In Zeiten, die von mehreren bedrohlichen Kriegen geprägt sind, soll hier an den schwedischen Generalsekretär der UNO erinnert werden: an Dag Hammarskjöld. Er musste für seine Bemühungen um Frieden sein Leben lassen.
Seit April 1953 hatte der Schwede das höchste Amt der Vereinten Nationen inne – bis er am 18. September 1961 bei einem Flugzeugabsturz in Nordrhodesien, das inzwischen zu Sambia gehört, ums Leben kam. Das Erschrecken darüber war damals gross, auch ich erinnere mich noch daran. Nur langsam erfuhr man von dem Unglück. Wie genau es geschah, ist bis heute nicht abschliessend geklärt, ebenso wenig, wer dahinterstand. Dass es ein Attentat war, wird heute kaum noch bezweifelt.
Alle, die auf Dag Hammarskjöld aufmerksam geworden waren und seine hartnäckigen Friedensbemühungen befürworteten, empfanden Hochachtung für ihn. Aber über ihn selbst war wenig bekannt: Nach einem Hochschulstudium war er in den Dienst der schwedischen Regierung getreten, wie schon sein Vater, war u.a. Aussenminister und Finanzminister gewesen, bevor er zum UNO-Generalsekretär gewählt wurde, damals noch ein «junges» Amt. Hammarskjöld prägte das Amt durch seine hartnäckigen und mutigen Vermittlungsbemühungen im schmutzigen Krieg im Kongo und der abtrünnigen Provinz Katanga.
Dag Hammarskjöld in den 1950er Jahren / commons.wikimedia.org
Von ihm persönlich wüssten wir heute fast nichts, wenn nicht neben dem toten Politiker im afrikanischen Urwald seine persönlichen Notizen gefunden worden wären. Sie wurden Leif Belfrage, einem seiner Freunde, übergeben. Diesem hatte Hammarskjöld schon früher die Erlaubnis gegeben, dieses Tagebuch zu veröffentlichen.
«Zeichen am Weg» (Schwedisch: Vägmärken) mit einer lesenswerten, ausführlichen Einleitung seines Übersetzers kam 1963 heraus. Dann erschien 1965 die erste deutsche Ausgabe. Mein Taschenbuch muss ich 1967 gekauft haben. Seitdem ist es ziemlich vergilbt und, damit es nicht zerfällt, nehme ich es vorsichtig zur Hand, um darin zu lesen und darüber nachzusinnen.
Denn dazu regt es an. Keine Erlebnisse oder Erfahrungen aus seinem politischen Alltag finden wir in den Aufzeichnungen, sondern zutiefst berührende, philosophische und religiöse Betrachtungen. Wir lernen einen Menschen kennen, der sich selbst aufs genaueste anschaute, auch selbstkritisch, und den Sinn hinter allem Leben suchte. Hammarskjöld war im Christentum eingebunden, er bezog sich in seinem Denken auf Gott, direkt, in Demut und Hingabe. Vielfach wird er als Mystiker bezeichnet. Seine Mystik spann die Fäden zwischen ihm und Gott, ohne dass Hammarskjöld den Boden unter den Füssen verlor.
«In jedem Augenblick wählst du dein Selbst. Aber wählst du dich selbst? Körper und Seele haben tausend Möglichkeiten, aus denen du viele Ich bauen kannst. Doch nur eine davon ergibt die Kongruenz zwischen dem, der wählte, und dem Gewählten.» (geschrieben zwischen 1945 -1949)
Oder am 24. Dezember 1957:
«In deinem Wind -. In deinem Licht -.
Wie gering alles andere, wie klein wir – und glücklich in dem, was allein gross ist.»
Über Erfahrungen jenseits der realen Welt lässt sich schwer sprechen. Am ehesten scheint Hammarskjöld auf einsamen Wanderungen in Lappland zu sich selbst und zu seinen Einsichten gefunden zu haben. – Für die Stimmungen in dieser kargen Landschaft findet er eine wunderbare, der Malerei verwandte Sprache.
«Stille – wie wenn lange Bitterkeit in Tränen zerbricht. Kahle Erde. Im linden Licht der feuchte Glanz weiten Wassers -. Um mich die weichen Wände des Schmelzeises und der niedere Weltraum mit dem Malvenschimmer einer sinkenden Wintersonne.
In des Wassers Spiegelwelt – bleiches Oliv gegen Zinn – wiegen sich kahle Erlenzweige im unmerklichen Wellenschlag eines trägen Lufthauchs.» (geschrieben ungefähr 1949)
Ein Mann, der sein Leben der Kommunikation gewidmet hatte – denn was ist Politik anderes, als mit Menschen über Menschen zu sprechen und eine friedlichere Gesellschaft voranzubringen -, suchte in der Einsamkeit den eigenen Frieden, um mit sich und der Welt ins Reine zu kommen. Allenthalben in seinem Tagebuch zeigt sich, dass Dag Hammarskjöld an sich selbst die höchsten Ansprüche gestellt hatte.
«Lass mich vollbringen, was ich beginnen durfte. Lass mich alles geben, auch ohne die Gewissheit zu wachsen.» (1954)
Während die Aufzeichnungen des ersten Teils im Tagebuch in Prosa gehalten sind, wechselt Hammarskjöld ab 1958 mehr und mehr zu freien Versen. Poesie scheint der mystischen Wahrnehmung näher zu sein. Viele der ein- oder mehrstrophigen Gedichte sind Gebete. Sie drücken aus, was er in seinen Meditationen erfahren hat.
Erwachte,
hörte aufs neue,
wach,
den Ruf, der mich weckte.
(. . . )
Wer der Gejagte,
wer der stille Jäger
über dem Nebelmeer
im stillen Frost,
lang eh es tagt.» (30.7.1961)
Ein eigenständiger Denker, zugleich (mit sich selbst) strenger Christ und weitherziger Mensch, spricht aus diesen Worten, die heute noch so frisch und unmittelbar verstanden werden können wie vor sechzig oder mehr Jahren. Die Übersetzung aus dem Schwedischen von Anton Graf Knyphausen trägt wesentlich dazu bei.
Da mein eigenes Exemplar der «Zeichen am Weg» schon sichtlich gealtert war, wagte ich nicht zu hoffen, dass eine Neuauflage greifbar wäre, doch genau so ist es. Eine ausführliche Einleitung, die Hammarskjölds Herkunft und Leben nachzeichnet und einige Fotos, ergänzen das eigentliche Tagebuch.
Dag Hammarskjöld: Zeichen am Weg. Überarbeitete Neuausgabe von Manuel Fröhlich. Verlag Urachhaus. 240 Seiten.
7. Auflage 2022
ISBN 978-3-8251-7770-6
Film The Tree of Life: Der Journalist und Dokumentarfilmer Rüdiger Sünner begab sich mit Hammarskjölds Tagebuchaufzeichnungen nach Lappland in die Berglandschaften bei Abisko und Kebnekaise. Der daraus entstandene Film zeichnet das spirituelle Weltbild dieses ungewöhnlichen Politikers nach.
Titelbild: alte Wegzeichen / pixabay.com