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Hohler und Haller: Zweimal 80

Ganz zum Schluss der 45. Solothurner Literaturtage am Auffahrtswochenende kommen zwei alte weise Männer ins Gespräch über ihre Arbeit als Autoren, ihre Begegnungen und über ihre neuen Bücher.

Christian Haller ist am 28. Februar 80jährig geworden, Franz Hohler tags darauf am 1. März. Sie beschliessen im Landhaussaal, dem grössten Vorleseraum bei den Literaturtagen eine Veranstaltung mit Tradition, die nach wie vor Lesesüchtige, Literaturvernarrte und vor allem auch viele, die mit dem Literaturbusiness als Autorinnen, Übersetzer, Verlegerinnen, Buchhändler und Literaturvermittlerinnen oder Lehrer beruflich zu tun haben, in die kleine Stadt mit der grossen Geschichte an der Aare.

Franz Hohler (Foto: © Hannes Röst) und Christian Haller (Foto: © Marita Höckendorff)

Der öffentliche Gedankenaustausch der beiden dichtenden Senioren als Ausklang und die Vernissage eines ebensolchen, nämlich von Hannes Binder am Beginn, umrahmen ein üppiges und diverses Programm von Lesungen, Gesprächen, Workshops und Konzerten aus einer umfassend verstandenen Welt der Literatur, aus allen Landesteilen der Schweiz, viele Jungautoren und -autorinnen sind dabei, mit internationalen Gästen als Rosinen im Kuchen.

Die Treppe zur Kathedrale als Publikumstribüne. Foto:Susanne Goldschmid

Doch noch was zu dem Rahmen der sich immer wieder neu und immer wieder ähnlich erfindenden Institution Solothurner Literaturtage: Hannes Binder (*1947) – hier mit Kill my Darlings präsent – hat Graphic Novels gemacht, bevor der Begriff allgemeinverständlich war, und warum nicht festhalten, dass Franz Hohler seit Jahrzehnten auch Performer seiner Texte ist, also ein Vertreter der Spoken-Word-Bewegung avant la lettre.

Aber nun doch noch ein paar Hinweise aus dem Dazwischen von Freitag bis Sonntag: Natürlich ist der Shooting Stars der Szene in Solothurn dabei, dessen mehrfach preisgekröntes Blutbuch in immer mehr Sprachen übersetzt wird. Warum mal nicht die Übersetzungswerkstatt besuchen und erfahren, was hinter dieser Arbeit steckt?

Stefan Bachmann hat in diesen Tagen den Solothurner Oberstufenschülerinnen und -schülern aus «Die Hexen von Blackbird Castle» vorgelesen.

Im Rahmen der Werkschau sind 76 Schreibende zu Gast. Solothurn ist der Ort, wo die Buchproduktion des vergangenen Jahrs von literarisch Schreibenden, die in der Schweiz leben oder einen Schweizer Pass haben, vorgestellt wird. Dazu gehören nicht nur jene, die in einer der vier Landessprachen Texte verfassen, sondern auch jene, die zur «fünften» Schweiz gehören, diesmal unter anderem die deutsch schreibende Bosnierin Mina Hava – bereits hochgelobt in einigen Buchbesprechungen – oder Ed Wige, ebenfalls aus dem Balkan, aber frankophon assimiliert, mit ihrem Titel: Milch Lait Latte Mleko.

Traumatisierende Kindheitserfahrungen sind – fast möchte man sagen – in den Biographien von mit ihren Müttern dem Balkankrieg entkommenen Kindern fast die Norm. Aber sie in Literatur umzusetzen ist alles andere als alltäglich. Auch die in Solothurn vorgestellten Romane von Sarah Elena Müller oder von Eleonore Frey thematisieren gewalttätige und zerstörerische Übergriffe.

Ins Exil musste das belarussische Paar Julia Cimafiejeva , sie ist Lyrikerin, und Alhierd Bacharevič, dessen Werk Die Hunde Europas zunächst hochgepriesen von Lukaschenko 2021 als «staatswidrig» verboten wurde. Bacharevič wird am Freitag Mittag von David Karasek im Solothurner SRG-Studio zur Direktsendung Tagesgespräch empfangen.

Nathalie Widmer und Rico Engesser leiten die Geschäfte der Literaturtage  © fotomtina

Die 45. Ausgabe der Literaturtage ist nicht nur sprachlich und herkunftsmässig vielfältig, heute ist sie auch Spiegel einer diversen Gesellschaft. Nebst Lesungen gibt die Verlegerin Noémi Schaub einen Einblick, wie queeres Erzählen oder inklusive Sprache in der Romandie diskutiert werden.

«Mit Gertrud Leutenegger wird eine Autorin ausgezeichnet, deren Werk Persönliches und Weltwahrnehmung beharrlich und eindrücklich
verbindet,» schreibt die Jury des Solothurner Literaturpreises.

Solothurn wäre nicht Solothurn, wenn es nicht die Kurzlesungen auf der St. Ursentreppe gäbe, wo auch Passanten ein Ohr voll Literatur nehmen könnten. Ausserdem werden bei den Literaturtagen Preise verliehen, am Freitagabend der Schweizer Literaturpreis 2023 vom Bundesamt für Kultur, am Samstag den Kinder- und Jugendbuchpreis und am Sonntag wird Gertrud Leutenegger mit dem Solothurner Literaturpreis geehrt. Mit vielen Literaturpreisen ausgezeichnet wurde die britische Autorin A.L. Kennedy, zweimal zu erleben mit einer Lesung und einem Talk mit Matto Kämpf.

 

Das Kreuz – Genossenschaftsgasthof mit Tradition in Feierlaune. Foto: zVg

Und was wäre Solothurn ohne die Genossenschaftsbeiz Kreuz grad gegenüber vom Landhaus und gleich neben dem Theater, den beiden grossen Spielstätten der Literaturtage? Das Kreuz feiert dieses Jahr seinen 50. Geburtstag, es war also schon da, als die Literaturtage noch nicht erfunden waren. Vermutlich war sogar der Stammtisch genau der Ort, an dem sie erfunden wurden.

Die Literaturtage schenken dem Kreuz daher eine Sternstunde mit Franz Hohler, Mitglied der allersten Programmgruppe und Sarah Elena Müller, bei der 50. Ausgabe in der Programmgruppe Spoken Word dabei. Versprochen ist eine literarisch-assoziative Reise von 1973 bis heute. Vielleicht mit Cellobegleitung.

Titelbild: Plakat der 45. Solothurner Literaturtage (Ausschnitt)

Praktische Hinweise: Solothurns Hotelbetten sind bei Film- und Literaturtagen jeweils praktisch ausgebucht – es gilt ja auch, die Gäste unterzubringen. Aber die Stadt am Jurasüdfuss ist von allen grösseren Städten rund einer Stunde Zugfahrt erreichbar. Tickets für die Veranstaltungen oder Dauerkarten kann man online buchen, einige Veranstaltungen sind gratis, und wem alles doch zuviel würde, kann sehr viele Lesungen, Konzerte und Gespräche zuhause mitverfolgen: die Solothurner Literaturtage werden live audio-gestreamt.

Vom 19. bis 21. Mai 2023
Zum Programm und zum Ticketverkauf vor Ort und für den Stream geht es über die Homepage der Literaturtage.

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4 Kommentare

  1. Die Verwendung des Begriffs «Alte weisse Männer» ist in diesem Zusammenhang zumindest irreführend. Die allgemeine Konnotation scheint der Schreiberin/der Redaktion nicht bekannt zu sein.

    • Uhhh, da hat sich jemand betroffen gefühlt und Frau Eva Gaflisch etwas vorgeworfen, dass sie gar nicht geschrieben hat.
      Ich kann nicht beurteilen, ob die beiden 80-jährigen Autoren weise Männer sind oder nicht. Aber eines sind sie ganz sicher: weiss und alt.

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