4 KommentareBVG-Reform: Schief und schädlich - Seniorweb Schweiz
StartseiteMagazinGesellschaftBVG-Reform: Schief und schädlich

BVG-Reform: Schief und schädlich

Am 22. September stimmt das Schweizer Stimmvolk über die umstrittene BVG-Reform ab. Nach dem Pro-Artikel von Barbara Zimmermann-Gerster vom Arbeitgeberverband erläutert VASOS-Mitglied Walter Langenegger (Titelbild) nachstehend die Gründe, die für eine Ablehnung der Reform sprechen. 

Eigentlich hätte die BVG-Revision in dieser Form nie dem Volk vorgelegt werden dürfen. Sie ist erstens obsolet, weil die Pensionskassen seit dem Ende der Niedrigzinsphase gut aufgestellt und flächendeckende Sanierungen unnötig sind. Zweitens ist sie ein reiner Rentenabbau, nachdem das Parlament den gut austarierten Sozialpartner-Kompromiss verworfen hat. Unter dem Strich gibt es zu viele Verliererinnen und Verlierer, darunter vor allem die Mittelschicht.

Nein, es stimmt nicht, dass diese Reform vor allem wegen der steigenden Lebenserwartung und mit dem Ziel lanciert wurde, Frauen und Geringverdienende besserzustellen. Das ist Ablenkung. Hauptgrund war vielmehr, dass mit der Finanzkrise 2008 die Zinsen stark sanken und viele Pensionskassen Schwierigkeiten hatten, ausreichend Rendite zu erwirtschaften, vor allem während der historisch einmaligen Negativzinsphase ab 2014.

Pensionskassen in guter Verfassung

Doch Tatsache ist: Heute sieht die Situation ganz anders aus. Die Zeiten der Negativzinsen sind vorbei, und zwei Jahre nach der Zinswende stehen die meisten Pensionskassen wieder hervorragend da. Mit einem Gesamtkapital von 1’300 Milliarden Franken und reichlich gefüllten Reservetöpfen sind sie gut gerüstet für kommende Herausforderungen. Das sagen nicht die Gegner der Vorlage; das sagt die Oberaufsichtskommission der Beruflichen Vorsorge (OAK).

Die OAK belegt dies mit Zahlen: 93 Prozent der Vorsorgeeinrichtungen weisen einen Deckungsgrad von mindestens 100 Prozent aus. Im Schnitt sind es sogar 113 Prozent. Die vielkritisierte Querfinanzierung von Jung zu Alt findet nicht mehr statt; seit 2020 läuft sie sogar in die andere Richtung – von Alt zu Jung. Heute profitieren die aktiven Versicherten von den Überschüssen, die mit dem Kapital der über 50-Jährigen erwirtschaftet werden – allein 2023 wurden 300 Millionen von Alt zu Jung umverteilt, Tendenz steigend.

Satz indirekt bereits gekürzt

Das macht klar: Der Umwandlungssatz von 6,8 Prozent im Obligatorium, der die Rentenhöhe bestimmt, ist weiterhin problemlos finanzierbar. Dies gilt erst recht angesichts dessen, dass er von vielen Vorsorgeeinrichtungen indirekt bereits gesenkt worden ist. Denn seit der Finanzkrise haben die meisten Pensionskassen Sanierungen durchgeführt und dabei den Umwandlungssatz im Überobligatorium stärker herabgesetzt, als es nötig war. So beträgt er heute bei den Männerrenten im Schnitt nur noch 5,3 Prozent. Damit nahmen die Kassen die Senkung des Umwandlungssatzes im Obligatorium vorweg. Ihn nun wie gefordert um 0,8 Prozent zu kürzen, heisst de facto, ihn ein zweites Mal zulasten der Versicherten zu reduzieren.

Keine soziale Abfederung

Das ist umso stossender, als die vorliegende Reform nunmehr eine reine Rentenabbau-Übung ist. Der ursprüngliche, vom Bundesrat übernommene Sozialpartner-Kompromiss sah noch vor, die Rentenkürzungen mit einem solidarisch finanzierten Zuschlag von 0,5 Prozent auf alle Löhne bis 850‘000 Franken auszugleichen – eine faire Lösung, die kaum Verliererinnen und Verlierer hinterlassen hätte. Doch das bürgerliche Parlament – irregeleitet durch die Finanzlobby – glaubte, es besser zu wissen, verwarf den Kompromiss und damit eine sozial gerechte Abfederung.

Kürzung von über zwei Milliarden

Die Konsequenz davon ist, dass nun die 4,5 Millionen Beschäftigten auf breiter Front gezwungen werden sollen, mittels Lohn- und Rentenkürzungen jährlich über zwei Milliarden Franken einzusparen und diese in die heute schon vollen Reservetöpfe der Pensionskassen umzuleiten. Die Leidtragenden sind dabei vor allem die über 45-Jährigen mit mittleren Löhnen ab 65‘000 Franken. Sie müssen mit höheren Beiträgen, geringeren Renten oder beidem rechnen. Im schlimmsten Fall steigen die monatlichen Abzüge laut Gewerkschaftsbund (SGB) um bis zu 200 Franken, und die Renten sinken um bis zu 270 Franken.

Daran ändern auch die Rentenzuschläge für die fünfzehn Neurentner-Jahrgänge wenig. Diese sind gering und nur für sehr tiefe Renten gedacht. Nur ein Viertel der Versicherten mit einem kleinen Guthaben von maximal 220’000 Franken erhält den vollen Zuschlag von 200 Franken pro Monat. Ein weiteres Viertel mit maximal 440‘000 Franken Sparkapital bekommt lediglich einen Teilzuschlag, im schlechtesten Fall bloss ein paar Franken. Alle anderen gehen leer aus.

Ungenügende Besserstellung

Gleichzeitig sind die Verbesserungen für Frauen, Niedrigverdienende, Teilzeit-Arbeitende und für Personen mit Berufsunterbrüchen minimal. Zwar erhalten laut Bundesrat neu rund 70‘000 Personen Zugang zum BVG-Obligatorium und weitere 30‘000 Personen leicht höhere Renten. Doch gibt es ein Aber: Viele Menschen im Tieflohnsektor verdienen so wenig, dass sie trotz der neuen BVG-Rente im Alter weiterhin Ergänzungsleistungen benötigen. Das heisst: Sie zahlen künftig mehr Lohnbeiträge, haben im Alter aber nicht mehr Geld als heute.

Schleichender Kaufkraftverlust

Hinzu kommt, dass die Revision zwei gravierende Konstruktionsfehler nicht anpackt: der fehlende obligatorische Teuerungsausgleich und die viel zu hohen Vermögensverwaltungskosten. Nur 14 Prozent der Kassen haben laut SGB bisher die Inflation ausgeglichen. Damit erleiden die Pensionierten nunmehr seit Jahren Kaufkraftverluste. In der Vermögensverwaltung wiederum versickern jährlich 8,2 Milliarden. Diese Kosten steigen weiter an, wenn mit der Revision noch mehr Reserven geäufnet werden. Die einzige Gewinnerin: die Finanzbranche.

Zurück an den Absender

Unter dem Strich wird klar: Diese Reform steht schief in der Landschaft und verursacht mehr Schaden als Nutzen. Sie bringt nur eine ungenügende Besserstellung im Tieflohnbereich, belastet ohne Not vor allem die Versicherten mit normalen Löhnen in der Mittelschicht und tut nichts gegen den Kaufkraftverlust der Pensionierten und das Abkassieren der Finanzbranche. Darum gehört diese Reform zurück an den Absender!


 Walter Langenegger ist pensioniert, wohnt in der Stadt Bern, ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern. Er ist aktives Mitglied der VASOS und Vizepräsident der SRG Bern Freiburg Wallis. Von 2007 bis 2022 war er Kommunikationschef der Stadt Bern. Zuvor war er über zwanzig Jahre als Journalist tätig, darunter von 1993 bis 2007 als Leiter der Inlandredaktion des St.Galler Tagblatts mit den Themenschwerpunkten Soziales, Wirtschaft, Finanzen und Steuern.


Erschienene Beiträge zur BVG-Reform:

Linus Baur: Darum gehts bei der BVG-Reform
Barbara Zimmermann-Gerster: Ein Ja zur BEVG-Reform stärkt unser bewährtes Drei-Säulen-System

 

 

 

Spenden

Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, Sie zum Denken angeregt, gar herausgefordert hat, sind wir um Ihre Unterstützung sehr dankbar. Unsere Mitarbeiter:innen sind alle ehrenamtlich tätig.
Mit Ihrem Beitrag ermöglichen Sie uns, die Website laufend zu optimieren, Sie auf dem neusten Stand zu halten. Seniorweb dankt Ihnen herzlich.

IBAN CH15 0483 5099 1604 4100 0<

4 Kommentare

  1. Besten Dank Herr Langenegger für Ihre verständliche Darlegung der Fakten zur BVG-Abstimmung. Ich hoffe, Ihr Beitrag erscheint in vielen Medien und wird möglichst von vielen Leser:innen gelesen.
    Der unverschämten Abzockerei der Finanz- und Versicherungsindustrie auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung und ihrer Arbeitgeber muss endlich ein Riegel geschoben werden. Es kann doch nicht sein, dass eine ehemals unter staatlicher Kontrolle stehende obligatorische Sozialversicherung, die allein zum Zweck der Sicherung künftiger Altersrenten der Arbeitnehmer:innen gegründet wurde, heute DAS Milliardengeschäft privater Firmen ist und sich diese Branche ohne Einschränkungen und fehlender Transparenz weiterhin an den ihnen anvertrauten Lohnbeiträgen bereichern kann.

    Aus meiner Sicht braucht es eine grundsätzliche Debatte über ein faires und neuzeitliches Rentensystem, das für die Sparer:innen funktioniert und nachvollziehbar ist und nicht für die unsoziale Gewinnmaximierung des herrschenden Finanz- und Versicherungsmarktes, die mit ihren immer neuen Zahlenschiebereien und Fachchinesisch für Verwirrung und Unverständnis bei der Bevölkerung sorgen.

    Eine neu aufgestellte, existenzsichernde und sich nach den Richtlinien des aktuellen Einkaufskorbes der Einzahler:innen ausgerichtete AHV-Rentenversicherung, wäre als einziges staatliches Obligatorium ein möglicher und logischer Weg. Das Riesenvermögen der privaten Rentenversicherer könnte in Teilen die Grundsteinlegung einer echten AHV-Reform bilden und käme unserem Demokratieverständnis entgegen.

    Die Problematik BVG und das Fazit scheint mir ähnlich zu sein wie bei den Krankenkassenprämien, wer mehr will als die staatlich zugesicherten Leistungen und wer es sich leisten kann, soll sich privat versichern aber nicht auf Kosten der Allgemeinheit.

    • Danke für Ihren Kommentar, liebe Frau Mosimann. Ich verstehe und teile Ihren Ärger. Auch ich wünschte mir eine sozialere und fairere Altersvorsorge. Aber dazu braucht es in einer Demokratie immer Mehrheiten. Und diese haben wir leider nicht! Umso wichtiger wäre es, dass die BVG-Vorlage am 22. September verworfen wird. Das würde die Finanzlobby zwingen, Konzessionen zu machen und eine BVG-Reform mitzutragen, die den Menschen dient und nicht den Geschäftsinteressen der Banken und Versicherungen.

      • Mir scheint, wir setzen unsere hart erkämpften demokratischen Werte aufs Spiel, wenn wir eine Mehrheit zulassen, die diese untergräbt. Nach meiner Auffassung einer gerechten sozialdemokratischen Regierungsform, muss sich alles nach den Grundprinzipien dieser Staatsform richten und beurteilen lassen. Toleranz hat auch in einer Demokratie ihre Grenzen. Entweder wir stehen zu den Grundsätzen unserer gewählten auf sozialen Werten basierten Staatsform oder wir ergeben uns, wie viele andere Staaten leider auch, dem herrschenden Diktat des Geldes vor den Menschenrechten. Wir haben es in der Hand, heute und jetzt.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Beliebte Artikel

Mitgliedschaften für Leser:innen

  • 20% Ermässigung auf Kurse im Lernzentrum und Online-Kurse
  • Reduzierter Preis beim Kauf einer Limmex Notfall-Uhr
  • Vorzugspreis für einen «Freedreams-Hotelgutschein»
  • Zugang zu Projekten über unsere Partner
  • Massgeschneiderte Partnerangebote
  • Buchung von Ferien im Baudenkmal, Rabatt von CHF 50 .-