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Drei Wege junger Künstlerinnen

Das Kunstmuseum Solothurn zeigt in seiner Herbstausstellung aktuelle Arbeiten von Dimitra Charamandas, Hannah Weinberger und Lex Vögtli. Obwohl jede ihr eigenes Motto hat, gibt es offensichtliche und versteckte Verbindungen.

Wir treten in den Ostflügel und finden uns in einer Landschaft, halb dargestellt in einem Gemälde, halb als Installation im hellen, luftigen Raum. Wo sind wir da? Die gedeckten, fast sanften Farben wirken wie nicht von dieser Welt – obwohl eine vulkanische Landschaft dargestellt ist, der Titel Caldera, Heat ist unmissverständlich. Da scheint der Vulkanausbruch schon lange zurückzuliegen. Dass Sandhaufen am Boden liegen, passt wiederum in unsere Vorstellung, wir befänden uns in einem Traum. Dabei ist es Juramergel, nichts Vulkanisches, und ganz bestimmt hat die Künstlerin mit Absicht diese kalkige Erde ausgewählt. Die glasierten Keramikwerke wirken jedoch von ihrer Form her wie zufällig in grosser Hitze entstanden.

Ausstellungsansicht. Dimitra Charamandas, Caldera, Heat, 2023 Acryl auf Baumwolle. Mit Auricular whorls und Crest, 2023, Keramik glasiert, installiert in Juramergel (Foto mp)

Dimitra Charamandas (geb. 1988) hat griechische Wurzeln und ist in Solothurn aufgewachsen. Sie hat in den letzten zehn Jahren ihre vielseitigen Arbeiten nicht nur in der Schweiz, sondern unter anderem in Kairo, Frankfurt, Chicago oder Athen ausgestellt. Sie bezieht Lesungen, Mahlzeiten und kuratorische Projekte in ihre künstlerische Tätigkeit ein und arbeitet offenbar gern in einem internationalen Netz.

Ebbe und Flut

Ihren Teil der Solothurner Ausstellung betitelt sie Tides (Gezeiten), Ebbe und Flut oder weiter gefasst: Leere und Fülle. Damit deutet sie an, was wir oft genug nicht wahrhaben wollen: Den Gegensätzen, die unsere Gesellschaft, unser Leben und die Natur prägen, können wir nicht entrinnen.

Dimitra Charamandas: Shifting alliances, 2023, Acryl auf Baumwolle (Foto mp)

Im östlichsten Raum des Museums hat Charamandas eine Installation geschaffen aus starken, farbigen Filmloops und halbdurchsichtigen Stoffbahnen, die zugleich jedem Filmloop den eigenen Raum geben und erkennen lassen, dass die bewegten Szenen und die stillen Stoffe in einem Zusammenhang stehen.

Begegnungen

Wenn wir anschliessend am Treppenhaus vorbei in den westlichen Teil kommen, werden wir von einer grossen Leinwand empfangen, auf die von beiden Seiten Gesichter projiziert werden. Und wenn ein anderer Museumsbesucher hinter der Leinwand steht, gewinnt man den Eindruck, auch er sei ins Videospiel einbezogen. Während bei Dimitra Charamandas Menschen nur indirekt präsent waren, konfrontiert uns Hannah Weinberger mit Menschen, die seltsam vertraut scheinen: aus der Mode- und Filmwelt, aus der Influencer-Szene oder einfach von der Zürcher Bahnhofstrasse. Diese Personen blinzeln uns zu, lächeln, suchen unseren Kontakt – ein verwirrendes Spiel zwischen Nähe und Distanz, Interesse und Indifferenz.

«Here They Come», 2023, Video, 8’ (Loop), Foto David Aebi, Kunstmuseum Solothurn

«Here They Come and There They Go» nennt Hannah Weinberger (geb. 1988) ihren Ausstellungsteil. Sie ist in Filderstadt bei Stuttgart aufgewachsen, studierte Kunst in Zürich und lebt in Basel. Auch sie hat schon an vielen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland teilgenommen. In Solothurn führt sie uns auf raffinierte Weise zu uns selbst. Zunächst folgt bei unserem Rundgang ein unglücklich gestalteter Raum mit Filmstills und eingeblendeten englischen Sentenzen von unterschiedlicher Länge: Die englischen Texte – sie scheinen bedenkenswert – werden zwar auf einem Karton übersetzt. Da es im Raum dunkel ist, liegt eine Taschenlampe bereit. Aber um die winzige Schrift zu entziffern und das entsprechende schnell wechselnde Video zu identifizieren, wünschte sich die Seniorin vier Augen.

Hannah Weinberger, There They Go, 2023 Video, 11’ (Loop), (Foto mp)

An verschiedenen Stellen spielt die Künstlerin auf unsere Handy-Sucht an: Überall haben wir ein Telefon zur Hand, auch im Museum. Wenn wir ein Gemälde oder ein Detail davon anschauen, ist meist auch das Mobiltelefon zur Hand. Deshalb brauchen wir den grössten Raum in dieser Schau: Hier sind auf einer Seite vier Kameras montiert, auf der gegenüberliegenden Seite sehen wir uns selbst – von hinten, von mehreren Projektoren unterschiedlich projiziert. Das perfekte Anti-Selfie!

Hannah Weinberger, Videoinstallation «Here They Come and There They Go» 2023 (Foto mp)

Noch weiter auf uns selbst zurückgeworfen werden wir im Untergeschoss. Dort gibt es nichts zu sehen. In den drei Räumen sind Lautsprecher montiert, mit einem imposanten Gerät verkabelt. Sensoren reagieren auf die Körperwärme der Besucherinnen und Besuchern, diese Signale werden zu einem synthetischen Soundtrack verarbeitet. So gehen wir durch die Räume und hören nur seltsame Geräusche, deren Ursache in uns selbst zu suchen ist. Nichts zeigt die unmittelbare Wirkung des Hörsinns deutlicher als diese Installation. Vor sichtbaren Dingen können wir die Augen verschliessen, Geräuschen sind wir (fast immer) ausgeliefert.

Wenn aktuelle und frühere Kunstwerke sich begegnen

Die dritte Künstlerin, Lex Vögtli (geb. 1972 in Solothurn), erhielt 2022 den Ausstellungspreis der Stadt Solothurn, der erstmals neben dem Geldpreis auch diese Ausstellung umfasst. Ihr Arbeitsspektrum ist weit gefächert: Malerei, Druckgrafik, Installationen und Collagen, solche hat die Künstlerin im Hinblick auf die Ausstellung viele geschaffen.

Lex Vögtli: Wenn der Himmel kippt, 2023, analoge Collage. Kunstverein Solothurn

Sie wirken heiter durch die kräftigen Farben und vielgestaltig durch die Methode der Collage. Nachdem man ein Werk aus der Ferne angeschaut hat, merkt man beim Näherkommen, wie vielschichtig Vögtlis Collagen sind, die zusammengestellten Gegenstände verweisen auf einen tieferen Sinn: Wie prekär unser Leben ist, es muss im Gleichgewicht bleiben – wie eine wertvolle Vase, die nicht fallen darf. Ein wenig Ironie scheint auf: «Wenn der Himmel kippt» erlaubt ein Schmunzeln oder ein Grausen.

Das Kunstmuseum Solothurn pflegt seit längerem einen schönen Brauch: Ausstellende Künstlerinnen oder Künstler dürfen aus dem Museumsbestand passende, ergänzende Werke aussuchen. Das ist Lex Vögtli aufs Beste gelungen. Neben einem ihrer eigenen Bilder hängt ein Gemälde der Malerpionierin Amanda Tröndle-Engel. Otto Tschumi findet einen Platz, der Solothurner Frank Buchser und noch einige andere.

Dimitra Charamandas: Tides
Hannah Weinberger: Here They Come And There They Go
Lex Vögtli: Wenn der Himmel kippt
bis 31. Dezember 2023 im Kunstmuseum Solothurn.
Mit zahlreichen Veranstaltungen.

Titelbild: Lex Vögtli: Balance. analoge Collage 2023 (Foto mp)

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