätselhaften Zweck.
Illustrationen, Wandgemälde, Fotografien
Wie erwähnt, hatte Tschumi als junger Mann bei einem Graphiker gearbeitet. Dem Illustrieren blieb er sein Leben lang treu. Zu seinen wichtigsten Arbeiten gehören unter anderem seine Zeichnungen zu Moby Dick von Hermann Melville, Gotthelfs Die schwarze Spinne oder Christian Morgensterns Galgenlieder (1970 in Köniz BE) erschienen. Tschumi fotografierte wohl auch gern, besonders auf seinen Reisen nach London, Amerika oder in den Senegal. Nach dem 2. Weltkrieg wird sein Werk in Schweizer Kulturkreisen stärker beachtet. Er erhält Aufträge für Wandmalereien im Kanton Bern. 1960 vertritt er die Schweiz gemeinsam mit Varlin und dem Bildhauer Robert Müller an der XXX. Biennale di Venezia.
Otto Tschumi, Komposition, 1941. Tempera auf Papier, 38.7 cm x 51 cm. ART-Nachlassstiftung Bern © 2022 ProLitteris, Zürich.
Markus Imhoofs Film
Die Ausstellung in Spiez zeigt Bilder, die Beatrice Tschumi nach dem Tod ihres Mannes der ART-Nachlassstiftung Bern übergeben hatte. Es sind Werke darunter, die noch nie öffentlich gezeigt wurden.
In einem separaten Raum wird ein kurzer Film von Markus Imhoof über Otto Tschumi gezeigt. Im Jahre 1970 hatten Pro Helvetia und das Schweizer Fernsehen den Regisseur beauftragt, dreizehn Portraits von Schweizer Künstlern der Gegenwart zu drehen, jeweils 13 Minuten lang. Der Film zeigt den Maler sehr persönlich und in vielen Facetten. Sehr empfehlenswert.
Die Ausstellung im Schloss Spiez dauert noch bis 16. Oktober 2022.
Titelbild: Otto Tschumi, Stillleben mit Handschuh (Ausschnitt), 1949. Öl auf Karton, 27.5 × 33.6 cm. ART-Nachlassstiftung Bern © 2022 ProLitteris, Zürich