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Langer Rede kurzer Sinn

Es gibt Studien, die ermitteln, wie lange Lesende von Printmedien sich auf einen Text konzentrieren können oder wollen. Auch wenn Journalisten und Journalistinnen jetzt enttäuscht sind: Sehr lange ist es nicht. Beim ersten verschachtelten Satz, bei der ersten komplizierten Passage steigen die meisten aus.

Fazit: Schnell auf den Punkt kommen, eine klare Sprache und keine todernste Anreihung von Fakten, halten die «Konsumenten» bei Laune. Wer Romane lesen will, kauft sich ein Buch.

Also nicht, wie kürzlich gelesen, von den Enten auf dem spiegelglatten See, dem Zwitschern der Vögel in den knospenden Bäumen, dem Lachen der Kinder und dem Plaudern von zwei Frauen mit Kinderwagen und, besonders schön, «einer Mischung von Regen und frischen Blumen» berichten, wenn es um etwas ganz anderes geht.

Die Journalistin hatte allerdings noch nicht genug. Sie erzählte noch von einem weissen Haus mit roten Fensterläden, um dann endlich zur Sache zu kommen: Im Haus wurde der 81-jährige Bewohner brutal überfallen und ausgeraubt. Die Täter sind noch nicht gefasst.

Wetten, dass sich nur wenige Interessierte durch all die Entlein, Vögelein, Kinderlein und roten Fensterläden hindurch gekämpft haben und den Text zu Ende gelesen haben? Schade um die Arbeit.

Oder da wird von einer Non-Profit-Organisation berichtet, die sich dem Whale-Watching widmet. Also dem Beobachten von Walen und ihrem Lebensraum. Eine gute Sache. Wenn es nur nicht so langfädig beschrieben würde: «Im ersten Jahrzehnt konzentrierte sich das kleine Team (… … … …)». Ganze 14 Zeilen lang ist der erste Satz und es folgen etliche weitere solcher Satzungetüme. Wer nicht gut aufpasst, verliert jeweils bereits in der Hälfte den Faden. Also nochmals von vorne, und ganz langsam? Ach was. Schnell weitergeblättert, zu leichterer Lektüre.

Kulturredaktoren und -Redaktorinnen – zu denen gehörte ich lange Zeit auch – sind bekannt dafür, ihre Theaterkritiken so zu schreiben, dass zwar keiner drauskommt, es aber intellektuell und, ja eben, «kritisch» tönt. Schwurbeln nenne ich das. Kommt aus dem Althochdeutschen und steht für sich im Kreis drehen, schwindlig werden.

Wollen Sie auch ein bisschen taumeln? Dann lesen Sie die Theaterkritik – im Wortlaut – die mir mein treuer Leser Thomas geschickt hat: «Im entspannten Plauderton erklärt er die wundersame Mechanik des Sessels, der in der Eingangsszene seiner Erfolgskomödie «Der eingebildete Kranke» für wahre Kot-Kaskaden sorgen kann – eine Tatsache, die den Zuschauerinnen und Zuschauern am Anfang des Abends nicht entgangen blieb.» «Diese kaskadenhafte Satzkonstruktion ist mir trotz Plauderton nicht entgangen. Aber wirklich schlau geworden bin ich nicht», schreibt Thomas dazu. Ich auch nicht, lieber Thomas.

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