Zum zweiten Mal findet der «Ilanzer Sommer» statt, eine Woche der Besinnung und Anregung im Haus der Begegnung: Eröffnet wird mit einem Konzert, dessen Vorgeschichte genau hier begonnen hat.
Zentrum des Festivals vom 7. bis zum 13. August mit Musik und Film, Referaten und Wanderungen, Workshops und Lesungen ist das Haus der Begegnung der Ilanzer Dominikanerinnen. Die religiöse Frauengemeinschaft wurde 1865 gegründet, dreissig Jahre danach schloss sie sich dem Dominikaner Orden an.
Das Kloster in Ilanz kann auch während des Ilanzer Sommers unter kundiger Führung besichtigt werden. Schwester Madlen Büttler gibt Einblick in den Klosteralltag. Foto:© Kloster Ilanz
Die Ilanzer Schwestern waren und sind engagiert in Bildung und Pflege. Sie richten ihr Wirken aufs Diesseits aus. In bester Erinnerung bleibt Ingrid Grave als populäre Sternstunde-Moderatorin beim Schweizer Fernsehen.
Das Kloster führte bis 1990 eine Internatsschule für Mädchen. Heute ist in diesen Räumen das Haus der Begegnung eingerichtet, welches Gäste beherbergt, sowie Kurse und Seminarräume anbietet. Der spektakuläre Neubau von Walter Moser von 1969/1975 zählt zu den herausragenden Bündner Bauten. Im Kloster leben noch rund 90 Schwestern, viele schon betagt, einige im hauseigenen Alterspflegeheim.
Die Klosteranlage oberhalb von Ilanz. Sie beherbergt die Schwestern, ist aber auch ein Haus der Begegnung, wo regelmässig Veranstaltungen stattfinden. Und man kann auch einfach Ferien machen. Foto: © Kloster Ilanz
Die Gemeinschaft hat ihre Vision für die Zukunft entwickelt, Das Kloster soll ein Ort der Begegnung zwischen Kulturen und Konfessionen bleiben, das Haus ein Zentrum des Friedens werden. Der Ilanzer Sommer ist ein Projekt aus dem Vermächtnis der Schwesterngemeinschaft. Das besinnliche und zugleich strahlende Festival wird vom Verein für Friedenskultur veranstaltet, bei dem interessierte Personen und Organisationen zusammen mit der Schwesterngemeinschaft engagiert sind. Das Programm will dem Publikum – viele verbringen eine Ferienwoche in Ilanz – den Stand der Friedensforschung in der Schweiz näher bringen, aber auch die Einzelnen zur Auseinandersetzung mit eigenen Konflikten anregen.
Der Chor Interkultur hat im vergangenen Herbst mit einem Best-of-Programm konzertiert, da wegen Corona keine Projekte mit Partnerchören stattfinden konnten. Der Auftritt in der Zürcher Prediger Kirche. Foto: © Dieter Kubli
Für den Eröffnungsabend hat Geschäftsführer Adi Blum Musik gefunden, die in der Klosterkirche einst ihren Anfang nahm und die zur Thematik Begegnung besonders gut passt: Aufgeführt wird das Oratorium Leh Ya Jarè von Fortunat Frölich, eine Komposition, die abendländisches Musikschaffen mit arabischer Musikkultur verbindet und schliesslich in der Improvisation über Et in Terra Pax hominibus bonae voluntatis (Friede auf Erden den Menschen guten Willens) ihren Kulminationspunkt hat.
Fortunat Frölich, Komponist, Chorleiter, Cellist. Foto: © Dieter Kubli
Seniorweb: Fortunat Frölich, was ist Leh Ya Jarè?
Frölich: Als 1991 auch hierzulande ein Asylbewerberheim angezündet wurde, ging ein Schock durch die Bevölkerung. Ich wollte diese Spannungen auf die Bühne bringen. In einem Durchgangsheim suchte ich nach Menschen, die musizieren und wurde in der Küche fündig: Zwei jüngere Männer aus dem Libanon spielten mir Lieder vor – ich wählte Leh Ya Jarè aus und baute damit mein Projekt gegen Xenophobie und Fremdenhass.
Sie nennen es Interkulturelles Oratorium?
Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zur Kirche und zur Liturgie, aber man kommt auch so immer wieder auf die grossen religiösen Themen wie Frieden oder Begegnung. Die Begegnung verschiedener Kulturen ist nicht einfach, das begreift man schnell, wenn man versucht, die abendländische mit der arabischen Musikkultur zu verbinden: Unser Tonsystem hat 12 Töne und basiert auf Harmonik und Mehrstimmigkeit. In der arabischen Musik gibt es Vierteltöne, und polyrhythmische Strukturen, aber keine Merhstimmigkeit. Wenn Sie versuchen, eine orientalische Melodie mit okzidentaler Harmonie zu verbinden, beginnen die Probleme…Es ist also verständlich, dass es auch im realen Leben Probleme gibt, wenn verschiedene Kulturen aufeinanderstossen. Aber in der Musik kann man eben auch verstehen, dass Spannungen (auch) spannend sind.
Wie oft konnten Sie das Stück denn aufführen?
Ich hatte damals Mühe, einen Aufführungsort zu finden, die Kirchen wollten das musikalische ‹Chrüsimüsi› nicht in ihren Räumen. Nach langem Suchen fand ich endlich die Dominikanerinnen in Ilanz, die das Projekt herzlich willkommen hiessen. Erst als das Fernsehen berichtete, wurde das Projekt beliebter. 1992-2003 kam es zu über 20 Konzerten im In- und Ausland.
Kloster Ilanz: Glasfenster des Zürcher Künstlers Max Rüedi im Meditationsraum. Foto: © Kloster Ilanz
Jedesmal wurden die Musiker des jeweiligen Konzertortes in die Aufführung integriert, das gehörte zum Konzept dieses Begegnungsprojektes. Jetzt freue ich mich sehr auf Leh Ya Jarè Revisited welches wieder am Ort der Uraufführung 1991, in der Kirche der Dominikanerinnen in Ilanz stattfinden wird und danach in Chur und Zürich.
Passt denn das Projekt gegen Xenophobie der 90er Jahre noch in unsere globalisierte Gesellschaft, in der Fremdenängste nicht mehr die Mehrheit beschäftigt?
Die Welt mag sich an multikulturelle Gesellschaften gewöhnt haben, aber von einer globalen Friedenskultur sind wir immer noch unendlich weit entfernt, was uns aktuell gerade auch in Europa schmerzlich ins Bewusstsein getreten ist. Begegnung ist eine Lebensaufgabe, davon bin ich überzeugt. Deshalb habe ich auch den Verein choR inteR kultuR gegründet, der mit interkulturellen Chorprojekten Begegnung lernen, betreiben und sich daran freuen will. Manchmal reisen wir für unsere interkulturellen Begegnungen ins Ausland. Aber auch ein inländisches Projekt wie Leh ya Jarè ist für mich ein interkulturelles Projekt. Zum Beispiel begegnen wir dem Kinderchor aus der Surselva und der jungen Djane Jamira aus Chur und begeben uns damit in einen Dialog zwischen den Generationen. Es wird wieder spannend werden.
Blick in die Openair Ausstellung «Schichtwechsel – Surselva». Gezeigt wird die Steinvielfalt im Tal, welche in Jahrmillionen tektonischer Verschiebungen entstanden ist. Foto: © Lucia Degonda
Nach dem grossen Konzert am Sonntag geht es für die Teilnehmenden des Ilanzer Sommers im Haus der Begegnung mit einem vielfältigen Programm weiter – die einen werden beim Theaterworkshop teilnehmen, andere sich den geführten Spaziergängen und Wanderungen – eine führt auf den Piz Sezner, eine andere in die Rheinschlucht – anschliessen.
Verschiedene Spaziergänge mit Gedankengängen können während des Festivals gebucht werden. Hier ein Blick in die Ruinaulta, die spektakuläre Rheinschlucht.
Viele werden den Gastreferaten zuhören wollen. Unter anderen sind der bekannte Publizist Andreas Zumach, die Politologin Hayriye Rüzgar aus Zypern zu Gast, und die Autorinnen Judith Keller und Dragica Rajčić Holzner bestreiten mit anderen den Spoken Word-Abend Rütli Rapport 2.0, eine Theaterwerkstatt und Filme vertiefen die Friedensthematik.
Der Film «Midnight Traveler» ist ein Dokumentarfilm über die dreijährige Flucht des Filmemachers mit seiner Familie aus Afghanistan. Foto: © trigon-film.org
All das gibt es exklusiv beim Ilanzer Sommer im Haus der Begegnung, nur das Konzert Le Ya Jarè Revisited wird für Daheimgebliebene am 8. August in der Martinskirche in Chur, am 9. August im St. Peter in Zürich nochmals aufgeführt.
Titelbild: Die Klosterkirche des Dominikanerinnenklosters. Foto: © Kloster Ilanz
Hier finden Sie Informationen:
– zum Ilanzer Sommer 2022
– zum Haus der Begegnung
– zu den Konzerten «Le Ya Jarè revisited»