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In der Sagenwelt Ladiniens

Die Dolomiten sind nicht nur als Eldorado für Bergwanderungen bekannt, sondern auch durch ihre Sagen. Sie erzählen vom Reich der Fanes, von mythologischen Gestalten und Bündnissen zwischen Mensch und Tier.

Die ladinischen Kerngebiete liegen weitläufig rund um den Sella-Stock. Sie umfassen Teile Südtirols wie das Gader- und das Grödental, das Fassa- und Fleimstal im Trentino sowie das Gebiet um Cortina d’Ampezzo in der Provinz Belluno.

Hier wehen die drei Fahnen, welche die Identität der Ladiner umfassen: die ladinische, die italienische und die von Europa.

Ladinisch ist eine der früher verbreiteten romanischen Sprachen, welche die Alpen überzogen, wie Rätoromanisch, Katalanisch, Provenzalisch, Friulanisch und andere. Das Siedlungsgebiet der Alpenvölker reichte vom Bodensee bis an die Grenze Istriens. Nach dem Einbruch des römischen Reiches und zur Zeit der Völkerwanderung wurde es durch fremde Eindringlinge gespalten: Von Norden kamen die Bajuwaren und Alamannen, von Süden die Ostgoten und Langobarden. Mit ihrer Landnahme in den Tälern sprengten sie die einst mehr oder weniger geschlossene Kultur- und Sprachregion Ladiniens.

Aufzug der Ziegen zur Alpe Sennes

Der Sagenbestand der Ladiner bildet den Kern der Dolomitensagen, die von Karl Felix Wolff gesammelt und erstmals 1905 veröffentlicht wurden. In den Sagen steckt Poesie: Wer die Dolomiten kennt, findet in diesen Geschichten vertraute Natureindrücke und -stimmungen wieder. Die Berge mit ihrer Schönheit aber auch ihrem Schrecken lassen in der Fantasie ihrer Bewohner Wesen erstehen: Ein Dämmerreich zwischen Natur und Übernatur.

Die wasserreiche Alp Fanes ist das Quellgebiet des Vigilbaches. Hinten die trutzige Eisengabelspitze, 2543 Meter, ein Schauplatz der Fanes-Legende.

Die Hauptfiguren dieser Geschichten sind die gutmütigen Salvans und die Ganes (Männer und Frauen der Wildnis), die Anguane (Wassernixen) und weitere mystische Wesen. Lange galten sie als die Ureinwohner der ladinischen Täler, allerdings kommen diese Gestalten aus der römischen Mythologie und man trifft sie auch anderswo in der Sagenwelt des Alpenraumes.

Eine Saga mit verschlungenen Wendungen erzählt vom Fanes-Mythos, von den Fanes-Stämmen und ihren Feinden, vom Aufstieg und Untergang des Murmeltierreiches, von den Prinzessinnen Moltina und Dolasilla, die mit alles durchdringenden Pfeilen wider ihren Willen in den Krieg ziehen mussten. Der böse Zauberer Spina de Mul als Gegenspieler kann, wie sein Name sagt, sich in ein Maultier mit vermodertem Skelett verwandeln. Der Held Ey de Net (Nachtauge) aus einem anderen Stamm verliebt sich in Dolasilla und wird in Intrigen verwickelt.

Die jungen Föhren scheinen im Wind zu tanzen. Die Salvans waren eng mit der Natur verbunden. Tanzten sie mit?

Die Wurzeln der Fanes-Legenden gehen mehrere tausend Jahre in die Vergangenheit zurück. Uralte Elemente, wie die Verwandlung der Menschen in Tiere oder das Murmeltier als Symbol für Friedlichkeit und Bescheidenheit kommen darin vor.

Die Geschichten im Kopf steigen wir hinauf zur Fanes-Alpe. Sie liegt als Hochfläche auf über 2000 Meter und gehört zum Naturpark Fanes-Sennes-Prags. Man gelangt mit dem Bus bis nach Pederü auf eine Höhe von 1550 Meter. Hier wie auch auf Fanes und Sennes gibt es Berggasthäuser.

Der Karst prägt das Bild. Charakteristisch für die Dolomiten ist der Wechsel zwischen sanft gewellten Bergwiesen und den darüber liegenden steilen Riffen aus Kalkstein. Die Riffe ragen zum Teil bis in eine Höhe von über 3.000 Meter hinauf.

Am Eingang zur Hochebene kommt man an einer auffälligen Gesteinsformation vorbei, dem Parlamento delle Marmotte – Parlament der Murmeltiere. Der Legende nach hätten sie sich zu Hunderten hier auf diesen steinernen Bankreihen versammelt, um zu beraten, wie das Königreich der Fanes zu retten wäre. Es gründet auf einem Bündnis der Königin mit den Murmeltieren, ihr Gatte schliesst seinerseits ein Bündnis mit den Flammenadlern. Den Kampf gewannen die Flammenadler. In der Tat, der Hauptfeind der Alpenmurmeltiere ist der Steinadler.

Vor allem die Sennes-Alpe gehört den Murmeltieren. Sie jagen sich wie junge Katzen. Der Patriarch döst auf dem Dach. Foto: Gaby at Pixabay

Das Murmeltier ist das Totemtier der Fanes. Die Königin Moltina vertritt matrilineare Werte. Ihr Gatte, aus einem fremden Stamm, schützt lediglich als Krieger die Grenzen des Reiches. Die weisen Murmeltiere unterstützen die Kampftaktik der Fanes mit ihren Ratschlägen.

Weiter geht es auf dem Wanderweg. Auf der Karte gibt es den Eintrag Ciastel de Fanes/Fanesburg hoch über der Alp auf rund 2700 Metern, von der noch ein Wallring zu sehen sei, darüber der Monte Ciastel. Der Friedensweg verläuft auf der einstigen Frontlinie der österreichischen und der italienischen Armeen im 1.Weltkrieg. Diese Stellungskriege forderten grosse Opfer.

Die trutzige Fanesburg. Durch die Abgeschiedenheit gibt es auf diesen Alpweiden keinen Massentourismus wie in andern Dolomitenregionen.

Dass diese Landschaft auch heute noch Fabelwesen gehören könnte, kann sich die Fantasie ohne Probleme vorstellen. Hier ist nicht die Mittelerde der Hobbits sondern das Königreich der Fanes – Sagen entstehen in solchen Gegenden.

Ein grosser Quellfluss ergiesst sich aus den Karstrippen und bildet einen See. Rundum Dreitausender – ein malerisches Bild.

Von einer anderen Wanderung an den Pragser Wildsee stammt das letzte Bild zur Fanes-Sage. Manche munkeln noch heute, wer sich bei Vollmond hierherwage, werde sehen, wie der Berg sich öffnet und die Fanes-Prinzessin in einem Boot herausrudert. Das wäre ja das ultimative Bild! Allerdings sind es heute nur wenige Minuten Fussweg vom grossen Parkplatz zum See. So kann auch bei Vollmond eine wunderschöne Landschaft kräftig an Magie einbüssen.

Der Pragser Wildsee, immer noch wunderschön – heutzutage Magnet für Touristenschwärme.

Nach einer Woche mit Wandertouren auf den beiden Alpen ist es Zeit zur Rückkehr aus dem Sagenland. Wenn die untergehende Abendsonne die bleichen Dolomitenspitzen ein letztes Mal feuerrot färbt, nennen die Ladiner das „Enrosadüra“.

«Enrosadüra» (Alpenglühen) auf der Sennes-Alm, Blick gegen Rote Wand 2920 m und Hohe Gaisl 3146 m

Titelbild: Im Naturpark Fanes-Sennes-Prags
Bilder: Justin Koller

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Service-Box zur Wanderung ins Land der Fanes:

Hin- und Rückreise: Über den Brenner mit der Bahn bis Franzensfeste in Südtirol. Umsteigen auf die Linie ins Pustertal bis St. Lorenzen. Bus bis St. Vigil in Enneberg. Hier ist der Fahrplan. Durch das lang gezogene Tamersc-Tal fährt der Bus bis auf 1520 Meter Höhe. Es ist möglich im Berggasthof Pederü zu übernachten. Weiter zur Fanes-Alp auf 2060 Metern. Auf Klein Fanes gibt es zwei Berggasthäuser, die Faneshütte und Lavarellahütte. Um zur Senneshütte auf 2200 Meter zu kommen, muss man zuerst wieder absteigen bis Pederü. Auf Anfrage gibt es für die jeweiligen Hütten die Möglichkeit für einen Gepäcktransport. Eine frühe Reservation ist ratsam.

Hier Wandervorschläge in die Sagenwelt
Das Buch zu den Fanes-Sagen: Auguste Lechner, Dolomitensagen, Verlag Tyrolia, Innsbruck-Wien
Die Musik: «Ganes» aus La Val/Wengen: Elisabeth und Marlene Schuen und Maria Moling, Album An cunta che, 2016
Mehr zum Nationalepos der Ladiner: „Le Rëgn de Fanes” in ladinischer Sprache mit deutschen Titeln.
Und zum Naturpark Fanes-Sennes-Prags

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