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Mut zu Neuem im Alter

Joan Miró, der katalanische Künstler, schuf in seinem Atelier auf Mallorca überraschend ausdrucksstarke Werke. Unter dem Titel «Neue Horizonte» sind sie zur Zeit im Zentrum Paul Klee in Bern zu sehen.

Endlich habe er Platz für seine Werke, so dass er in Ruhe daran arbeiten könne, wird Joan Mirò zitiert. Der Künstler hatte ein geräumiges Atelier und ein Landhaus in der Umgebung von Palma de Mallorca erwerben können – nach Jahren des Umherziehens zwischen Spanien / Katalonien und Frankreich. Es war sein Traum gewesen, den er seit zwanzig Jahren mit sich herumtrug. Nun, 1956 – im Alter von 63 Jahren – konnte er sich und seiner Familie diesen Wunsch erfüllen.

Das wenig bekannte Spätwerk des katalanischen Künstlers zeigt das Zentrum Paul Klee in Bern: ausdrucksstarke grossformatige Werke, die sich durch die stete Suche nach neuen Ausdrucksformen auszeichnen und eine auch für Miró-Liebhaberinnen und -Liebhaber eigenwillige Seite seines Werks offenbaren, nämlich eine urtümliche Kraft und ein Spiel mit den Elementen.

Joan Miró: Sobreteixim 13. 1973. Acryl, Filz und Sackleinen, gestickt auf Wandteppich von Josep Royo, partiell verbrannt (Foto mp)

Nicht umsonst widmet sich das Zentrum Paul Klee den Werken von Joan Mirò. Den Katalanen und den Bauhaus-Künstler verband eine Wahlverwandtschaft, so sah es zumindest Mirò. Es ist nicht klar, wieviel Paul Klee von Mirò gesehen hatte. Dieser aber kannte Paul Klees Werk gut: «Klee war die entscheidende Begegnung meines Lebens. Unter seinem Einfluss befreite sich meine Malerei von allen irdischen Bindungen. Klee machte mir klar, dass ein Fleck, eine Spirale, ja sogar ein Punkt ebenso Gegenstand der Malerei sein kann wie ein Gesicht, eine Landschaft oder ein Denkmal», sagte Joan Miró über Paul Klee.

Klee hatte sich positiv über die Arbeit des 14 Jahre jüngeren Katalanen geäussert: «Man muss verfolgen, was der Junge macht», sagte er zu Wassily Kandinsky. Die Gelegenheit, einander persönlich kennenzulernen, ergab sich nie. Parallelen findet man jedoch unschwer: Beide Künstler setzten sich beispielsweise mit Kinderzeichnungen und prähistorischer Kunst auseinander und verwandelten diese Eindrücke in ihre eigene reduzierte Formensprache.

Joan Miró: Frau auf der Strasse. 1973, Öl, Gouache und Acryl (Foto mp)

Der Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges zwang die Familie Miró von 1936 bis 1940 in Frankreich zu bleiben. Nach dem Vormarsch der deutschen Truppen 1940 kehrte sie ins von Franco beherrschte Spanien zurück, wo Miró bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in einem bescheidenen Atelier in Barcelona sowie ausserhalb in Mont-roig arbeitete. Trotz all dieser Umbrüche arbeitete Miró in diesen Jahren unermüdlich.

Mirós Spätwerk: Reduktion und Verdichtung

In seinem neuen Atelier in Palma hatte Miró erstmals alle Kisten mit früheren Werken an einem Ort. Als er begann, sie auszupacken und zu ordnen, sichtete er die über Jahrzehnte entstandenen Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe und Skizzenbücher: «In dem neuen Atelier hatte ich zum ersten Mal genug Platz. Ich konnte Werke auspacken, die schon vor Jahren entstanden waren. Ich hatte sie nicht mehr beachtet, seit ich Paris vor dem Krieg verlassen hatte. Nachdem ich alles ausgepackt hatte, unterzog ich auf Mallorca mein bisheriges Schaffen einer kritischen Revision.»

Joan Miró: Verbrannte Leinwand 2, Vorderseite. 1973 Acryl auf geschnittener und verbrannter Leinwand. 130 x 195 cm. Fundació Joan Miró, Barcelona, Leihgabe aus Privatsammlung. Foto: Joan Ramon Bonet, Successió Miró Archive © Successió Miró / 2022, ProLitteris, Zurich

Nach diesem «kritischen Blick» fühlte sich Miró eingeengt, wenn sich seine Arbeit allein auf die Staffelei beschränkte, er suchte nach neuen Ausdrucksformen. Von seinen früheren, surrealistisch geprägten Arbeiten, die durch Postkarten und Kunstdrucke inzwischen kommerzialisiert worden waren, wollte er sich distanzieren und eine einfachere, universale Bildsprache entwickeln. Seine Kunst sollte für alle Menschen zugänglich und verständlich sein. So «malte» er beispielsweise statt mit dem Pinsel mit Feuer, Schere und einem nassen Besen – durch einen Akt der Zerstörung entstanden ganz neue kreative Erzeugnisse, die toiles brûlées.

Joan Miró: Verbrannte Leinwand 2. (Rückseite) 1973 Acryl auf geschnittener und verbrannter Leinwand (Foto mp)

Er erweiterte seine Technik um Tapisserien und die sogenannten Sobreteixims, in denen er Tapisserie, Collage und Malerei verband. Er arbeitete mit Textilien oder übermalte auf dem Flohmarkt gekaufte klassische Gemälde mit schwungvollen Pinselstrichen und schlichten poetischen Zeichen wie Kreisen, Sternen und Mondsicheln.

Joan Miró bearbeitet eine seiner verbrannten Leinwände, 1973. Foto: Francesc Català-Roca © Photographic Archive F. Català-Roca – Arxiu Històric del Collegi d’Arquitectes de Cataluny

Was er bei Reisen in die USA und nach Japan sah, bestätigte ihn in seiner neuen künstlerischen Ausrichtung. Die grossen Formate und die gestische Arbeitsweise der Künstlerinnen und Künstler des Abstrakten Expressionismus in den USA interessierten und inspirierten ihn ebenso wie die Konzentration in der japanischen Kultur, die Kunst der Kalligrafie und die Philosophie der Leere. Entstanden sind grossformatige Gemälde und spielerische, an Pop Art erinnernde Keramik- und Bronze-Skulpturen, die auch heute noch aktuell und frisch wirken.

Die Ausstellung, kuratiert von Fabienne Eggelhöfer, umfasst 73 Werke, aus den späten 1960ern bis in seine letzten Jahre. Mirò starb 1983. Die Mehrheit davon ist zum ersten Mal in der Schweiz zu sehen und stammt aus den Beständen der Fundació Joan Miró, Barcelona sowie der Fundació Pilar i Joan Miró a Mallorca.
Joan Miró. Neue Horizonte.  Zentrum Paul Klee, Bern. Bis 7. Mai 2023.

Titelbild: Ausstellungsansicht:  Joan Miró, Liebespaar mit Mandelblüten spielend (Couple d’amoureux aux jeux de fleurs d’amandier) 1975, Modell für die Skulpturengruppe bei La Défense, Paris (Foto mp)

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