Schmucke Städtchen, idyllische Fischerhäfen, mächtige Kirchen, farbige Blumen, leckere Teigwaren, hübsche Steinböden, fröhliche Menschen: all diesen Annehmlichkeiten begegneten wir auf einer Reise entlang der Riviera dei Fiori.
Ligurien heisst die Küstenregion in Nordwestitalien, zwischen Monte Carlo und La Spezia. Sie zählt rund 1,6 Millionen Einwohner und ist flächenmässig die drittkleinste italienische Region. Ligurien grenzt im Westen an Frankreich, im Norden an die Region Piemont, im Osten an die Emilia-Romagna sowie an die Toskana und im Süden an das Mittelmeer. Frühmorgens herrscht in den Fischerhäfen entlang der Küste ein emsiges Treiben. Einmal die Woche zieht ein Markt Einheimische wie Touristen an.
Farbige Blumen auf dem Wochenmarkt in San Remo.
Blumengeschäfte in Italien werden zuweilen von einer Klimanlage gekühlt. Am Blumenstand auf dem Markt herrscht dagegen glühende Hitze. Die ligurische Flora ist typisch für die mediterrane Vegetation. In den Gebirgszonen im Westen der Region kommen alpine Einflüsse hinzu. Zu den künstlich angesiedelten Arten gehören der Olivenbaum, die Kastanie und die Pinie. An den dem Meer zugewandten Hängen befinden sich hauptsächlich Wein-, Oliven- und Obstkulturen. Olivenöl ist ein wichtiges Exportprodukt.
Aus grossen Basilikum-Feldern kommen die Blätter für die Pesto-Produktion. Foto FL.
Der traditionelle Pesto stammt aus Ligurien und wurde dort Mitte 1863 erstmals erwähnt. Pesto (von italienisch pestare, „zerstampfen“) ist eine ungekochte Paste, die in der italienischen Küche meist mit Nudeln vermischt gereicht wird. Die bekannteste Version ist der «Pesto genovese».
In den Küstenebenen werden Zitrusfrüchte, insbesondere Zitronen angebaut. Die Blumen-Riviera ist für ihre Zierpflanzenproduktion bekannt, die einen weiteren wichtigen Wirtschaftszweig darstellt. Die Zierpflanzen gedeihen in riesigen Treibäusern, die an den Abhängen in der Sonne glitzern.
Teilweise hat das ligurische Klima eingeführten Pflanzenarten einen Selektionsvorteil gegenüber der ursprünglichen Vegetation verschafft. Ein Beispiel hierfür stellen die Botanischen Gärten Hanbury bei Ventimiglia dar, die im 19. Jahrhundert von der gleichnamigen englischen Familie angelegt worden sind. In den Gärten wurden ursprünglich 5800 Pflanzenarten kultiviert, von denen heute noch ca. 2000 vorhanden sind. Unter den Palmen, weche die zahlreiche Promenaden flankieren, kommen am häufigsten die Kanarische Dattelpalme und die Echte Dattelpalme vor.
Die mächtige Kirche von Cervo.
Interessant sind die vielen historischen Gebäude. Der Bau der Kirche von Cervo begann 1686. Sie ist eines der repräsentativsten Bauwerke des ligurischen Barock. Die Kirche erhebt sich durch eine breite Treppe auf dem Hof, die sich als grosse Terrasse mit Blick auf das Meer öffnet. Diese hat eine spektakuläre konkave Fassade aus dem achtzehnten Jahrhundert, die mit einer doppelten Reihe von zusammengesetzten Pilastern ausgestattet ist. Den Eingang schmückt ein gemischter Giebel, mit feinem Stuck verziert, der originale Spiegel bildet. Der schlanke Glockenturm ist ein Spätwerk von Francesco Carrega aus dem Jahr 1773.
Das Innere der Kirche ist in fünf Kapellen unterteilt, unterbrochen von einer Reihenfolge von Pilastern. Die Altäre und der kostbare Stuck stammen aus dem achtzehnten Jahrhundert. In einer Nische zwischen dem zweiten und dritten Altar befindet sich die Familie San Giovanni, eine polychrome Holzgruppe, die Maragliano zugeschrieben wird. Das Presbyterium ist mit Fresken von Francesco Carrega bemalt. Die Kirche wird «dei Corallini» genannt, weil der Bau durch Spenden von Korallenfischern finanziert wurde, ein Brauch, der nach einem gewaltigen Sturm zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts wieder verschwand.
Die traditionellen «Tromp d`oeil» täuschen das Auge.
Typisch für Ligurien sind die gemalten, das Auge täuschenden Fassaden. Aufgemalte Fenster oder Fensterläden, farbige Rahmen und Ornamente stechen auf jedem Stadtrundgang ins Auge. Die sogenannten «Trompe d`oeil» sind illusionistische Malereien, die mittels perspektivischer Darstellung Dreidimensionalität vortäuschen. Die Wand- und Deckenmalereien schaffen Scheinarchitekturen oder erweitern die Optik der Architektur, etwa durch Ausblicke auf Phantasielandschaften. Durch erzwungene Perspektiven können Räume grösser oder kleiner erscheinen. Den Hausherrn und die Touristen freuts.
Wenn Menschen heiraten, sind Fotografen nicht weit.
Auf unserer Reise entlang der Küste sind wir in einer Woche sechs Hochzeiten begegnet. Jede war anders, bei allen spielte das Fotoshooting mit mindestens einem professionellen Fotografen die zentrale Rolle. In Cervo durfte der Bräutigam die Braut auf Händen über eine Treppe hinuntertragen. In Imperia fuhr das Brautpaar einen geschmückten VW-Käfer (keinen Fiat). In Porto Maurizio wurde die künstliche Hochzeitstorte vor leuchtenden Zuckerstöcken angeschnitten. Einmal stand ein einfaches Apéro auf der Menukarte, einmal ein Sechsgänger. Den Zuschauerinnen und Zuschauern lief jedes Mal das Wasser im Mund zusammen.
Die Teigwarenfabrik «Agnesi» in Imperia.
Wer in der Schweiz in der Migros Pasta kauft, wählt mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Agnesi-Produkt. Die grössten Teigwarenfabriken stehen im Hafen von Imperia. Als Pionierin der Pasta-Produktion hat die Firma das Segelschiff zum Symbol der Forschung nach jener Exzellenz erwählt, welche Italien seit fast zweihundert Jahren dazu bewegt, die Tradition zu wahren, aber zugleich in die Richtung der technologischen und qualitativen Innovation zu segeln. Genauso wie Segelschiffe in den vergangenen Jahrhunderten die Meere überquerten, erinnert das Logo heute an die abenteuerliche Geschichte der Pasta-Produktion.
Focaccia zum Apéro und zwischendurch.
Focaccia ist ein ligurisches Fladenbrot aus Hefeteig, das vor dem Backen mit Olivenöl, Salz und eventuell Kräutern und weiteren Zutaten belegt wird. Die Ursprünge der Focaccia gehen ins Altertum zurück. Die Römer nannten sie «panis focacius» (in der Herdasche gebackenes Brot). Mitunter wird das Produkt als Vorläuferin der Pizza angesehen. Focaccia gilt als ligurische Spezialität. Es gibt zahlreiche Varianten in ganz Italien. Wer ein Getränk bestellt, erhält einen Teller mit einer leckeren Focaccia-Auswahl serviert. Ohne Aufpreis, wohlverstanden.
Spaghetti-Teller mit Meeresfrüchten.
Ligurien besitzt eine Meeresküche mit Fischen und Krustentieren des Ligurischen Golfs. Fische wie etwa Sardinen, Sardellen, Makrelen und Hornhechte und Krustentiere wie die Riesengarnelen oder der Hummer. Gekocht wird oft in der Küche, angerichtet am Tisch, vor den Augen des Gastes. Wir haben es genossen, wenn die Kellnerin mit der heissen Pfanne zu uns an den Tisch kam und unsere Teller mit den frischen Leckereien aus dem Meer füllte. Nach dem «Primo» genossen wir regelmässig noch ein «Secondo».
Kunstvolles Steinmosaik vor der Kirche in Imperia.
Nicht nur in Pompeji, Rom oder Venedig findet man die typischen Mosaikböden. Auch in ligurischen Küstenorten stiessen wir auf Kirchplätzen, in Hinterhöfen und vor Hauseingängen auf wunderschöne Steinmuster. Sie zeigen Tiere, Pflanzen, Sterne, abstrakte Ornamente und Muster. Wer solche Mosaike im öffentlichen Raum verlegt, braucht Zeit, Geld und das richtige Material. In unseren schweizerischen Breitengraden sehen Steinböden anders aus.
Der Strand von Bordighera.
Der wirtschaftliche Schwerpunkt liegt in Ligurien in den Sommermonaten auf dem Strand- und Badetourismus. Daneben spielen saisonunabhängig auch der Angeltourismus und der Agrotourismus eine Rolle. Kulturell findet eine Vielzahl von Ausstellungen, Kongressen, Festivals und Festen statt. Ausserdem können die zahlreichen mittelalterlichen Festungen und historisch bedeutenden Orte besichtigt werden.
Der Massentourismus hat allerdings auch zu beträchtlichen Umweltproblemen geführt. So wurden lange Küstenabschnitte zementiert, ein Phänomen, was die Ligurer als «Rapallizzazione», nach dem traditionellen Touristenziel Rapallo, benannt haben. Der geomorphologisch bereits stark begrenzte Freiraum wurde durch die ausgedehnten Bade- und Freizeitbauten weiter vermindert.
Kartenausschnitt von Ligurien.
Die Häfen von Savona und Genua sind wichtige Ankunftspunkte für internationale Kreuzfahrten. Küste und Hinterland gewinnen mit den typischen Produkten und Traditionen sowie dank einem neuen Tourismus und einer sorgfältigen Wiederentdeckung der ligurischen Natur wieder an Bedeutung. Ligurien gehört zur landesübergreifenden Euroregion «Alpi-Mediterraneo/Alpes-Méditerranée».
Titelbild: Der idyllische Fischerhafen von Bordighera. Alle Fotos PS.