StartseiteMagazinKulturDie Unsichtbaren und die Kunst

Die Unsichtbaren und die Kunst

Die Fondation Beyeler hat zur Jubiläumsausstellung 13 Special Guests aus Amerika eingeladen.

Darunter sind ein Gärtner mit Aufsitzmäher, eine Mutter mit Kinderwagen, drei Bauarbeiter, eine ältere Frau, hyperrrealistisch lebensgross geformt vom Künstler Duane Hanson (1925-1996). Sie stecken in Alltagskleidern oder Arbeitskluft, sind aus Kunststoff oder Bronze gebaut, bemalt und mit Requisiten aus dem Supermarkt oder dem Baubedarf versehen. Im Alltag übersieht man Leute wie sie meist. Erste Irritation gleich im Foyer:

25 Jahre Fondation Beyeler – das grosse Jubliäum beginnt im Foyer

Ist die Jubiläumsausstellung noch nicht fertig gehängt? Fragt sich, wer das Foyer betritt, denn an der Wand lehnt ein Picasso, der noch nicht einmal aus seiner Hochsicherheitsverpackung befreit wurde, geschweige denn seinen Platz an einer Wand gefunden hat, und ein paar Meter daneben hat einer begonnen, mit grauer Farbe ebendiese Wand zu streichen. Eine Installation in grau, denn Picassos Nu couché jouant avec un chat ist grau in grau gemalt, eine Grisaille. Der Flachmaler schaut ins Leere oder vielleicht nach Innen. So wie die meisten anderen Figuren, denen wir auf dem Rundgang begegnen.

Wenn das Museum geschlossen ist, arbeiten sie. Mit Duane Hansons Figuren will die Fondation zum Jubiläum an die unsichtbaren Helfer im Hintergrund erinnern.

400 Werke des 19., 20. und 21. Jahrhunderts umfasst die Sammlung der Fondation Beyeler, ein Viertel ist nun in allen minus einem Raum ausgestellt. (Dort betritt man den Palimpsest von Doris Salcedo, eine an Migration orientierte Arbeit.) Viele der Bilder und Skulpturen sind dem Stammpublikum bekannt, aber mit dem Besuch der Gäste aus Duane Hansons Nachlass ist ein frischer Blick auf berühmte Meisterwerke unvermeidlich und oft erst noch überraschend. Diese einfachen Menschenfiguren und die Werke der klassischen Moderne treten in einen Dialog, an dem unsereiner sich stumm beteiligen kann und vielleicht neue Antworten zu Giacometti und Rothko oder Monet und Kandinsky findet.

Ausstellungsmacher Raphaël Bouvier nimmt sich Zeit für ein Selfie. Foto © René + Elisabeth Bühler

Jede Figur, aber auch jedes Objekt aus der Sammlung erzählt eine Geschichte, so dass die Inszenierung den Kunstwerken eine erweiterte Dimension beschert. Denn was uns der Kurator Raphaël Bouvier als grossartige Abfolge von hochkarätigen Stücken aus der Sammlung hier serviert, gewinnt durch die speziellen Gäste des Special Guest Duane Hanson eine unerwartete Vertiefung und notwendige Auseinandersetzung mit den einzelnen Kunstwerken. Der schwarze Fensterputzer bei den hellen Bildern von Marlene Dumas, der adipöse Rasen-Mäher vor Monets Seerosenteich oder die dünne ältere Frau auf dem Klappstuhl bei Madame Cézanne à la chaise jaune von Paul Cézanne bringen uns dazu, die mit ihnen zusammen präsentierten Werke neu zu sehen. Die Frau und Madame Cézanne haben ihre Hände in der gleichen ruhigen Pose übereinandergelegt, und mit Picassos Femme en vert in der gleichen Sitzhaltung ergibt sich ein Dreiklang.

Madame Cézanne und die Frau auf dem Klappstuhl

Im grossen Saal vor Anselm Kiefers monumentalem Werk von 1997 Dein und mein Alter und das Alter der Welt, einem gigantischen Dreieck, das an die Pyramiden erinnert, machen drei Bauarbeiter ihre Mittagspause: Lunchbreak nennt sich die Installation von 1989, mit der Hanson die Action-Szenen seines Frühwerks aufnimmt, wobei die Melancholie und Vereinzelung der lebensgrossen Männer in nichts die Betriebsamkeit einer Baustelle spiegelt.

Erschreckend real aus Polyesterharz und Fiberglas: Polizist und Aufständischer, 1967. Foto © René + Elisabeth Bühler

Der weisse Polizist, der einen wehrlosen Afroamerikaner auf brutalste Weise mit dem Knüppel verdrescht, ist einziges Beispiel von Hansons hochpolitischem Frühwerk aus dem Kontext der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre. Die fast unerträgliche Installation von 1967 steht für sich und findet in Picassos Raub der Sabinerinnen von 1962, einem Mythos von Krieg und Grausamkeit, eine Parallele. Die Aktualität der beiden Kunstwerke ist so dringlich wie je.

Pablo Picasso: Der Raub der Sabinerinnen, 1962. © Succession Picasso/ProLitteris, Zurich/Photo: Robert Bayer

Das Eintauchen in die Gemälde von Mark Rothko – Farbflächenmalerei, die sensible Wahrnehmung statt sachlicher Interpretation auslösen will – fällt dank Hansons Old Couple on a Bench ganz leicht, wir verweilen mit den beiden Alten länger in dem Saal und lassen die Malerei auf uns wirken. Hansons Figuren sind zwar naturalistisch, aber es sind keine Individuen. Sie stehen exemplarisch für die Gesellschaft, die der Künstler aufgrund von Modellen in seiner Nachbarschaft abbildet und zugleich hinterfragt.

Im Rothko-Raum gibt es Sitzbänke für Menschen aus Bronze und aus Fleisch und Blut.

Raphaël Bouvier hat genau überlegt, wo er seine Hanson-Gäste placiert und wo nicht. Denn sie sollen den Sammlungswerken nicht die Schau stehlen, sondern den Blick darauf schärfen; daher sind beispielsweise das Triptychon von Francis Bacon Im Gedenken an George Dyer oder die Werkgruppe von Paul Klee ohne Beiwerk präsentiert.

Der Mondvogel, 1966, von Juan Miró kommuniziert mit dem Matisse-Scherenschnitt Nu bleu – la grenouille, 1952.

Die Werke der Klassischen Moderne stammen aus der Sammlung, die Ernst Beyeler aufgebaut und in die Stiftung eingebracht hat. Mit einer Ausnahme: Erstmals zeigt die Fondation Pierre Bonnards Bild La Source ou Nu dans la baignoire, 1917, als Neuerwerbung; 2012 war es als Leihgabe in der Bonnard-Einzelausstellung zu Gast. Zeitgenössische Kunst erweitert die wertvolle Sammlung regelmässig, ganz neu die Installation Poltergeist, 1920, der britischen Künstlerin Rachel Whiteread, oder Cúmulo, 2016, die sechsteilige Kreidezeichnung einer Wolkenwand von Tacita Dean.

Tacita Dean: Cúmulo, 2016. © Tacita Dean. Foto: Robert Bayer, Basel 

Nicht nur stehen die Figuren von Duane Hanson vermittelnd zu den Spitzenwerken der Klassischen Moderne in den Räumen, die umfangreiche Ausstellung ermöglicht auch, sie in Beziehung zu herausragenden Malereien, Fotografien und Skulpturen der Gegenwartskunst zu setzen. Die Schau zum 25-Jahre-Jubiläum will auch daran erinnern, dass Hildy und Ernst Beyeler ihre einmalige Sammlung möglichst vielen Menschen zugänglich machen wollten.

Titelbild: Ausstellungsansicht mit Besucherin und dem Maler mit der Leiter (links im Bild und auf der Papiertasche)
Hier gibt es Informationen zur 25 Jahre Jubiläumsausstellung der Fondation Beyeler

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