«Paradies» heisst das Motto des Lucerne Festivals, das am Freitag mit Gustav Mahlers 3. Sinfonie d-Moll festlich eröffnet wurde. Die Aufführung wurde live auf eine Grossleinwand auf dem Luzerner Inseli übertragen und in alle Welt ausgestrahlt.
Es ist ein grossartiger Bau, das Kultur- und Kongresszentrum KKL in Luzern. Das Ambiente mit dem Blick auf den Vierwaldstättersee und die Berge ist atemberaubend. Für den Eröffnungsabend reisten Prominente von nah und fern an, das Stelldichein von Kunst, Wirtschaft und Politik war beeindruckend.
«Willkommen im Paradies!»
Stiftungsratspräsident Markus Hongler begrüsste das Publikum sichtlich entspannt. Die letzten drei Jahre seien auch für das Lucerne Festival stürmisch gewesen, so Hongler. Es waren Jahre des Umbruchs und der Improvisation. Neues zu wagen gehört jedoch zum Profil dieses Festivals.
«Willkommen im Paradies!», so begrüsste Intendant Michael Häfliger seine Gäste. Für ihn ist das Paradies Sinnbild für das, was es nicht mehr gibt. Die Sehnsucht danach ist und bleibt Inspiration für die Kunst, so auch für Gustav Mahlers 3. Sinfonie. Sie ist eine klingende Schöpfungsgeschichte. Abt Urban Federer erläuterte in seiner griffigen Eröffnungsrede das Paradies aus biblischer Sicht. Dabei nahm er auch sinnig Bezug zum Film «Conquest of paradise» (Die Eroberung des Paradieses, 1992).
«Ein Orchester für Freunde»
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider betonte als vierte Rednerin die Besonderheit des Lucerne Festival Orchestras, das vor 20 Jahren von Claudio Abbado und Michael Häfliger ins Leben gerufen wurde: «Die Musikerinnen und Musiker aus aller Welt reisen nicht einfach an, um ihren Job zu machen. Es ist ein Orchester für Freunde. Hier treffen sie sich, um zusammen auf höchstem Niveau zu musizieren.»
Ausgerechnet zum 20-jährigen Jubiläum dieses fabelhaften Orchesters musste der jetzige Chefdirigent Riccardo Chailly wegen einer kurzfristig anberaumten Operation seine Teilnahme am Lucerne Festival komplett absagen. Für ihn übernahm Paavo Järvi, Chefdirigent des Zürcher Tonhalle-Orchesters. Mit der monumentalen 3. Sinfonie von Gustav Mahler war der Einstieg alles andere als leicht. Diese dauert rund 100 Minuten, ist riesig besetzt und fordert einen Kinder- und einen Frauenchor, dazu eine Solo-Altistin.
Eine klingende Schöpfungsgeschichte
In seiner Dritten wollte Mahler nichts weniger, als das ganze Universum in Musik zu setzen. Die sechs Sätze verkörpern den Stufenbau der Welt: von der anorganischen Natur über die Entstehung des Lebens, von den Pflanzen über die Tiere bis zum Menschen. Überhöht wird das alles durch die Vision des Göttlichen und der ewigen Liebe.
Zum Glück verfügt des Lucerne Festival Orchestra über grandiose Bläser, denn sie werden von Mahler bis in die tiefsten Register enorm gefordert. Ivo Gass vom Tonhalle-Orchester Zürich ist der Solo-Hornist, Reinhold Friedrich führt die Trompeter an, und der Solo-Posaunist Jörgen van Rijen kommt vom Royal Concertgebouw Orchestra. An der Tuba sitzt Thomas Keller von der Staatskapelle Berlin, und am Kontrafagott Barbara Kehrig von den Berliner Philharmonikern.
Die Magie der Stimmen
Mahlers Dritte hat, trotz der grossen Besetzung, auch viele leise, intime Stellen. Paavo Järvi sorgte mit grosser Übersicht für interessante Übergänge, die emphatischen Steigerungen kostete er genüsslich aus. Die Altistin Wiebke Lehmkuhl trat erst im vierten Satz mit «Oh Mensch! Gib Acht!» solistisch in Erscheinung. Mit ihrer warm timbrierten, wunderbar «strömenden» Stimme sang sie sich direkt in die Herzen des Publikums.
Auch die Kinder der Luzerner Kantorei und die Damen des Chors des Bayerischen Rundfunks kamen nur im fünften Satz zum Einsatz. Umso überraschender wirkten die hellen Stimmen im kecken «Bimm bamm» Gesang, der Frauenchor und die Altistin stimmten innig mit ein. So war der langsame, «ruhevoll und empfunden» vorzutragende Schlusssatz über die göttliche Liebe bestens vorbereitet. Das Publikum wirkte echt betroffen und steigerte sich im Applaus bis zur Standing Ovation.
lucerne festival, KKL Luzern, 11.August bis 10. September 2023
Ohne Zweifel ein imposantes Musikereignis auf hohem Niveau.
Was mir aufstösst, warum musste es wieder ein Mann sein, der für den erkrankten Chefdirigenten Riccardo Chailly einsprang?
Ein erneuter Auftritt einer weiblichen Dirigentin im KKL hätte dem schweizerischen Musikbusiness gut getan und damit dem immensen Ungleichgewicht w/m in diesem Beruf entgegen gewirkt.
Schon. Immerhin war die Sängerin eine Frau.