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Der Berg, die Pferde und der Wanderer

Auf einer Alp im wilden und abgelegenen Bergland der Lechtaler Alpen sah ich eine so grosse Zahl von Haflingerpferden wie sonst noch nie. Die Begegnung mit Stuten und Fohlen war ein seltenes Erlebnis.

Nach einer halben Stunde Aufstieg von der Passhöhe des Hahntennjochs auf die Anhalter Hütte kommt uns eine Truppe von Stuten und Fohlen beim Abstieg entgegen. Offensichtlich Haflinger Pferde, jedes einzeln geführt, ein Anblick nicht nur für Pferdenarren. Und schon sind sie an uns vorbei.

Pferde werden talwärts geführt.

Der Fussweg ist steil, ohne Baumschatten über der Waldgrenze. Wir drei Senioren brauchen mit vollem Rucksack gut zwei Stunden bis zum Steinjöchl auf 2200 Meter. Zu unserer Überraschung überholt uns in umgekehrter Richtung die gleiche Truppe Pferde. Nur jetzt von unten her auf dem Rückweg zur Alp und wieder in zügigem Tempo. Doch die Fohlen fehlen. Eine Erklärung für dieses Ab und Auf sollten wir in den nächsten Tagen erhalten. Und Pferden, dachten wir uns, werden wir noch jeden Tag begegnen.

Die Anhalter Hütte unmittelbar vor einer riesigen Felswand nimmt den Blick voll in Beschlag.

Unterdessen haben wir die Anhalter Hütte auf 2040 m Höhe erreicht. Sie steht vor der beeindruckenden Heiterwand, einem zehn Kilometer langen und 500 Meter hohen Felswall. Wir sind nun eine Woche unterwegs in den Lechtaler Alpen. Mit dem Zug fuhren wir über Landeck nach Imst/Pitztal. Dort stiegen wir in den Bus Richtung Hahntennpass, der weiter hinunter ins Haupttal des Lech fährt.

Gipfel an Gipfel und tief eingeschnittene Täler – oben bleiben ist die Devise!

Die Berge sind sehr einsam, wild und stotzig. Im lockeren Geröll zu gehen strengt an. Doch die Wanderungen lohnen sich. Rundum Gipfel und Ausblicke in einsame Täler und Almen. Die gemütliche Hütte mit einem neuen Anbau ist ein guter Stützpunkt für Wanderungen. Die Versorgung des Schutzhauses erfolgt ausschließlich per Helikopter oder zu Fuß.

Abendhimmel hinter der Heiterwand auf 2500 m.

Am nächsten Tag machen wir uns auf zum Tschauchaun, 2334 Meter hoch. Er ist der Blumenberg der Lechtaler Alpen. Allerdings, wo Tiere weiden, ist – die Blumenpracht dahin. Der Weg führt auf den Hausberg der Berghütte und liegt noch im Schatten.

Helle Mähnen glänzen im Gegenlicht. Haflinger – die Rasse aus den Bergen Südtirols, aus dem Dorf Hafling über Meran, zeichnet ein gut proportionierter und muskulöser Körper aus.

In der Morgenfrühe ist das Wandern angenehm. Vor allem der stete Wechsel der Gesteinsarten fasziniert. Weiter oben begegnen wir neuen Gruppen von Pferden und Rindern, begehrte Fotomotive.

Über die grosse Alp zerstreut bilden sich Gruppen derselben Rasse oder aus dem gleichen Stall oder Gestüt.

Da werden unsere Stuten vom Vortag bestimmt dabei sein. Wir erkundigen uns bei Thomas und seiner Frau Daniela samt Hirtenhund Mira. Sie stehen mitten unter den Pferden – Thomas auf einen markanten Hirtenstab gestützt.

Am Sonntag gibt’s Besuch bei der eigenen Stute

«Nein, sie gehörten nicht zur Hirtschaft,» erfahren wir von den Besuchern, «sondern an diesem Sonntag seien sie auf Besuch beim Pferd ihrer Töchter, das den Sommer hier oben verbringe.» Dagobert sei der zuständige Hirte. Er sei unweit des Berghauses in einer kleinen Hütte zu finden.

Begegnung mit Dagobert, verantwortlich für mehr als 250 Tiere.

Das Treffen mit dem Hirten ist spannend, eine besondere Persönlichkeit mit viel Wissen. Er ist schlagfertig, hat schon in unterschiedlichen Berufen Erfahrungen gesammelt und Reisen in fremde Berglandschaften gemacht, wie die nepalesischen Gebetsfähnchen über dem Hütteneingang zeigen. Und am Schluss wartet er mit einer Überraschung auf. Er nimmt sein Hackbrett hervor und spielt. Es passt alles zusammen, der Hirte, die vielen Pferde und die einsame Alp.

Eine Norikerstute, stolz, robust und kräftig. Die Rasse ist benannt nach der ehemaligen römischen Provinz Noricum.

Dagobert berichtet, dass hier 80 Pferde, die meisten davon Haflinger und 170 Rinder gesömmert werden. Dazu kommen einige Esel und zwei Maultiere. Die Pferde gehören Bauern und Pferdeliebhabern. Hier würden drei Alpen auf unterschiedlichen Höhen mit jeweils einer Hütte bestossen. Jede Alp könne etwa drei Wochen beweidet werden. Insgesamt sei er zwölf Wochen hier oben.

Haflingerpferde nehmen gerne Kontakt mit Menschen auf. Nur als ich ein Fohlen streicheln will, schupst mich etwas von hinten – seine Mutter, die sich unbemerkt genähert hat.

Das heisst für Dagobert auch, dreimal mit Sack und Pack umziehen und die Tiere geordnet auf die nächste Alm bringen. Zuerst die Rinder, dann die Pferde. Die fressen das Gras tiefer ab. Die Vorbereitungen für den Alpsommer beginnen schon Ende Mai. An einigen Stellen der Passstrasse lag noch bis vier Meter Schnee. Deshalb musste er einen Kanal durchstechen – für die Tiere war es aber kein Problem. Das Bauamt Imst unterstützte ihn dabei. «Ja, ich liebe die Natur, bin gerne draussen und ich trage auch grosse Verantwortung. Es gibt immer wieder Vorfälle wie ein Rind mit einer starken Klauenverletzung oder eines mit einer Vereiterung im Bauch. Vermutlich weil es zu viel Alpenkreuzkraut oder Eisenhut gefressen hat.»

Der blaue Eisenhut und das gelbe Alpenkreuzkraut stehen oft zusammen. Beide sind giftig.

«Den Arzt oder allenfalls das kranke Tier,» fährt Dagobert fort, «können wir, wenn nötig, mit dem Helikopter einfliegen. Ich habe alles auf dem Handy protokolliert. Ich geniesse das Leben hier. Meine Frau kommt regelmässig vorbei und bringt mir Nahrungsmittel und saubere Kleider.»

Prachtvoll die Farben des Mooses

«Ich schaffe das ohne Hund. Nein, mit Wölfen hatten wir bisher keine Probleme. Einzelne streifen hier zwar durch. Das merkt man am Verhalten der Tiere. Sie sind gerne hier oben. Es erhält sie gesund und der Bauer spart Futter. Zudem beugt die Bestossung der Alpen der Verbuschung vor. Ungemütlich und gefährlich sind Wetterstürze. Schnee im Juli oder tagelang Nebel sind nicht so selten.»

Am Fuss der Heiterwand im Abendlicht

Und der Grund, weshalb die Fohlen nicht mehr auf die Alp zurückkämen, sei die Trennung von Müttern und Töchtern, wenn diese etwa halbjährig sind. Sie werden am Hohe Frau Tag (Auffahrt) in Imst auf den Fohlenmarkt geführt. Wir werden selbst Zeugen: An der Passtrasse wird den Stuten das Zaumzeug angelegt und die Fohlen kommen in die Pferdeanhänger. Eine Weile noch hört man das Wiehern der Stuten auf dem Rückweg auf die Alp.

Titelbild: Haflinger sind vielseitig geeignet: als Reitpferd, für Dressur, Springen und Fahren.
Fotos: © Justin Koller
Die Anhalter Hütte des Deutschen Alpenvereins (DAV):
Angelika und Sebastian Wolf
Telefon: +43 660 664 7428
Email:  anhalterhuette@gmail.com

 

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2 Kommentare

  1. So schön der artikel ist, die überweidung durch zu viele rinder und pferde, dadurch die überdüngung ist ein problem für die biodiversität. Und ich vermute, dass die fohlen auch teilweise im schlachthof landen. Die trennung von fohlen und stuten tönt hier zwar völlig unproblematisch, ist aber ein massiver eingriff für beide.

  2. Hallo, ich muss Stellung zu diesem Kommentar geben.
    Also die Fohlen landen nicht im Schlachthof, sie werden an Pferde liebhaber verkauft, egal ob Hengst oder Stutfohlen.
    Auch ist die Beweidung zwecks Verbuschung notwendig, denn wenn die Almen nicht mehr beweidet werden ist es auch gefährlich im Winter zwecks Lawinen. Aber wenn sie möchten können sie gerne uns einmal auf der Alm besuchen kommen und
    sich selbst ein Bild davon machen.

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