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Zum Abschied eine Selbstdemontage

Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg zeigen zum Ende ihrer Zürcher Intendanz Max Frischs «Biedermann und die Brandstifter» am Schauspielhaus. Geboten wird ein moralisierendes Verwirrspiel mit einem furiosen Ensemble.

Brandstifter gehen um in der Stadt, doch den Haarwasserfabrikanten Gottlieb Biedermann, der seinen Angestellten Knechtling, dem er die Erfindung des Haarwassers verdankt, eiskalt in den Selbstmord treibt,  kümmert das nicht, solange es ihn nicht trifft. Und als es ihn trifft, will er es nicht wahrhaben, sogar als Benzinfässer in sein Haus geschafft werden. Angst und Fantasielosigkeit lassen ihn glauben, er werde verschont bleiben, wenn er nur mit den Brandstiftern Schmitz und Eisenring paktiere. Schliesslich drückt er ihnen selbst die Streichhölzer in die Hand – als Vertrauensbeweis.

«Biedermann und die Brandstifter: Ein Lehrstück ohne Lehre» wurde 1958 am Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt und ist der satirische Kommentar von Max Frisch auf eine Gesellschaft, die sich aller Dringlichkeit des Widerstands zum Trotz ganz in Anpassung übt und dabei sich selber und andere in Gefahr bringt. Das Besondere an diesem Werk ist, dass es eine klar umrissene Geschichte erzählt, aber im Grunde genommen sehr deutungsoffen ist.

Klamaukstück der Sonderklasse

Die beiden Intendanten, Regisseur Nicolas Stemann und Dramaturg Benjamin von Blomberg, machen daraus ein parodistisches Klamaukstück der Sonderklasse. Auf die Schippe nehmen sie nicht nur die Zuschauerinnen und Zuschauer, denen sie den kleinbürgerlichen Spiegel des Brandstifters vorhalten, sondern auch das Zürcher Establishment, das an ihrem unfreiwilligen Weggang Schuld trägt. Der dreiköpfige Chor in Trauerkleidern mutiert zu «Frau Mauch», «Herr Köppel» und «Sepp von der FDP», nicht die ganze Stadt wie in Frischs Vorlage, sondern nur das Schauspielhaus wird abgefackelt, um daraus ein neues Theater mit einer immensen Tiefgarage für SUVs entstehen zu lassen. Biedermann selbst fungiert als eigentlicher Brandstifter, indem er nicht nur die Zündhölzer an die beiden im Dachboden hausenden Brandstifter Schmitz und Eisenring weitergibt, sondern eigenhändig den ersten Kanister auf die Bühne stellt.

Ein Festmahl für die Brandstifter: Am Tisch (v.l.) Kay Kysela, Patrysia Ziolkowska, Niels Borman, dahinter der dreiköpfige Chor und die beiden Musiker Thomas Kürstner und Sebastian Vogel.

Das burleske Spiel beginnt schon beim Einlass. Die Bühne am Pfauen ist eine Erweiterung des Zuschauerraums mit seinen rosaroten Stofftapeten und gläsernen Minileuchtern (Bühnenbild: Katrin Nottrodt). Biedermann mit dicker Zigarre springt wie ein Gummiball auf der Bühne herum und schimpft über die Brandstifter, die subito an den Pranger gehören. Die beiden Brandstifter Schmitz und Eisenring agieren in Doppelbesetzung. Sobald sie ihre Hauben aufsetzen, verkörpern sie das Dienstmädchen Anna und Biedermanns herzkranke Frau Babette. Die zwei Feuerwehrleute werden ebenfalls demontiert und  verkünden im Anzug und in TV-Manier, dass anstelle des Theaters ein mehrstöckiges Parkhaus gebaut werden soll. An den Wänden flirren Videoeinspielungen, auf denen Kanister abgefüllt werden, derweil auf der Bühne unzählige leere Kanister aufgereiht und wieder abgeräumt werden. Dann folgt der Knall, der alte Theaterbau fliegt in die Luft. Just hier wird allen klar, dass in selbstgerechter Pose Anklage gegen eine kleinbürgerliche Stadtgesellschaft erhoben wird, die ein fortschrittliches, zeitgemässes Theater verschmäht.

 Grossartige Schauspieler

 

Patrycia Ziolkowska als Biedermann hantiert mit Zigarre und Bezinkanister. Fotos: Philip Frowein

Die Regie hält sich weitestgehend Frischs Textvorlage mit wenigen Kürzungen, lässt verschiedene Passagen mehrfach wiederholen, so jene: «Der die Verwandlung scheut, mehr als das Unheil, was kann er tun, wider das Unheil?». Mit von der Partie sind  die beiden Live-Musiker Sebastian Vogel und Thomas Kürstner auf erhöhtem Podest, die das turbulente Treiben am Schlagzeug, Keyboard und auf der Geige musikalisch antreiben und verfremden. Einfach grandios ist der Auftritt der drei Hauptdarsteller, allen voran Patrycia Ziolkowska als wirbliger Biedermann. Gekleidet im Businessdress treibt sie die hinterhältige Farce mit Furor voran, biedert sich wo erforderlich nützlich an. Nicht minder virtuos sind Niels Bormann und Kay Kysela in ihrer Doppelrolle als Brandstifter Schmitz und Eisenring und als Dienstmädchen Anna und Ehefrau Babette. Auf Stöckelschuhen meistern sie die zwei Rollen auf je eigene Art vielgestaltig komisch, mal tänzelnd unterwürfig, dann durchtrieben zielgerichtet.

Als Fazit bleibt ein gut zweistündiges Verwirrspiel der Selbstdemontage mit einem furiosen Ensemble, das dem Premierenpublikum zu gefallen schien. Es bedankte sich mit grossem Applaus.

Weitere Spieldaten: 25., 28., 30. März, 12., 13., 24. April, 5. Mai

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