Die Ausstellung «Look Closer» im Zürcher Museum Rietberg präsentiert historische und zeitgenössische Kunst Afrikas und stellt das Archiv des Kunstethnologen Hans Himmelheber vor.
Look Closer stellt einen aussergewöhnlichen Sammler und Forscher vor. Der in Karlsruhe geborene Hans Himmelheber (1908-2003) bereiste wiederholt Zentral- und Westafrika. Seine Forschungs- und Sammeltätigkeit umspannt einen Zeitraum von der Kolonialzeit über die Unabhängigkeit bis in die 1970er Jahre.
Archivschachtel und Fotoapparat von Hans Himmelheber. Foto: rv
In den 1920er und 1930er Jahren war die afrikanische Kunst bei der Avantgarde und in Sammlerkreisen hoch im Kurs. Der Forscher interessierte sich jedoch nicht nur für die ästhetische Seite der Skulpturen, Masken und Alltagsgegenstände, sondern ebenso für die Menschen. Er hielt die Namen der Bildhauer fest, liess sie von ihrem Werdegang und ihren künstlerischen Vorstellungen erzählen und dokumentierte ihre Techniken mit Foto- und Filmkamera. Damit widersprach er der in Europa vorherrschenden Ansicht, Kunst in Afrika sei vorwiegend anonym und durch starre Traditionen eingeschränkt. Dank seiner Studien erfolgte ein Umdenken in der Kunstgeschichte Afrikas.
Samogo Silue beim Bemalen eines Textils, Côte d’Ivoire. Senufo Region, Korhogo, Foto: Hans Himmelheber 1970.
Die Ausstellung Look Closer schaut auch näher hin, wie die Feldforschung im Austausch mit der lokalen Bevölkerung vor sich ging. So wird neben den Verdiensten auch die Ambivalenz angesprochen, etwa wenn Himmelheber koloniale Infrastruktur nutzte oder wenn er als Sammler und Kunsthändler tätig war, um sein Leben und seine Forschungen zu finanzieren. Ebenso werden Fragen der Provenienz, Restitution und Dekolonisierung im Umgang mit (post)kolonialen Sammlungen und Archiven in Museen des Globalen Nordens aufgegriffen.
Hans Himmelheber neben seinen Porträtmasken, geschnitzt von vier verschiedenen Künstlern in der Côte d’Ivoire. Foto: Eberhard Fischer, Heidelberg, 1971.
Als Kunstethnologe ging Himmelheber neue Wege, wie die vier Holzmasken mit seinem Porträt im Hauptraum zeigen. In den frühen 1970er Jahren beauftragte er vier Bildhauer aus unterschiedlichen Regionen der Côte d’Ivoire, ein Porträt von ihm zu schnitzen. Es war ein ethnologisches Experiment zur Frage des Porträts in der Kunst Afrikas. Mit dieser Studie konnte er nachweisen, dass auch die afrikanischen Künstler durchaus individuelle Vorstellungen sowie eine eigene Handschrift haben. Weitere Exponate demonstrieren ebenfalls, wie gut die Bildhauer die Porträtkunst beherrschen.
Grosse Maske mit Stirnnarbe von Sra (ca. 1885-1955), Liberia, Dan-Region, Belewale, um 1930, um 1950 erworben von Hans Himmelheber.
In der Schau werden verschiedene Künstlerpersönlichkeiten mit ihrem Werk vorgestellt, die in Himmelhebers Forschung eine zentrale Rolle spielten. Etwa die monumentalen Masken oder Zeremoniallöffel des Künstlers Sra (ca. 1885-1955) aus Liberia oder die farbenfrohen, mit neuartigen Figurengruppen bestückten Masken des ivorischen Bildhauers Sabou bi Boti (ca. 1920-2021). Sie lassen erkennen, warum diese Künstler zu ihrer Zeit als Meister ihrer Disziplin galten. Dagegen spielen Frauen in Himmelhebers Konzept von Kunst kaum eine Rolle, ihre von ihm dokumentierten Arbeiten blieben meist anonym.
Hans Himmelheber filmt den Schnitzer Banga Sjui bei der Arbeit. Côte d’Ivoire, Bété-Region, Biegjue am 26. Januar 1965.
Das Museum Rietberg pflegt eine langjährige Beziehung mit Hans Himmelheber und seiner Familie. Durch Ankäufe und vor allem durch Schenkungen verfügt das Museum heute über ein einzigartiges Archiv, das aus der Privatsammlung des Kunstethnologen mit mehr als 930 Objekten, 15’000 Fotografien und Filmen sowie dem schriftlichen Nachlass besteht. Das gesamte Archiv ist nun erstmals in einer multimedialen Plattform Africa Art Archive (AAA) für die Öffentlichkeit zugänglich, das Ergebnis eines mehrjährigen Forschungsprojektes.
Ausstellungsansicht und Performance von Désiré Amani, 2023
Heute durchforschen immer mehr Künstlerinnen und Künstler Afrikas die kolonialen Archive und Museumssammlungen. Für Look Closer wurden acht zeitgenössische Kunstschaffende aus der Côte d’Ivoire, der Demokratischen Republik Kongo und der Diaspora eingeladen, sich mit dem Archiv Himmelheber zu beschäftigen. In den entstandenen Kunstwerken präsentieren sie ihre Visionen. Mit ihren Erzählungen und Vorstellungen der afrikanischen Geschichte und Gegenwart eröffnen sie andere Seh- und Verstehensweisen.
Michèle Magema bei der Erstellung ihrer Installation «A la rencontre de nos souvenirs ou comment marcher sur nos terres», 2023. Foto: © Mark Niedermann Photography.
Michèle Magema (*1977) liess sich von Himmelhebers Fotografien, die 1938/39 in ihrer Heimat entstanden, inspirieren. Mit ihrem Zeichenstift hinterlässt sie auf den Museumswänden ihre eigenen Spuren und lädt dazu ein, ihr in das Land ihrer Vorfahren zu folgen.
Obou Gbais (*1992) beschäftigt sich mit Fragen der kulturellen Identität. Er arbeitet mit verschiedenen Medien, Malerei, Skulptur, Videos, in denen die Dan-Maske immer wieder auftaucht und eine Mischung aus traditioneller Kultur und Moderne schafft.
Der Komponist und Informatiker David Shongo (*1994) folgt Himmelhebers Forschungsroute vor rund 80 Jahren in der Demokratischen Republik Kongo auf der Suche nach seinem eigenen Vater, den er nie kennenlernte. Sein poetisch-dokumentarischer Film Lumène macht deutlich, wie die afrikanische Gesellschaft ihrer Erinnerung beraubt wurde und noch immer von kolonialem Gedenken durchdrungen ist.
Fotos: Vom Museum zur Verfügung gestellt und rv
Bis 17. September 2023
«Look Closer. Kunst Afrikas im Archiv Hans Himmelheber» im Museum Rietberg, Zürich
Eine Begleitpublikation als Handout liegt im Saal auf
Siehe auch Ruth Vuilleumier:
Fotografie gegen den Verlust von Kulturen
Junge Kunst und koloniales Erbe