StartseiteMagazinKulturDie Kopie inspiriert das Original

Die Kopie inspiriert das Original

Das Spannungsfeld zwischen Kopie und Original in der Kunst erkundet derzeit die Ausstellung «Ja, wir kopieren! Strategien der Nachahmung in der Kunst seit 1970» im Kunstmuseum Solothurn.

Ein Kosmos voller Einfallsreichtum und Witz erwartet die Besucherinnen und Besucher der gegenwärtigen Ausstellung in Solothurn. Von langweiliger Nachahmung keine Spur. Am Anfang standen Kopien in all ihren modernen Varianten, davon liessen sich die Künstlerinnen und Künstler inspirieren – herausgekommen ist eine Vielfalt an Produktionen, die über Althergebrachtes weit hinausgehen.

Mickry 3, Der Fluss, 2014, Styropor, Acrystal, Acryl, Spiegel, Murmeln, 135 x 147 x 93 cm © die Künstlerinnen Nina von Meiss, Dominique Vigne, Christina Pfander. (Foto mp)

Gleich im ersten Saal fällt der Blick auf eine Skulptur des Kollektivs Mickry 3, dreier Schweizer Künstlerinnen, die seit 1989 zusammenarbeiten. Der Fluss (2014 entstanden) interpretiert eine Brunnenskulptur von Aristide Maillol aus der Sicht des 21. Jahrhunderts, ironisiert die aktuellen Schönheitsvorstellungen und damit die Frau als Sexobjekt: Die Figur in ihren runden Formen erinnert durchaus an den französischen Bildhauer des 19./20. Jahrhunderts, der Fluss jedoch scheint erschlagend hart, zerstört die Idylle. Im Original ist das Wasser des Brunnens «der Fluss». Da er hier paradoxerweise in zwei Stücke zerbrochen ist, zeigt sich der schöne Schein in den verspiegelten Schnittstellen.

Viele der beteiligten Künstlerinnen und Künstler haben die Zürcher Schule für experimentale Gestaltung F+F absolviert. Das Team der beiden Co-Kuratoren Katrin Steffen und Michael Hiltbrunner ergänzen diese Auswahl mit internationalen Werken verschiedener Richtungen. So sind Werke von Fischli/Weiss zu sehen – sie werden Ausgangspunkt einer neuen Produktion -, daneben unter anderem Álvaro Barrios, Dieter Roth, Yves Scherrer, Semih Yavsaner / Müslüm, Klodin Erb und Eliane Rutishauser.

Morehshin Allahyari, King Uthal aus der Serie Material Speculation: ISIS, 2015/2023, 3D-Druck in transparentem Harz, 30.5 x 10.2 x 8.9 cm © die Künstlerin (Foto mp) – Die iranische Künstlerin lässt durch 3-D-Druck die von Islamisten (ISIS) in Mossul zerstörte Skulptur von König Uthal wiederauferstehen. (Foto mp)

Nicht zufällig hat das Kuratorenteam das Jahr 1970 als Ausgangsdatum gewählt: Seitdem entwickeln sich Kopiermethoden und Bildtechniken in ungeahntem Masse, was Geschwindigkeit und Technologien angeht.

Um Nachahmung geht es nur im Sinne von kreativer Gestaltung von vorhandenem Material. Im künstlerischen Prozess muss je länger je mehr die Entwicklung zwischen Mensch, Kultur, Umwelt und Technik mitgedacht werden. – Dass daraus Ängste entstehen, manifestiert sich ebenfalls in einigen Werken.

Nelson Leirner, Homagem a Fontana I (1967). Textil, Metall und Aluminium. Daros Latinamerica Collection, Zürich (Foto mp)

Das Spiel mit Kopie und Original ist manchmal ziemlich verwickelt. Der Brasilianer Nelson Leirner (1932-2020) gestaltete mit Homenagem a Fontana I seinen Respekt für den italienischen Künstler Lucio Fontana, der Leinwände durchlöcherte und zerschnitt, um den Raum hinter dem Bild sichtbar zu machen.

Leirner benutzte einen Reissverschluss und montierte dahinter einen bunten Stoff. Ursprünglich durfte das Publikum den Reissverschluss auf- und zuziehen – leider nicht in Solothurn. Leirner hatte für seine Arbeit eine grosse Auflage vorgesehen und einen günstigen Preis. Von der Einmaligkeit (und Unbezahlbarkeit) eines Kunstwerks hielt er nichts.


Die Kopie ist gleichzeitig Begriff der Entmystifizierung und des Prozesshaften.
Rosalind Kraus 1965 (Saaltext)


In früheren Jahrhunderten gehörte das Kopieren zu den Grundlagen von Malerei und Bildhauerei. Die künstlerischen Vorbilder sollten durch mimetische Nachbildung verinnerlicht werden, bevor der angehende Künstler oder die Künstlerin einen eigenen Stil entwickeln durfte. Und einige wichtige Kunstwerke wurden kopiert, um sie als Graphik bekannt zu machen.

Das «Originalgenie» gehört in die Gedankenwelt der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts («Sturm und Drang») und wurde auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den verschiedenen Avantgarde-Strömungen sehr geschätzt. Damals verlor die Kopie ihren Wert, wurde abgeschoben in die Niederungen der Amateur- bzw. Populärkultur.

Olia Lialina mit Mike Tyka, Treasure Trove, 2017, URL © die Künstlerin, der Künstler. – Olia Lialina (*1971 in Moskau) gilt als Pionierin der Netzkunst. Mike Tyka ist Biophysiker und Künstler, er arbeitet bei Google im Programm Artists and Machine Intelligence.

Wenn wir uns bewusst machen, was in unseren Tagen alles kopiert und reproduziert wird, wenn wir an die Erfindung des 3-D-Drucks denken und an die vielfältigen Möglichkeiten digitaler Kreationen, wird klar, dass wir am alten Klischee der minderwertigen Kopie nicht unbesehen festhalten können. – Die Ausstellung zeigt auch, wie lustvoll Kopieren oder Nachahmen sein kann und was an Umnutzung, Neugestaltung, Aneignung möglich ist. Gerade die kommerzielle Bildgestaltung (Werbung) ist eine Fundgrube für solche ironische Interpretationen.

Klaus Urbons (*1952), N.N. oder die Geschichte der Fotokopie. 1981. Fotokopie. Leihgabe des Künstlers (Foto mp). – Das Werk wird als Realkopie bezeichnet, d.h. die Person ist in Echtgrösse abgebildet.

Ein beeindruckendes Beispiel, wie zwiespältig aktuelle Technologien unser Verständnis von Identität beeinflussen, präsentiert Stephanie Dinkins in ihrer Arbeit mit Künstlicher Intelligenz. Sie diskutiert mit BINA48, einem humanoiden Roboter, der auch Erfahrungen von Persons of Color gespeichert hat.

Stephanie Dinkins, Conversations with BINA48: Fragments 7, 6, 5, 2, 2018, Videoaufzeichnung einer Konversation zwischen der Künstlerin und der KI Bina48, je 4 Min. © die Künstlerin

In kurzen Ausschnitten kommen Fragen der Akzeptanz unterschiedlicher Lebensstile zur Sprache und die Frage, ob Urteile darüber, was Menschlichkeit bedeutet, von Äusserlichkeiten beeinflusst werden. Die puppenhafte Figur BINA48 lässt uns mit der Frage zurück: Kann durch Künstliche Intelligenz Menschlichkeit gefördert werden oder geht diese dadurch erst recht verloren.

Der Besuch der Ausstellung macht Spass und drängt die Besuchenden dazu, über Grenzen und Chancen der neuen Technologien und ihre künstlerischen Möglichkeiten nachzudenken.

«Ja, wir kopieren! Strategien der Nachahmung in der Kunst seit 1970.» im Kunstmuseum Solothurn ist bis 27. August 2023 zu sehen.

Titelbild: Anna Stüdeli, 2022, Latex-Print auf Blueback Papier, Kleister, Plakatträger, 285 x 131 x 4 cm © die Künstlerin. – Sie rückt Organe der Begierde und Konsum ins Zentrum und zeigt durch den Riss im Bild, wie Werbebilder idealisieren und zerstören.

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