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Altern als Lebenskunst?

Sollen alternde Menschen Lebenskunst praktizieren oder gar Lebenskünstler sein? Reicht es nicht, bloss Tag für Tag wieder einen Tag älter zu werden? Heinz Rüeggers neuestes Buch trägt den Titel «Lebenskunst des Alterns». Was ist damit gemeint?

Die Überzeugung, die dem Buch zu Grunde liegt, ist, dass Altern nicht ein schicksalshafter Prozess ist, der hingenommen werden muss, sondern zu grossen Teilen bewusst gestaltet werden kann. Betrachten wir die von Rüegger gesichteten Gestaltungsräume und wie man sich darin lebenskünstlerisch bewegen kann.

Ausgangspunkt

Wer sein Altern gestalten will, nimmt diese Lebensphase zunächst an und bejaht sie (Pro-Aging) und versucht nicht, sich dagegen zu wehren und alles zu tun, um jünger auszusehen und zu wirken (Anti-Aging).  Wer sein Altern als Lebenskunst begreift, versucht, sein Leben zu steuern, Chancen wahrzunehmen und sich Herausforderungen zu stellen unter Berücksichtigung der eigenen Potentiale und der Nutzung der mehr oder weniger turbulenten vergangenen Erfahrungen. Ziel ist, dass «du zu der Person wirst, die du bist und die du noch werden kannst.» (S.28) Auch wenn das Altern aus eigenem Versagen oder schicksalshafter Fremdeinwirkung nicht optimal verläuft und sogar zu misslingen scheint, ist an der jedem Menschen zukommenden und unverlierbaren Würde festzuhalten, unabhängig davon, welche «Leistungen» man im Alter erbringen mag oder ob man aus irgendwelchen Perspektiven «scheitert».

Erster Gestaltungsraum: Leben als Geschenk leben

Rüegger, der auch christlicher Theologe ist, versteht traditionsgemäss das Leben als Gabe: «Christlicher Glaube versteht Leben als Gabe Gottes, das dann auch zur Aufgabe wird.» (S.55). Aus diesem Verständnis erwächst eine Haltung der Dankbarkeit gegenüber allem, was lebt, auch gegenüber den eigenen Begabungen und Fähigkeiten, die man für sich, seine Liebsten, Nachkommen und das Gemeinwohl ausleben kann. Wer «alt und lebenssatt» sterben kann, nachdem er das Leben dankbar genossen, Sinn stiftend und im Engagement für andere gelebt hat, hat schon aus alttestamentarischer Sicht ein gelingendes Leben geführt.

Zweiter Gestaltungsraum: «Offenheit für das Unverfügbare» (S. 96)

Im Alter zeigen sich Schwächen, Beeinträchtigungen, Alterskrankheiten, die unausweichlich sind und zum Alterungsprozess gehören.  Es ist ein Unterschied, ob man mit allen medizinisch verfügbaren Mitteln gegen unheilbare Krankheiten einen aussichtslosen Kampf führt oder ob man offen ist für eine möglichst hohe Lebensqualität trotz Krankheiten. Der Umgang mit Beeinträchtigungen des Alters lässt sich gestalten mit neuen Einsichten, spirituellem Vertrauen und der dankbaren Annahme von Unterstützungsleistungen.

Dritter Gestaltungsraum: Sinn finden

Für mögliche individuelle Sinnfindungsprozesse zitiert Heinz Rüegger aus vielen Texten anregende Zitate und stellt hier (wie im ganzen Buch) Fragen zur Reflexion eigener Erfahrungen und Haltungen zur persönlichen Lebenskunst des Alters, z.B.: «Welche gegenwärtigen Aktivitäten machen für Sie besonders Sinn?» (S. 147). Erkennen Sie im Rückblick auf Ihr Leben so etwas wie einen roten Sinnfaden, der Ihr Leben durchzieht?» (S. 147). «Wie sind Sie in Ihrem bisherigen Leben mit Erfahrungen von Sinnlosigkeit umgegangen? (S. 152). «Haben Sie sich schon Gedanken gemacht, was Ihnen im Blick auf Ihr Lebensende besonders wichtig ist?» (S. 159) usw.

Altersfreundliche Gesellschaft

Lebenskunst als Selbstsorge zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit steht in einer Wechselwirkung zur Alterskultur einer Gesellschaft. Eine altersfreundliche Gesellschaft nutzt die Potentiale der Älteren und lädt sie ein zur politischen, sozialen und kulturellen Mitgestaltung zum Wohle der Gesellschaft. Die Alten müssen aber nicht auf Einladungen der Gesellschaft warten, sondern können sich immer schon mit mehr oder weniger grossen Schwierigkeiten selbst einbringen.

Heinz Rüegger berücksichtigt in seinem Buch über 220 Texte aus der gerontologischen und theologischen Literatur. Ein beeindruckendes Angebot von Perspektiven für Professionelle im Altersbereich, aber auch für interessierte «Leserinnen und Leser, die sich vertieft mit dem Prozess des Alterns auseinandersetzen wollen und danach fragen, wie das eigene Alter sinnvoll und fruchtbar gestaltet werden kann.» (S. 8, aus dem Vorwort).

Heinz Rüegger. Lebenskunst des Alterns. Gerontologische und theologische Aspekte. Zürich 2023. ISBN: 978-3-290-18531-2

Titelbild aus freepik

 


Dr. theol. Heinz Rüegger (1953) ist ausgebildeter Theologe, Ethiker und Gerontologe und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fragen des Alterns. Seit der Pensionierung ist er freier Mitarbeiter im Institut Neumünster und assoziiertes Mitglied des Zentrums für Gerontologie der Universität Zürich.

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3 Kommentare

  1. Weshalb glauben eigentlich so viele BücherschreiberInnen, sich mit dem «Alter» auseinanderzusetzen, Tipps und Ratschläge zu geben, der Altersgruppe, die wohl am meisten über Sinn und Unsinn des Lebens und seine Gestaltung nachgedacht hat und zu den verschiedensten individuellen Lösungen und Vorgehensweisen gelangt ist. Gerade im Alter gilt: «Chacun à son goût!»

  2. Wer’s nicht lesen WILL, MUSS ja nicht. Vielleicht kann die/der eine oder andere für sich etwas herauslesen, das hilft.
    Es fällt nicht allen leicht, mit den Beschwerden des Alterns umzugehen.
    Finde ich etwas, das mir Freude macht?
    Lesen ist immer noch besser als hadern.
    Kritik ist schnell zur Hand. Ein Buch kann helfen, ist allemal besser als Alterspsychiatrie.
    „IM ALTER WILL ICH NICHT JUNG, SONDERN GLÜCKLICH AUSSEHEN.“

  3. Nachtrag:
    Wieso werden so viele Krimis geschrieben? Das Thema interessiert mich z.B. überhaupt nicht, aber viele andere lesen Krimis.
    Eben: Chacun à son goût!

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