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Graffiti im Kleinformat

Die Ausstellung «Walls of the World» im Kunst Museum Winterthur präsentiert das Schaffen des hierzulande wenig bekannten türkisch-amerikanischen Künstlers Burhan Doğançay. Mauern faszinierten den Künstler seit den 1960er Jahren und beschäftigten ihn bis zu seinem Tod 2013.

Die rund 60 Arbeiten auf Papier im Erdgeschoss verblüffen. Wandmalereien im Kleinformat, dicht nebeneinander. Ein buntes Universum von Zeichen, Schriften und Malerei. Mit ihnen begann Burhan Doğançay ab 1963 sein künstlerisches, fotografisches und archivarisches Lebenswerk Walls of the World. Eine Schenkung legte die Basis für die Ausstellung im Winterthurer Kunst Museum, die in Zusammenarbeit mit dem Musée d’Art et d’Histoire in Genf entstand.

Blick in die Ausstellung, «Walls of Israel», 1975, mit 53 Bildern auf Papier. Foto rv

Burhan Doğançay (1929-2013) kam in Istanbul zur Welt. Wie sein Vater, der neben dem Brotberuf künstlerisch tätig war, suchte Burhan seine Kreativität früh auszudrücken. In Paris studierte er neben Wirtschaftswissenschaften Kunst in der Académie de la Grande Chaumière. Als Direktor der türkischen Tourismusabteilung wurde er 1962 von Paris nach New York entsandt. Und hier begeisterten ihn die wild besprühten und beklebten Wände.

Crimson Lips, aus der Serie Walls of Israel, 1975. Collage, Gouache, Acrylfarbe, Ölkreide und Bleistift auf Papier.

Überall auf der Welt sind Mauern mit Graffiti übermalt und mit Stickern und Postern beklebt. Auch wenn sie das Schönheitsempfinden mancher Passanten stören, sind sie Codes gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Veränderungen und widerspiegeln den Zeitgeist einer Region.

Burhan Doğançay entdeckte sie bei einem Spaziergang durch die 86th Street in Manhattan. «Es war das schönste abstrakte Gemälde, das ich je gesehen habe», schreibt er, «es gab Muster aus Plakatfetzen und fragmentarische Schatten, die von der Oberfläche kamen und sich an der Wand bildeten. Ausserdem waren Spuren von Regen und Schlamm darauf zu sehen.» Von nun an streifte er auf seinen Reisen regelmässig durch die Strassen auf der Suche nach Mauerstücken, auf denen sich durch Zufall Formen, Farben und Texte angesammelt hatten. Er fotografierte und skizzierte sie, riss Fetzen von alten Postern ab und baute sein Archiv auf.

Belgian Colours, aus der Serie Walls of Israel, 1975. Gouache, Russ und Bleistift auf Papier

Burhan Doğançay schuf aus seinen Fundstücken keine Ready-mades wie andere Künstler, sondern sie dienten ihm beliebig kombiniert als Vorlagen. In seinem Werk balancierte er zwischen Dokumentation und eigener Kreation. Für die meisten seiner Zeichnungen und Malereien, die vorwiegend auf Papier entstanden, benutzte er Gouache, Acryl, Spray, Bleistift, Russ, Ölkreide, teilweise auch Collagen. Damit schuf der Künstler technisch raffiniert hergestellte Illusionen: Die Farbflächen sehen zum Teil aus wie aufgeraute Mauerstücke aus Zement oder wie glänzend polierte Fliesen. Oder es sind Papiere dargestellt, die scheinbar übereinander kleben, abgerissene Plakate mit gerollten Ecken, Papierfetzen, Comics. Die gezielt eingesetzten Schattierungen erhöhen die Sinnestäuschung. Die Betrachterin musste nahe an die Bilder herangehen, um die Machart zu erkennen.

Restoration in Progress, 2002. Mischtechnik auf weissen Masonit-Platten mit glatter Oberfläche, auf Leinwand aufgezogen, 127 x 177,8 cm. Illusion einer Fliesenwand mit Graffiti.

Als Burhan Doğançay 1962 in New York ankam, standen Rauschenberg und andere Vertreter des Neo-Realismus im Mittelpunkt des Interesses. Die aufstrebende amerikanische New Yorker Kunstszene kümmerte sich wenig um Beiträge ausländischer Künstlerinnen und Künstler, schreibt die französische Kunsthistorikerin Lola Lorant im Katalogtext. Dennoch fand Doğançay einen Unterstützer, auf den er zählen konnte. Das Empfehlungsschreiben von Thomas Messer, Direktor des Solomon R. Guggenheim Museums verschaffte ihm die Möglichkeit, 1975 in Israel zu arbeiten, was sein Werk nachhaltig prägte.

Lonely Bird, 1975, aus der Serie Walls of Israel, 1975. Collage, Gouache und Bleistift auf Papier

In Jerusalem und Tel Aviv dokumentierte der Künstler die bunt bemalten und mit Postern und Werbeanzeigen beklebten Wände und Strassenschilder in Tausenden von Fotos. Einzelne Motive setzt er in den 53 Bildern seiner Serie Walls of Israel ein: Abdrücke von Händen und Füssen, hebräische, arabische und englische Schriftzüge. Mehrfach auch Symbole des Friedens, wie Tauben, Herzen, Davidsterne, «Make Love, Not War!» und das Wort «Frieden» auf Hebräisch oder Englisch, denn der Jom-Kippur-Krieg (6.-24. Oktober 1973) lag gerade einmal zwei Jahre zurück. Vorsichtshalber liess der Kurator David Schmidhauser die hebräischen und arabischen Schriften übersetzen, um keine unerwünschten Inhalte zu verbreiten.

Burhan Doğançay (1929-2013) im «Burhan Doğançay» Museum in Istanbul, 2010. Foto: Bergin Azer, Wikimedia Commons.

Seit seinem Aufenthalt in Israel benutzte Doğançay systematisch die Kamera zur Vorbereitung seiner Serie Walls of the World. In 114 Ländern führte er die Dokumentation fort bis zu seinem Lebensende. Sein Archiv umfasst 40’000 Fotografien und wird heute im Weisman Art Museum in Minneapolis aufbewahrt. In Istanbul gründete er 2004 das Burhan Doğançay Museum, wo rund 100 Werke zu sehen sind, ebenso einige Gemälde seines Vaters Adil Doğançay. Es war das erste Museum für zeitgenössische Kunst in der Türkei.

Titelbild: A Million Doves, aus der Serie Walls of Israel, 1975.
Bilder: vom Kunst Museum Winterthur zur Verfügung gestellt.

Bis 2. Juni 2024
«Burhan Doğançay – Walls of the World», im Kunst Museum Winterthur. Beim Stadthaus.
Ausstellungskatalog (deutsch/französisch), Hrsg. Bénédicte De Donker, mit verschiedenen Beiträgen und zahlreichen Abbildungen, im Museumsshop CHF 35.00


 

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