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«Stühle sind Skulpturen»

Das kantonale Designmuseum «mudac» Lausanne zeigt die grösste private Stuhlsammlung der Welt. Der amerikanische Regisseur und Künstler Robert Wilson (80) hat 211 Objekte von 168 Designerinnen und Designern mit viel Licht und Liebe in vier Räumen inszeniert.

Für die Ausstellung «A Chair and You» hat das «mudac» zwei renommierte Persönlichkeiten zusammengebracht: den Genfer Sammler, Verleger und Immobilienverwalter Thierry Barbier-Mueller und den Regisseur und Künstler Robert (Bob) Wilson. Aus der Sammlung von Barbier-Mueller stammen die Stühle, hinter der Inszenierung steckt der amerikanische Star-Regisseur.

Für Bob Wilson steht die Choreografie der zum Teil skurrilen Objekte im Vordergrund: Er denke immer zuerst über das Licht nach, das Teil der Inszenierung ist, und erst dann über den Ton. Ganz am Schluss kommen die Objekte: «Stühle sind Skulpturen», sagte der Amerikaner anlässlich der Ausstellungseröffnung. 1968 schuf er seinen ersten eigenen Stuhl, der ebenfalls in der Sammlung Barbier-Mueller zu finden ist.

Wenn Stühle zu Akteuren gemacht werden.

Der Genfer Unternehmer hat seit den späten 1990er Jahren unzählige Stuhl-Objekte zusammengetragen. Die vielen Variationen und unterschiedlichen Tempi haben sein Interesse an diesem Gebrauchsgegenstand geweckt, der ebenso selbstverständlich wie notwendig ist. Mehr als zwanzig Jahre lang frönte er dieser Leidenschaft. Heute umfasst die Sammlung 650 Objekte, Stühle von Kunstschaffenden, Designerinnen und Architekten. Die ungewöhnliche Kollektion gilt als die grösste Stuhlsammlung weltweit. Mit «A Chair and You» werden die Werke erstmals der Öffentlichkeit gezeigt.

In einer aussergewöhnlichen Szenografie lässt Bob Wilson das Publikum in vier immersive Welten eintauchen, in denen die Stühle wie Protagonisten einer Theateraufführung ausgestellt werden. Ton, Licht und Kulissen sorgen für eine einzigartige Atmosphäre, in der das ikonenhafte Designobjekt Stuhl und seine zahlreichen Variationen auf ungewohnte Weise entdeckt werden können.

Knallig, skurril und verformt

v.l.n.r: Luigi Colani, Cantilever Chair 2005 / Luigi Colani, Poly-COR Chair 1968 / Stefan Wewerka, Classroom Chair 1971.

Die Tour beginnt in einem hellen, weissen Raum, in dem wiederholt dieselbe pfiffige Musik erklingt. Hier sind die buntesten und skurrilsten Stücke der Sammlung ausgestellt: ein verformter roter Stuhl beispielsweise oder eine Art haariges Tier, eine Sitzgelegenheit aus Bauklötzchen, ein Stuhl in der Form eines Damenschuhs oder eines Pumps mit Leopardenmuster.

Auf einem Medienrundgang betonte Sammler Barbier-Mueller, dass viele seiner Stühle Einzelstücke und Prototypen sind. Sie stammen von bekannten, manchmal aber auch von unbekannten Künstlerinnen und Künstlern. Frank Gehry, Luigi Colani und Stefan Zwicky gehören dazu, aber auch Niki de Saint Phalle und Forrest Myers. Die Objekte wurden von den Ausstellungsmachern neu interpretiert und «zu Akteuren gemacht, die von einer einzigartigen Choreografie profitieren.»

v.l.n.r. Niki de Saint Phalle, Chaise serpent à double tête 1999 / Stefan Zwicky, Grand confort, sans confort, dommage à Corbu 1980 / BIG GAME, Bold 2007.

Weitere Objekte stammen von Designern wie Ron Arad, Tom Dixon oder André Dubreuil, von Ettore Sottsass, Pol Quadens, Shiro Kuramata und Maarten Baas sowie von bildenden Kunstschaffenden wie Donald Judd, Lawrence Weiner und Franz West. «Es ist keine Ausstellung, sondern ein Schauspiel», sagte Chantal Prod’Hom, Kuratorin und Direktorin des Museums. «Die Stühle bewegen sich zwar nicht, aber sie werden inszeniert.»

In der Welt des Designs gelten Stühle per se als Kultobjekte. Wohl jede Designerin und jeder Designer hat sich im Verlauf der Karriere mit dem Stuhl beschäftigt – ein Objekt, das wie kaum ein anderes, für die Spannung zwischen Ästhetik und Funktionalität steht und eine grosse Bandbreite an Möglichkeiten bietet. An der Sammlung von Barbier-Mueller lassen sich implizit diese Bemühungen und damit die Geschichte des Designs von den 1960er Jahren bis heute ablesen.

Schlicht und minimalistisch

v.l.n.r: Alessandro Mendini, Pavonia 1993 / John Risley, Chaise à bascule s.d. Bois / Lochan Upadhyay, The Power of Cloth 2009.

Im zweiten Raum der Ausstellung herrschen Ruhe, Geometrie und Minimalismus – ausser, wenn eine Stichsäge ertönt. Ein Durchgang zwingt die Besucherin, den Besucher, sich zu bücken, um in den dritten Raum zu gelangen und in Dunkelheit zu versinken. In einer beinahe kirchlichen Atmosphäre werden die Stühle, von musikalischen Klängen begleitet, durch Scheinwerfer einzeln ins richtige Licht gerückt. Ein dorniger «Bohnensack» löst den hölzernen «Beichtstuhl» ab; Papier folgt als Material auf Glas und Eisen. «In unseren Städten und unserem geschäftigen Leben gibt es wenig Raum für Ruhe und Erholung», erklärte Wilson. Für ihn biete dieser dunkle Raum «Zeit für innere Einkehr».

Robert Wilson © Yiorgos Kaplanidis

Die letzte Station der Szenografie ist ein kaleidoskopischer Würfel, dessen Inneres mit Spiegeln ausgekleidet ist. Für «A Chair and You» hat Wilson insgesamt 211 Stühle von 168 Designerinnen und Designern aus der Sammlung von Barbier-Mueller ausgewählt. Die Ausstellung nimmt die gesamte Fläche von 1500 Quadratmetern des «mudac» ein.

«A Chair and You» wird noch bis am 26. Februar 2023 gezeigt. Es ist die erste Ausstellung des Designmuseums, das im vergangenen Juni im Rahmen der Einweihung des Museumsquartiers Plateforme 10 in Lausanne eröffnet wurde.

Titelbild: In einem hellen Raum sind die buntesten und skurrilsten Stücke der Sammlung ausgestellt. Fotos PS / Portrait von Robert Wilson © Yiorgos Kaplanidis

LINK Musée cantonal de design et d’arts appliqués contemporains – mudac

Buchtipps zum Thema:

Spirit Chairs

L`Esprit de la Chaise

Weitere Buchempfehlung: 1000 Chairs, Charlotte und Peter Fieli, Taschenverlag 1997. ISBN 3-8228-7965-7

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