Die Asche ist grau. Darum könnte der Mittwoch nach der Fasnacht auch grauer Mittwoch heissen. Vorbei sind die bunten, farbenprächtigen Tage mit ihrer Fröhlichkeit und ihrem lauten Getöse. Die Asche ist zwar grau, aber die Aussage ist eine andere. Ich erschrak als Knabe, als mir der Priester das erste Mal Asche auf die Haare streute und die Worte sprach: «Memento mori» Bedenke, dass du sterblich bist! Die Mutter erklärte mir das Zeichen der Asche. Das Wort Aschermittwoch blieb in meinem Gedächtnis haften und verdeutlichte sich am Aschermittwoch, da ich einer war, der die Fasnacht liebte.
Je älter ich wurde, desto mehr verschoben sich die Gewichte und ich beobachtete die Todesanzeigen und sah, wie das Alter der Verstorbenen immer näher meinem Jahrgang kam. Ich las und lese gerne, wie die Angehörigen in konzentrierten Sätzen die Verstorbenen verabschieden. Oft vertiefen sie das Unsagbare mit einem Gedicht. Ich erkannte, dass, wer den Tod denkt, das Leben denkt.
Ich schätze, dass die NZZ die Seite der Todesanzeigen, auf der es beim grafischen Gestalten eine kleine Lücke oder Nische gibt, diese mit einem Gedicht füllt. Da begegnet man altbekannten Dichtern wie Mörike, Eichendorff, Hoffmannsthal, gelegentlich Fontane und Rilke, aber auch bei uns unbekannten wie dem japanischen Dichter Sasaki Nobutsuma, gerade am 18. Februar:
Ob nun meine Spur
auf dem Lebensweg bleibe
oder bald verweht,
will ich doch auf meiner Bahn
voller Ehrfurcht weitergehn!
Zurzeit lese ich gerade im Buch «Plötzlicher Schatten, Ombra improvvisa»*, Gedichte von Enzo Pelli, dem Tessiner Dichter, übersetzt von Christoph Ferber:
Ein Haus, ein Weingarten,
ein Mann mit einer Schürze: mein Vater.
Vergangene Zeiten – erstaunt
bleibe ich stehen
unter dem gleichen Himmel
und schaue.
Denkt der Sohn an seine Zukunft, wo er sein wird, wo der Vater ist? Dieses Gedicht könnte auch auf der Seite von Todesanzeigen stehen, stellvertretend für alle Verstorbenen und Gedanken auslösend, die das eigene Leben herausfordern.
Schlicht und einfach erinnert ein weiteres Gedicht an die Mutter. Auch dieses könnte für das tätige Leben von Verstorbenen stehen, sei es für die Mutter, für den Vater oder sonst für einen lieben Menschen:
Tag für Tag eingeklebt
von meiner Mutter,
mit Geduld und mit Andacht,
versehen mit Namen und Datum,
um das Schicksal zu überwinden,
um bei uns zu bleiben
auch nach dem Tod.
Der Leser weiss nicht, um welches Schicksal es sich handelt, aber er wird versichert, dass es ein fruchtbares, sorgendes Leben war, das auch nach dem Tod in Erinnerung bleiben soll. Es ist die Gegenwart eines geliebten Menschen, der solange weiterlebt, wie sein Leben und Wirken im Gedächtnis bleiben.
Der Aschmittwoch mit seinem Memento mori sagt uns, dass das irdische Leben für jeden ein Ende haben wird. Die Todesanzeige mit einem guten Wort oder einem Gedicht macht den Verstorbenen erkennbar, auch dann, wenn man ihn nicht kennt, einfach deswegen, weil an ihn in Wertschätzung gedacht wird.
*Enzo Pelli: Plötzlicher Schatten – Ombra improvvisa, von Christoph Ferber gesammelt und kreativ übersetzt. Limmat Verlag 2022
Aschermittwoch und Asche gleich Tod. Diese Verbindung sah ich bisher nicht. Ich denke spontan an den Krieg in der Ukraine und an andere Gemetzel und Schrecklichkeiten auf unserer Welt, die doch eigentlich ein Paradies sein könnte. Ich denke in diesem Zusammenhang auch an ein Gedicht von Rainer Maria Rilke:
Der Tod ist gross, wir sind die seinen lachenden Mundes.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns.
Lieber Andreas,
einmal mehr hast du mir einen Dichter näher gebracht, Enzo Pelli. Ich muss gestehen, dass ich ihn nicht kannte. Nun aber habe ich im Internet nachgeschaut und fand Gefallen an seinem Schreibstil, an seinen feinen Gedichten. Schlicht und einfach, und doch grosse Kunst, im Einfachen das Wesentliche zu erfassen. Auch die Aussage «Wer den Tod denkt, denkt das Leben» ist gewaltig, ohne dass die Worte einem erdrücken, sondern uns auffordern, das Leben nicht nur zu geniessen, sondern so zu leben, dass der persönliche Lebensweg Sinnhaftigkeit und Freude schenken kann. In diesem Sinne bedanke ich mich für deine Kolumnen, die oft aktuell daherkommen.
Mit bestem Dank Irma Haefliger.